Chronische Wunden beim Pferd: Cast-Verbände von Peter Denius

Bandaging a hoofDie Wunde sah aus wie Gehirnmasse: Entlang des Röhrbeins zogen sich Windungen aus grau-rosafarbenem Fleisch. Dazwischen Blut, Eiter und eine weiße, freiliegende Beugesehne. Allein der Anblick und der Geruch brachten sensible Gemüter zum Würgen. Nach vierwöchiger Behandlung sollte der Warmblüter, der sein Bein an einem Stacheldraht verletzt hatte, zum Schlachter. Die riesige, tiefe Wunde heilte nicht, sondern bildete lediglich Eiter, Sekret und wildes Fleisch. Da die Verbände nicht optimal saßen, hatte der Tierarzt sie weggelassen.

„Nach herkömmlichen Methoden ist es schwer, einem Pferd einen gut sitzenden Verband anzulegen“, sagt Wundexperte Peter Denius, der den totgeglaubten Wamblüter schließlich in acht Wochen kurierte. Bei tiefen oder entzündeten Wunden kann das aber über Leben oder Tod entscheiden. Vielen Pferden bliebe der Schlachter erspart, wenn ihre Verletzung nach neuesten Erkenntnissen behandelt würden.

Innovative Heilmethoden

Denius, der aus der Humanmedizin kommt und für einen Verbandsmittelhersteller arbeitet, kennt diese innovativen Heilmethoden. Der ehemalige Krankenpfleger und Wundexperte der Initiative Chronische Wunden (ICW) lernte von der Pike auf, mit neuartigem Verbandsmaterial umzugehen und Wunden jeder Heilungsphase versorgen. Hauptberuflich verkauft er nicht nur Verbandsstoffe, sondern schult auch medizinische Fachkräfte in Gipsverbandtechnik, Kompressionstherapie und moderner Wundversorgung.

„Was beim Menschen gut ist, muss auch beim Pferd funktionieren“, dachte Denius, der selbst vier Pferde besitzt. Der älteste, ein graumelierter Appaloosa-Wallach, wird demnächst 31 Jahre alt. Außer ein paar Zähnen fehlt ihm nichts. So gründete er gemeinsam mit seiner Tochter Anna-Lena, einer Orthopädie-Schuhtechnikerin, die Akademie für innovative Tiermedizin (AFIT), um das gemeinsame Wissen in Wochenendseminaren und Therapieempfehlungen weiterzugeben. Zu den beiden Experten kommen meist die hoffnungslosen Fälle. Die, von denen ein Tierarzt sagt: „Da kann man nichts mehr machen.“ Aber man kann eben doch.

Tierärzte gipsen nicht gern

Das geht schon mit der Fixierung eines Verbands los. Querelastische Binden sind nicht geeignet, denn sie ziehen sich bei jeder Bewegung zusammen, schlagen Falten und rutschen weiter nach unten. Haltbarer sind Kompressionsstrümpfe oder Kompressionsverbände aus längselastischen klebenden Kurzzugbinden. Je nach Verletzung macht sogar Gipsen Sinn. „Das wird nur leider in der veterinärmedizinischen Ausbildung kaum gelehrt“, erklärt Peter Denius. Grund dafür ist die Vorstellung, die landläufig von Gips in Umlauf ist: Bekannt ist nur der gute alte Weißgips. Dieser braucht mehrere Stunden, um vollständig auszuhärten und sitzt anschließend stocksteif an den Gliedmaßen. Von einem Tier kann man weder verlangen, so lange stillzuhalten, noch könnte es sich anschließend mit dem starren Gips bewegen.

