Schenkelhilfen: Richtiges Treiben beim Englischreiten und Westernreiten

SONY DSCAngeblich besteht das „Englisch-Reiten“ ja aus einem ständigen Anschubsen des Pferdes. Deshalb wird munter mit den Beinen geklopft, mit Sporen und Gerte gepiekst und zu guter Letzt im Oberkörper gewühlt. Das ist jedoch genauso falsch wie die Annahme, dass ein guter Reiter dauerhaft sein Pferd mit Schenkelhilfen drangsalieren soll. In Wahrheit liegen selbst bei diesem Thema Western- und Klassischreiter gar nicht so weit auseinander. Denn: Richtiges Treiben ist eine Kunst für sich, in jeder Reitweise. Das liegt daran, dass es nicht nur aus der Wade kommt.

„Auch der Sitz hat eine treibende Funktion“ sagt Christoph Hess, der ehemalige Leiter der Abteilung Ausbildung der FN. „Das heißt jedoch nicht, dass der Reiter mit dem Oberkörper pumpen sollte. So etwas bringt nur das Pferd aus seinem natürlichen Rhythmus. Der treibende Sitz ist mehr passiv als aktiv und sollte sowohl Anfängern als auch Fortgeschrittenen an der Longe beigebracht werden.“ Lernt der Reiter das nicht, so macht er sich in der Mittelpositur fest und gerät vor oder hinter die Bewegung während er lediglich mit den Schenkeln das Pferd malträtiert, aber damit nicht durchkommt. Soweit gilt das Ganze auch fürs Westernreiten.

Womit gibt man die Schenkelhilfe?

Ist der Sitz einmal gefestigt, so kommt gleich die nächste Hürde. Denn womit gibt man eigentlich die Schenkelhilfe? Mit der Wade? Mit dem Absatz? Oder gar mit dem Knie?

Die Antwort: Mit der hinteren Oberschenkelmuskulatur. Denn nur diese führt die Wade so ans Pferd, dass keine weiteren Muskelgruppen verspannt werden. „Der Einsatz dieser Muskulatur bewirkt ein noch stärkeres Winkeln im Knie, so dass damit automatisch die Wade ans Pferd gerät“, weiß der Sport- und Bewegungspädagoge Eckart Meyners. „Dieser Vorgang muss jedoch rhythmisch erfolgen. Das heißt, die hintere Oberschenkelmuskulatur wird beim Treiben im Wechsel ständig angespannt und locker gelassen und bewirkt somit ein fortwährendes Aktivieren der Hinterbeine des Pferdes.“

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Leichter gesagt als getan. Denn diese Muskeln sind bei den meisten Reitern schwach ausgeprägt. Da helfen nur Kräftigungs- und Dehnungsübungen, die man sich am besten von einem erfahrenen Fitnesstrainer beibringen lässt. Wer dazu keine Lust hat, muss sich unter Umständen lange mit einem klopfenden Schenkel herumärgern.

Der kleine Unterschied

Liegt dann eines Tages auch die Wade weich und „mitatmend“ am Pferd, so kommt sie ganz von selbst zum Treiben. Während des Bewegungsablaufs des Pferdes wölbt sich dessen Rumpf abwechselnd nach rechts und links. Dadurch stößt es gewissermaßen an die Unterschenkel des Reiters und holt sich die treibende Einwirkung von selbst ab. So entsteht beispielsweise im Schritt das „wechselseitige Treiben“. Immer dann, wenn ein Hinterbein knapp vor dem Abfußen ist, stößt der Pferderumpf auf dieser Seite gegen die Reiterwade. Der geübte Reiter kann in diesem Moment die Einwirkung durch leichten Druck verstärken. Letztlich ist der Schenkel also gar nicht so aktiv, wie viele glauben. Doch genau hier liegt der Unterschied zwischen Western- und Englischreitern. Während der gute, geübte Klassischreiter den Moment der verstärkten Einwirkung alle paar Schritte spürt, beschränkt sich der impulsorientierte Westernreiter beim Treiben auf diejenigen Momente, wo das Pferd tatsächlich etwas anderes tun soll, also etwa Beschleunigen oder die Gangart wechseln.

