Vor einigen Jahren landete Claudia Schmidt aus dem niedersächsischen Wildeshausen mit ihrem Haflinger zufällig in einem Western-Stall. Die Trainerin teilte ihr ziemlich resolut mit, dass ihr Pferd im Umgang äußerst unerzogen sei: „Sie meinte, ich hätte ein Dominanzproblem mit ihm und das sei lebensgefährlich“, erinnert sich Claudia. Zunächst einmal war sie einfach nur beleidigt. Immerhin hatte sie ihr Pferd schon seit fast zehn Jahren und war niemals wegen ihm auf der Intensivstation gelandet. „Doch der Ehrgeiz war geweckt“, gibt sie zu. Also überwand sie ihren inneren Schweinehund, nahm Western-Reitunterricht und besuchte bei der Trainerin zwei Bodenarbeitskurse.
„Ich bekam mächtig viel Zoff mit meinem Pferd, das nicht verstehen konnte, dass ich plötzlich alles durchsetzte, was ich wollte“, erzählt die 26-Jährige. Derselbe Wallach, der damals seine Reiterin rüpelhaft zur Seite drückte und nur dann stehen blieb, wenn er Lust dazu hatte, marschiert heute artig neben seiner Besitzerin her und kann mit minimalen Hilfen einhändig geritten werden. „Das Verhältnis zu meinem Pferd ist viel, viel besser geworden, denn ich habe mehr über seine Körpersprache und Bedürfnisse gelernt als je zuvor im englischen Unterricht“, sagt Claudia Schmidt. Das Werk der Western-Trainerin. Und vor allem der Western-Reitweise.
Mehr Kontakt mit dem Lebewesen Pferd
Viele Umsteiger von der klassisch-englischen Reitweise zum Westernreiten entschließen sich zu diesem Schritt, weil ihnen in den FN-Reitschulen der Kontakt zum Pferd fehlt. Auch die Western-B-Trainerin, Richterin und vielfache Buchautorin Renate Ettl hat diese Erfahrung gemacht. „Oft erwarten die Reiter eine bessere Kommunikation und eine innigere Beziehung mit ihrem Pferd“, weiß Ettl, die als 16-Jährige selbst umgestiegen ist.
Eine Umsteiger-Welle wie in den 80er und 90er Jahren gibt es laut Ettl heute aber nicht mehr. Damals etablierte sich die amerikanische Reitweise langsam in Deutschland und viele Klassiker stiegen um. „Etwa 98 Prozent davon waren Freizeit- und Geländereiter“, sagt Renate Ettl. „Für diesen Zweck erkannten die Reiter das Westernreiten als die geeignetere Reitweise. Zudem spielte der Cowboyflair von Freiheit und Ungezwungenheit eine große Rolle für die Ambition, die Reitweise zu wechseln.“
Auch heute noch wechseln viele Englischreiter das Lager um sich ganz der Wild-West-Romantik hinzugeben. Diese ändern aber eigentlich nicht die Reitweise sondern nur die Ausrüstung. „Die meisten Freizeit-Westernreiter kommen durch Freunde oder Stallkollegen zum Westernreiten, nicht aus eigenem Antrieb heraus“, so die Ausbilderin.
Weniger Konkurrenz auf Turnieren
Bei den Turnierreitern sind die Beweggründe für den Umstieg oft ganz andere. Da die klassischen Dressur- und Springturniere sehr überlaufen sind, sehen viele Englischreiter in der Westernreiterei die Chance, doch noch auf Turnieren erfolgreich zu sein. Hier sind einfach weniger Teilnehmer am Start. Individualisten haben außerdem eine größere Auswahl an bunter Turnierkleidung, verschiedenen Gebissvarianten und Ausrüstungsgegenständen. Auch beim Training von Pferd und Reiter gibt es keine starren Regeln. Richtig ist im Prinzip alles, was das erwünschte Ergebnis hervorbringt, auch wenn die Erste Westernreiter Union (EWU) zur Orientierung mittlerweile eine eigene Westernreitlehre herausgebracht hat. Für viele fortgeschrittene Reiter ist diese Freiheit ein Segen. Zahlreiche Anfänger sind aber auch schon an der Flut von kontroversen Meinungen gescheitert. Sie fragen zehn Trainer nach der korrekten Hilfe zum Angaloppieren und erhalten elf Antworten.
