Schenkelweichen und Schulterherein – wie geht das? Wofür ist das gut?

Die AQHA hatte unlängst einen Artikel veröffentlicht von Professional Horsewoman Carla Wennberg über das „Shoulder-in“, das „Schulterherein“. Richtig übersetzt, war da zu lesen: „Carla Wennberg hat zwei Passionen: Reining und Dressur. Die Leute müssen sich klarmachen, dass beides nicht so sehr verschieden ist, obwohl die Pferde unterschiedlich aussehen mögen. Das Schulterherein ist im Dressurviereck und außerhalb desselben wertvoll."

In einem Schulterherein biegt man das Pferd auf dem Hufschlag leicht, so dass sich nur seine Schultern von der Bande weg nach innen bewegen, nach links oder nach rechts, je nach dem, auf welcher Hand man reitet. Die Hinterhand bleibt auf dem Hufschlag.

Das Pferd sollte vermehrt Gewicht mit dem inneren Hinterbein aufnehmen, so dass es aufgerichtet und leicht an der Hand bleibt und der Reiter die Schultern des Pferdes manövrieren kann. Wenn Sie am Boden sind und das Pferd auf Sie zukommt, sieht es so aus, als ob die Beine des Pferdes drei Spuren oder vier Spuren machen, je nach dem, wieviel Biegung es hat. Bei drei Spuren läuft das innere Vorderbein auf einer Spur, das äußere Vorder- und das innere Hinterbein auf einer Spur und das äußere Hinterbein auf einer Spur. Bei vier Spuren sehen sie alle vier Beine auf einer eigenen Spur auf sich zukommen.

Pferde nicht überfordern

Wenn Sie das zuerst üben, sollten Sie froh sein, wenn Sie Ihr Pferd für drei oder vier Schritte im Schulterherein bewegen können. Fordern Sie zu Beginn nur einen Schritt oder zwei Schritte, und gehen Sie dann wieder geradeaus (auf einem Hufschlag). Oder versuchen Sie, aus einem kleinen Zirkel oder aus einer Ecke heraus hineinzukommen. Der Rhythmus seiner Beine sollte gleich bleiben, wenn es ins Schulterherein geht. Wenn seine Beine schneller werden, sagt Ihnen dies, das Ihr Pferd unbalanciert ist.

Sie müssen die Fähigkeit Ihres Pferdes aufbauen, damit es dies länger beibehält. Erlauben Sie dem Pferd zunächst, die Balance der Übung verstehen zu lernen. Steigern Sie dies bis zu sechs oder sieben Schritten und schließlich bis zur Länge der Bahn, aber erwarten Sie das nicht zu früh, nicht einmal mit kräftigen Quarter Horses. Wenn Sie es wieder und wieder üben, verkrampfen sich die Muskeln des Pferdes zu sehr, um dies auszuführen.

Beginnen Sie im Schritt, aber Sie können es steigern, bis Sie die Übung im Trab und Galopp ausführen können. Was man zu Beginn mit einem Pferd macht, ist nicht Schulterherein, sondern Schenkelweichen. Die im Amerikanischen gebrauchte Bezeichnung ist „Leg Yield“.

Worin unterscheidet sich das Schenkelweichen vom Schulterherein?

Nach den meisten konventionellen Reitlehren geht das Pferd im Schenkelweichen auf drei Hufschlägen und ist nicht oder wenig gebogen, beim Schulterherein liegt dagegen eine mehr oder weniger starke Biegung vor, und durch die stärkere Biegung ist auch die Vorhand des Pferdes weiter zum Bahninneren abgestellt.
Meistens wird angegeben, dass die Vorhand beim Schenkelweichen etwa einen halben Schritt nach innen versetzt laufen soll, dagegen beim Schulterherein etwa einen ganzen Schritt. Das Schenkelweichen ist also eine Vorstufe zum Schulterherein und darum das erste, was man mit Pferden macht, die in dieser Beziehung noch nicht ausgebildet sind.