Denius hingegen benutzt sogenannte Castmaterialien. Dabei handelt es sich genau genommen nicht um Gips, sondern um flexible Glasfaserverbände, die innerhalb von fünf Minuten vollkommen aushärten. „Der Vorteil ist, dass sich das Pferd mit einem solchen Verband bewegen kann – es kann sogar galoppieren“, verspricht der 55-Jährige. Ein weiterer Umstand, der viele ungeübte Gipser abschreckt, ist die komplizierte Polsterung. „Wer viel polstert ist ein schlechter Gipser“, sagt Denius. „Der Gips oder Cast muss so modelliert sein, dass er sitzt wie eine zweite Haut. Sonst schwimmen die Extremitäten in der Polsterung hin und her und es entstehen Druckstellen.“

Chronische Wunden feucht halten

Wunden werden dann als chronisch bezeichnet, wenn sie innerhalb von sechs bis acht Wochen nach ihrer Entstehung trotz Behandlung keine Heilungstendenzen zeigen. Das Hauptkriterium bei ihrer Behandlung ist, dass sie nicht nass und nicht trocken, sondern feucht gehalten werden müssen. „Eine trockene Zelle ist eine tote Zelle“, erklärt Denius. Bei der trockenen Wundheilung, wie sie ohne Verband geschieht, bildet sich Wundschorf. Die neuen Hautzellen müssen den Schorf unterwandern, bis er schließlich von alleine abfällt. Beim Verbandswechsel wird er oft herausgerissen, wodurch neue Verletzungen entstehen. Das ist äußerst schmerzhaft. Dazu kommt, dass große, klaffende Wunden oft gar keinen Schorf bilden können. Beläge und Keime infizieren das Gewebe, bis es unter viel Sekret- und Geruchsbildung abstirbt.

Da hilft weder das Saubermachen mit einem klaren Wasserstrahl, noch das Auftragen von Betaisodona, das die Wunde austrocknet, nur kurzzeitig wirkt und den Bakterien anschließend die Möglichkeit gibt, sich wieder zu vermehren. „Jodhaltige Mittel, Wasserstoffperoxyd und Rivanol sind in der Humanmedizin schon lange out“, sagt der Experte. Stattdessen muss die Wunde zunächst mit nicht-reizenden Mitteln wie Prontosan oder Octenisept desinfiziert werden.

Nach der Wundbeurteilung startet die „feuchte Wundbehandlung“. Falls die Verletzung bereits infiziert ist, muss eine antibakterielle Wundauflage aufgelegt werden. Darauf kommt ein Kompressionsverband, der verhindert, dass das Bein anschwillt. „Pferde haben viel mehr Lymphknoten als Menschen. Fast jede Schwellung ist ein Lymphödem“, weiß Denius. „Die Lymphe macht Druck in den kleinen Haargefäßen, die daraufhin nicht mehr funktionieren. Angestaute Lymphe wird durch die Kombination aus Kompression und Bewegung abtransportiert.“

Wildes Fleisch entsteht durch gestörte Wundheilung

Dadurch entsteht als nächster Schritt neues, gut durchblutetes „Granulationsgewebe“. Wie Granulat sieht das rosafarbene neue Fleisch auch aus: körnig, pockennarbig, aber weder eitrig noch mumifiziert. In einer normalen Heilungsphase schrumpft dieses seltsame Gewebe anschließend und es bilden sich vom Wundrand her neue Hautzellen: die Wunde schließt sich. Bei gestörter Wundheilung entsteht stattdessen Granulationsgewebe im Übermaß – das bei Pferden nur allzu bekannte „Wilde Fleisch“. Auch dagegen beugt Peter Denius mit Kompressionsverbänden sowie bakterien- und flüssigkeitsabweisenden Auflagen unter Luftabschluss vor.

Stressfrei für das Pferd ist übrigens auch der Verbandswechsel: Durch das ständige Feuchthalten des Wundgrundes verkleben die Kompressen nicht mit der Wunde.

Auch Stellungsfehler von Fohlen und Kälbchen korrigiert Denius mit dem gipsähnlichen Castverband. Dabei biegt er das betroffene Bein so stark wie möglich in die optimale Haltung, bringt als Unterlage selbstklebendes Flies von der Rolle auf und verbindet es schließlich mit einer speziellen Kombination aus hartem und weichem Cast. Was zunächst wie eine normale Bandage am Bein sitzt, wird durch Einsprühen mit Wasser binnen weniger Minuten hart – und bleibt dabei flexibel. Ein solcher Verband ist dem Körper hundertprozentig angepasst und kann daher nicht verrutschen. Da die Castbinde auf der Vliespolsterung klebt und nicht auf dem Fell, kann das Tier weiterhin laufen und dadurch seinen Alltag weiterleben. Nach einer Woche muss der Verband erneuert werden, da die Jungtiere sich im Wachstum befinden. Dabei wird das Bein ein weiteres Stück in die optimale Stellung gestreckt und wieder eingegipst. Auch diese Therapieform importierte der ehemalige Krankenpfleger aus dem Humanbereich. Denius: „Ich habe alles gegipst, was man gipsen kann, sogar Säuglinge mit Klumpfüßchen.“