Wer sich nicht durch diesen Meinungs-Dschungel schlagen will, bleibt besser beim Englischreiten. Die Richtlinien der FN schreiben hier jede Hilfe genau vor. „Wobei sich selbst die größten klassischen Reitmeister keineswegs immer daran halten“, ergänzt Renate Ettl. „Das Pferd ist ein Individuum, das individuell behandelt und geritten werden muss, um ihm gerecht zu werden. Wenn die Richtlinien nicht starr ausgelegt, sondern als Leitfaden herangezogen werden und somit die Individualität erhalten bleibt, sind sie aber sehr nützlich. Insbesondere Anfängern können sie eine gewisse Richtung vorgeben und somit eine Hilfestellung sein, den richtigen Weg zu finden.“
Eine Frage des Pferdes
Generell dürfe laut Renate Ettl niemals der Reitweise die Schuld am eigenen Verzagen gegeben werden. Es gebe keine gute oder schlechte Reitweise sondern nur gutes oder schlechtes Reiten. Dennoch gibt es eine für den jeweiligen Zweck geeignetere Reitweise. Und für das jeweilige Pferd. So macht es wenig Sinn, dem 1,70 Meter großen Deutschen Warmblut einen Westernsattel umzuschnallen und von einer Reining-Prüfung zu träumen. Will der Reiter aber auf Teufel komm raus umsteigen und ist auf diese Disziplin fixiert, so sollte er sich im Zweifelsfall von seinem Warmblüter trennen. So weit kommt es aber meist gar nicht, da die meisten Umsteiger keine großen Dressurpferde besitzen, sondern eher Haflinger, Ponys und Rasse-Mixe, welche von vorn herein für das Westernreiten geeignet sind.
Der Leiter der Bayerischen Landesreit- und Fahrschule, Michael Schmidt, hat bisher vor allem diejenigen Schüler an Westerntrainer abtreten müssen, die mit der Englischreiterei nicht klar kamen. Vom Westernreiten erhofften sie sich schnelle Erfolge mit weniger Anstrengung – was leider ein Trugschluss ist. Denn auch in einer Pleasure- oder Horsemanship-Prüfung muss der Reiter die korrekte Einwirkung aufs Pferd haben, die es erst einmal in vielen Reitstunden zu erlernen gilt. „Dennoch denke ich, dass das Englischreiten in Perfektion das kompliziertere Reiten ist“, sagt Schmidt. Unter anderem seien die Ansprüche an den korrekten Sitz hier höher. Den Umstieg vom Westernreiten zum Englischreiten schätzt der Pferdewirtschaftsmeister deshalb als schwieriger ein – er wird auch wesentlich seltener vollzogen.
Guter Sitz durch gute Englisch-Ausbildung
Renate Ettl sieht das ähnlich. Schüler, die einmal eine gute Englisch-Ausbildung genossen haben, seien häufig besser im Sitz geschult als reine Western-Schüler. Auch mit der Balance auf dem Pferd hätten die Umsteiger kaum Probleme. „Je besser die Ausbildung im Englischreiten, desto weniger Probleme gibt es beim Umstieg“, findet Ettl. Schwer auszumerzen sei allerdings die oft übertrieben eingesetzte Kreuzhilfe. Viele Umsteiger klammern außerdem mit den Beinen und trauen sich nicht, die Zügel loszulassen. Anfänger fürchten gar, das Pferd käme außer Kontrolle wenn keine stete Anlehnung mehr besteht. „Häufig kommen Umsteiger zunächst auch mit dem Westernsattel nicht zurecht, da ihnen die Steigbügel zu starr hängen und der Sattel keine Pauschen hat, wodurch sie über den Knieschluss wie im Englischsattel Halt finden könnten.“
Wer sich nach reiflicher Überlegung aus den richtigen Gründen für einen Umstieg entscheidet, sollte darauf achten, dass er sich nicht einen beliebigen Westernreiter aus dem Nachbardorf zum Trainer erwählt. Reitunterricht geben darf leider jeder. Und wer einmal ein Westernreitabzeichen oder eine Einsteiger-Platzierung geschafft hat, hält sich nicht selten für einen „Western-Reitlehrer“. Qualifizierten Unterricht erteilen Ausbilder mit einer EWU-Lizenz (C-, B-, und A-Trainer Westernreiten). Daneben gibt es zahlreiche gute und schlechte Profitrainer ohne Trainerschein. Über deren Bekanntheitsgrad, Trainingsmethoden und Turniererfolge sollte man sich ausführlich informieren, bevor man ihnen das Schicksal von Pferd und Reiter in die Hände legt.