Die Übung des Schulterhereins wurde, nebenbei gesagt, von dem klassischen französischen Reitmeister François Robichon de la Guérinière (1688-1751) erfunden.

Was die Hilfengebung für das Schenkelweichen und das Schulterherein angeht, so kann eine Beschreibung leicht verwirrend sein, weil man zunächst einmal klarstellen muss, was „innen“ und was „außen“ ist. Wenn es hierbei heißt „innen“, „innerer Zügel“ oder „innerer Schenkel“, bezieht sich das nicht auf die Stellung des Pferdes im Verhältnis zur Bewegungsrichtung, sondern auf das Verhältnis des Pferdes zur Reitbahn. Wenn das Pferd also in der Bahn auf der rechten Hand läuft (im Uhrzeigersinn), dann ist rechts innen. Geht das Pferd im Schenkelweichen oder Schulterherein, wird es also nach innen gebogen – bezogen auf die Reitbahn; es ist dann aber nach außen gestellt bzw. gebogen in Bezug auf seine Bewegungsrichtung, es läuft über die Schulter. In einer Traversalbewegung hingegen läuft es auch auf mehreren Hufschlägen, ist aber nach innen gebogen in Bezug auf seine Bewegungsrichtung.
Im Folgenden sind „innen“ und „außen“ also  immer nur auf die Reitbahn bezogen.

Schenkelweichen/Schulterherein auf der rechten Hand 

Das Pferd weicht dem inneren (rechten) Schenkel, der etwas hinter dem Gurt angelegt wird. Im Idealfall ist auf beiden Zügeln gleich viel Kontakt. Der innere Zügel hält die Nase des Pferdes innen, führt die Vorhand des Pferdes von der Bande weg nach innen. Der äußere Zügel steht an, weil das Pferd sonst „vor dem Schenkel fliehen“ würde; es würde über die (linke/äußere) Schulter ausbrechen oder ausfallen. Der äußere Zügel kontrolliert die äußere Schulter und führt das Pferd in die gewünschte Richtung.
Der äußere Schenkel gibt dem Pferd im Normalfall die Biegung um den inneren Schenkel, unterstützt aber auch die ganze Bewegung. Wenn er mit vorwärts treiben muss, rückt er an den Gurt vor, wenn er nur verwahrend einwirken soll (die Hinterhand kontrollieren soll), wird er weiter hinten angelegt.

Der am häufigsten gemachte Fehler beim Schenkelweichen und beim Schulterherein ist das Ziehen am inneren Zügel. Ziehen ist sowieso immer falsch, aber wenn am inneren Zügel gezogen wird, fällt das Pferd über die äußere Schulter aus. Das Pferd kann so auf einem Hufschlag laufen und Kopf und Hals nach innen gezogen haben.

Viele Reiter haben ein Problem damit, die Wirkung des äußeren Zügels zu verstehen. Es geht ihnen gegen die Natur, dass zum Beispiel ein nach rechts gebogenes Pferd ausgerechnet mit dem linken Zügel davon abgehalten werden kann, von dem vorgegebenen Kurs nach links abzuweichen bzw. auszubrechen. Horst Stern hat in seinem Buch „So verdient man sich die Sporen“ diese Problematik in der für ihn typischen kurzweiligen Art folgendermaßen abgehandelt:

Die Wirkung des äußeren Zügels

„Es ist ja auch einigermaßen verwirrend: Damit ein nach links gestelltes Pferd nicht mit der Vorhand von dem ihm vorgeschriebenen Weg nach rechts wegdrängelt, nimmt man ausgerechnet den rechten Zügel an, wo man doch meinen sollte, der linke könnte das viel besser verhindern! Aber, ich sagte es schon: Man kann, indem man Bierkutschern zuschaut, nicht das Reiten erlernen.