Doch zurück zum Moment des Treibens: Wann genau in welcher Gangart welches Hinterbein abfußt, lernt der Reiter nicht von heute auf morgen zu erfühlen. Hess rät, Kinder spielerisch an diese Themen heranzuführen, während Erwachsene zunächst eine theoretische Aufklärung über die Takte und Phasen der drei Grundgangarten benötigen. So lernen sie zu verstehen, wie sich der Pferdekörper unter ihnen bewegt. Hilfreich kann dabei auch das Reiten ohne Sattel sein.

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Verwahrenden Schenkel nicht zu weit nach hinten führen

Schenkelhilfen können aber auch noch ganz andere Dinge bewirken als nur vorwärts zu treiben: Sie können bei Seitengängen vorwärts-seitwärts treiben oder verwahren. In beiden Fällen wird der entsprechende Schenkel eine Hand breit hinter den Gurt gelegt. Christoph Hess hat die Erfahrung gemacht: „Viele Reiter nehmen den verwahrenden Schenkel wahnsinnig weit nach hinten. Sie meinen, er sei besonders aktiv, je weiter er Richtung Kruppe wandert.“ Gerade beim Angaloppieren buckelt so manche Stute wild drauflos, weil ihre Reiterin es besonders gut meint und sie dabei in der empfindlichen Kruppengegend kitzelt. Der korrekt anliegende verwahrende Schenkel aktiviert eine Hand breit hinter dem Gurt diejenigen Muskelstränge, die auf die Hinterhand des Pferdes einwirken.

Der verwahrende Schenkel ist weit mehr als eine bloße Zugabe zum treibenden. Auf gebogenen Linien verhindert er ein Ausfallen der Hinterhand. Das würde bedeuten, das Pferd tritt mit den Hinterbeinen über die Kreislinie hinaus, weil das weniger anstrengend ist als eine Körperbiegung auf der Zirkel- oder Voltenlinie. Um das zu verhindern und die Biegung zu erhalten, gibt es den verwahrenden Schenkel. „Er ist mal aktiv und mal passiv. Je nachdem, was die Hinterhand des Pferdes tut. Und natürlich abhängig davon, wie sensibel das Pferd ist“, erklärt Hess.

Knieschluss brauchen Sie nicht

Heiß diskutiert wird immer wieder die Frage, ob ein Reiter sein Pferd auch mit den Knien lenkt und ob ein Knieschluss beim Reiten erwünscht ist. Christoph Hess und Eckart Meyners sagen in beiden Fällen einstimmig „Nein“. In dem Moment wo Bein und Knie des Reiters nicht völlig locker fallen, könne der Reiter nicht mehr mit den Bewegungen des Pferdes mitschwingen. Wird das Knie gegen den Sattel gedrückt, so springen die Adduktoren an den Oberschenkel-Innenseiten an und das Becken des Reiters wird festgestellt. Bei 90 Prozent aller Reiter ist daher das Hüftgelenk fest. In dieselbe Kerbe haut Christoph Hess: „Dadurch kommt zu viel Druck auf die Oberschenkel und die Unterschenkel stehen vom Pferd weg. Einen Knieschluss brauche ich nur beim Springreiten oder in kritischen Situationen.“ Das gilt aber unter Umständen auch für rasante Western-Manöver.

Aufatmen darf auch, wer selbst durch hartnäckiges Krampfen seine Zehenspitzen einfach nicht Richtung Pferd eindrehen kann. Das müssen Sie nämlich gar nicht! „Wichtig ist, dass der Reiter eine natürliche Haltung einnimmt“, sagt Christoph Hess. „Die körperlichen Voraussetzungen eines Menschen muss man so annehmen wie sie der liebe Gott gegeben hat. Und dann das Beste daraus machen. Auf jeden Fall kommt der lockere Sitz vor dem formal richtigen.“

Steigbügel nicht zu lang schnallen!

Wer seine Steigbügel gerade noch mit den Zehen erwischt, kann nicht mehr mit dem Fuß nach unten durchfedern. Durch die viel zu langen Steigbügel streckt sich das Bein, das Knie kann nicht arbeiten und der Reiter kommt nicht zum Sitzen. Als Anhaltspunkt für die korrekte Länge des Steigbügels dient die alte Regel: Der Riemen sollte so lang sein wie der Arm des Reiters von den Fingerspitzen bis zur Achsel. Hess rät jedoch, die Länge immer wieder zu variieren – von extrem kurz bis lang. Oder auch mal ganz ohne. Aber bitte nicht länger als eine oder zwei Runden!

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