Castverbände bei Hufrehe und Mauke

Besonders beliebt sind Castverbände auch bei Mauke- und Hufrehe-Patienten. Pferde mit Mauke im Fesselbereich bekommen eine antiseptische Wundauflage, die über zwei bis drei Tage feucht bleibt. So wird der Schorf aufgeweicht und abgelöst, unter dem die bakterielle Infektion brodelt – für das Pferd wesentlich angenehmer als ein ständig zupfender und kratzender Besitzer, der mit jedem Schorfstück eine weitere kleine Wunde reißt. Die Wundauflage wird mit Vlies und Cast bis über den Kronrand hinaus fixiert, damit dort keine Schwellung entstehen kann.

Bei Hufrehe setzt der Tierarzt normalerweise mittels Hufverband Keile unter die Sohle, um das rotierende, abgesenkte Hufbein zu entlasten. Das Problem: Die Keile verrutschen unter den meisten gängigen Hufverbänden. Denius benutzt auch hier seine Glasfaser-Binden. Zunächst legt er vorbeugend eine Wundauflage in den Strahl, die Bakterien platt machen soll. Dann füllt er die komplette Sohle mit nachgiebiger Kautschukmasse aus der Spritzpistole aus. Darüber kommt zunächst eine Lage harter und anschließend eine Lage weicher Cast. Dazwischen liegen – je nach Erkrankungsgrad – ein bis zwei Kunststoffkeile, die die Beugesehne und damit das Hufbein entlasten. Weil die meisten Pferde mit dem orthopädischen Hufschuh relativ viel spazieren gehen, bringt der einfallsreiche Verbandspezialist einen Abriebschutz auf. Dieser besteht entweder aus einem speziellen Kleber, der in Form eines Hufeisens unten auf den Verband gespritzt wird oder sogar aus gängigen Schuhsohlen vom Schuster – eine Idee von Orthopädie-Schuhtechnikerin Anna-Lena Denius.

Zahlreiche andere Hufkrankheiten behandelt Peter Denius ähnnlich. „Bei beschädigtem oder teilweise fehlendem Tragrand können die Glasfaserbinden als Hufhornersatz eingesetzt werden“, erklärt er. Je nach Ausführung werden darauf sogar Hufeisen genagelt oder geklebt.

Selber heilen lernen

Wer nun glaubt, einige der geschilderten Verbände selber machen zu können, liegt gar nicht mal so falsch. Einfach drauflos gipsen sollten Sie jedoch nicht. Die Akademie für innovative Tiermedizin, bietet regelmäßig Tages- und Wochenendseminare an. Teilnehmer mit medizinischen Vorkenntnissen können am zweiten Tag oft sämtliche Verbände selber machen. Alle anderen bekommen zumindest eine Ahnung von Wundheilung und können im Zweifelsfall besser entscheiden, welchen Fachmann sie bei welcher Wunde zu Rate ziehen. Wichtig ist dabei, dass jede Behandlung durch einen Wundexperten immer in Zusammenarbeit mit dem Tierarzt erfolgt. AFIT stellt keine Diagnosen, sondern kümmert sich nur um die Wundheilung. In den nächsten Jahren wollen Peter und Anna-Lena Denius bundesweit zwei bis drei Experten auf ihren Wissensstand bringen, um noch mehr Patienten zu helfen.

„Bei vielen Verletzungen kommt es einfach auf die Art an, wie die Wunde behandelt wird“, stellt Denius klar. „Ich bin überzeugt davon, dass 30 bis 40 Prozent aller Amputationen beim Diabetischen Fuß im Humanbereich so verhindert werden könnten.“ Von Euthanasie im Veterinärbereich ganz zu schweigen.

Was tun bei welcher Wunde?