Es ist so: In der Stellung nach links ist der linke Zügel, der innere, verkürzt, denn er gibt dem Pferd ja die Kopfstellung nach links. Will das Pferd sich diesem linksseitigen Zügelanzug entziehen – und das will es oft –, so kann es das nicht, indem es den Kopf nach rechts dreht, denn dadurch würde der Zügeldruck links ja nur noch schlimmer. Es kann auch nicht gut nach innen drängen, also nach links, denn nach links ist es ja gestellt, nach links hat der Reiter es um seinen Schenkel herum hohl gemacht, und der natürliche Fort-Bewegungsdrang geht immer nach der Außenseite einer Biegung. Denken Sie an den Flitzebogen – der Pfeil schießt ja auch nicht nach innen, sondern nach außen. Und denken Sie ans Aufsitzen, bei dem man den rechten Zügel straffer annehmen soll als den linken, denn wenn das Pferd bei dieser Stellung nach rechts ins Drängeln gerät, dann drängelt es nach außen, also nach links zum aufsitzenden Reiter hin.

Gut. Das Pferd versucht also, sich dem linksseitigen Zügelanzug zu entziehen, indem es mit der Schulter nach rechts-vorwärts vom Hufschlag wegdrängt: Es fällt mit der Vorhand aus, sagen die Reiter. Darf ich in meiner Verlegenheit, Ihnen die Wirkung des äußeren Zügels klarzumachen, zu einem Vergleich greifen, der den Fachleuten die Haare zu Berge stehen lassen wird? Sei’s drum! Bitten Sie Ihre Frau (nicht eine Freundin, wenn Sie ledig sind, Freundinnen sind zu sanft!), bitten Sie also jemanden, Ihnen kräftig an der linken Kopfseite in die Haare zu greifen und so zu ziehen, dass es wehtut. Wenn Sie es fertig bringen, frei von gedanklichen Überlegungen ganz instinktiv auszuweichen, so wird Ihre Nase zwar nach links gehen, Hinterkopf und vor allem aber rechte Schulter deutlich nach rechts vorwärts! Und könnten Sie sich dem Schmerz links durch Weglaufen entziehen – Sie liefen mit der rechten Schulter nach vorwärts-außen, bloß die Nase immer mehr einwärts drehend: genau wie das Pferd auch.

Greift Ihnen Ihr Folterknecht nun aber auch noch mit der rechten Hand in Ihre Mähne an der rechten Kopfseite und zieht dort ebenfalls, dann werden Sie versuchen, zwischen diesen zwei Schmerzstellen eine Kopfhaltung zu finden, die den Zug an jeder Seite so gering wie möglich werden lässt. Mit einem Wort: Sie werden genau die Richtung wählen, die Ihnen die linke Hand Ihres Quälgeistes ursprünglich vorschrieb. Und eingerahmt zwischen den Zügeln, jeden Druck des Gebisses zu vermeiden suchend, geht auch das Pferd seinen Weg!“

Vergleiche hinken fast immer, aber dieses Beispiel von Horst Stern kann die Wirkung des äußeren Zügels vermitteln, auch wenn wir uns selbst als Reiter nicht unbedingt in der Rolle eines „Folterknechtes“ oder „Quälgeistes“ sehen möchten.

Wofür ist Schulterherein gut?

Der innere Schenkel veranlasst den inneren Hinterfuß weit unter die Körpermitte vorzutreten und so Last aufzunehmen. Das Schulterherein dient darum nicht nur der Gymnastizierung, sondern auch der Versammlung, besonders, wenn Durchparieren aus dem Trab in den Schritt eingebaut wird.

Das Schulterherein kann als Versammlungs- und als Dehnungsübung geritten werden. Besonders im Schritt kann man damit die Muskulatur dehnen und lockern und ein Pferd so beim Warmreiten für das anstehende Training vorbereiten.

Für weiterführende Aufgaben ist vor allem der Travers wichtig. Also am Anfang steht das Schenkelweichen, dann kommt das Schulterherein, und als schwierigere Übung dann der Travers bzw. das Two Tracking. Mehr darüber lesen Sie hier.

 

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