Selber behandeln können Sie bei oberflächlichen Wunden, wenn nur ein Hautdefekt vorliegt. Die frische Wunde sollten Sie zunächst desinfizieren und ein Wundantiseptikum auftragen. Der Grund dafür ist, dass die Gegenstände, an denen sich das Tier verletzt hat, meist alles andere als steril sind. Auf eine oberflächliche Wunde am Körper tragen Sie nur das Antiseptikum auf. Kontrollieren Sie die Wunde vorsichtshalber regelmäßig und wiederholen Sie ggf. die Behandlung. Benutzen Sie zum Desinfizieren nicht-reizende Mittel wie Prontosan oder Octenisept. Falls ihre Stallapotheke nur Betaisodonna und andere jodhaltige Mittel hergibt, können Sie diese bei kleinen Wunden weiterhin verwenden. Bei Verletzungen an den Beinen gilt: auch kleinste Wunden haben oft zur Folge, dass ein Lymphödem entsteht und es zu Phlegmone kommen kann. Deshalb sollte hier nach der Desinfektion ein Kompressionsverband angelegt werden. Wer nicht gerne Verbände wickelt, ist mit einer Kompressionsbandage, z.B. EquiCrown, gut beraten. Wählen Sie grundsätzlich eine Wundauflage, die die Wunde feucht hält, sonst entstehen neue Defekte bei jedem Verbandswechsel. Die Auswahl der Auflage hängt davon ab, wieviel Feuchtigkeit die Wunde abgibt. Produkte mit Hydrokolloid oder Polyurethan-Schaum sind oft so konstruiert, dass sie Feuchtigkeit aufnehmen können und trotzdem die Wunde feuchthalten. Peter Denius benutzt Suprasorb-h oder Suprasorb-p von Lohmann & Rauscher.

Den Tierarzt rufen sollten sie bei allen größeren und schlecht heilenden Wunden, die auf Sie bedrohlich wirken. Wenn die Wunde eindeutig nicht nur die Haut verletzt, sondern tiefer geht, wenn klare Infektionszeichen wie Eiter, Geruch, Schwellung und Druckempfindlichkeit vorliegen, dann ist es nicht mehr ratsam, selbst herumzudoktern. Sinnvoll ist das Hinzuziehen eines Fachmanns auch bei kleinen Wunden, sobald das Pferd Fieber bekommt. Denn dann sind Keime in die Wunde eingedrungen und auf Wanderschaft gegangen. In solchen Fällen verabreicht der Tierarzt in der Regel ein Breitband-Antibiotikum. Messen Sie daher regelmäßig die Temperatur ihres Pferdes, wenn Ihnen eine Wunde verdächtig vorkommt.

Einen Wundspezialisten sollten Sie am besten gemeinsam mit ihrem Tierarzt zu Rate ziehen, wenn die Wunde über mehrere Wochen trotz Behandlung nicht heilt. In der Humanmedizin ist es schon lange üblich, im Rahmen einer Therapie einen Wundspezialisten zur Beurteilung der Verletzung mit einzubeziehen. In der Veterinärmedizin leider noch nicht. Falls Sie keinen geeigneten Spezialisten in Ihrer Umgebung finden, können Sie durchaus auch jemanden aus der Humanmedizin beauftragen. Die Wundheilungsphasen sind bei Tier und Mensch gleich. Der Spezialist muss nicht am Pferd tätig sein, wenn er Berührungsängste hat. Aber er kann gemeinsam mit dem Tierarzt die richtige Behandlungsmethode finden.

Was Wundverbände können müssen
(von Peter Denius)

  • Kontrolle überschüssigen Exsudats
  • Barriere gegen Mikroorganismen
  • Gasaustausch
  • Schutz vor mechanischen Einflüssen
  • Feuchthalten des Wundgrundes
  • Temperaturstabilisierung
  • Nicht mit der Wunde verkleben

Die verschiedenen Phasen der Wundheilung
(von Peter Denius)

  • Exudationsphase: Die Wunde gibt viel Feuchtigkeit ab. Reinigung der Wunde von Nekrosen, Belägen und Keimen ist wichtig.
  • Granulationsphase: Das Gewebe wird neu gebildet. Es entsteht gut durchblutetes und feuchtes Granulationsgewebe
  • Epithelisierungsphase: Die Wunde verschließt sich, neue Hautzellen bilden sich vom Wundrand her.

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