Zügelhilfen: Klassische Grundlagen helfen, auch beim Westernreiten

Westernreiter sind sich uneins: „Zügel annehmen und treiben, bis das Pferd nachgibt“, sagen die einen. „Losspielen, sobald das Pferd sich aufs Gebiss lehnt“, sagen die anderen. Doch so einfach ist es nicht. Denn korrekte Zügelhilfen sind immer abhängig von einem guten Sitz und sinnvollen Schenkelhilfen. Wie man hinterher sein Pferd in die Selbsthaltung bekommt, ist beinahe schon egal. Um die Grundlagen einer richtigen Zügelhilfe zu erlernen, lohnt ein Blick in die klassische Reitweise.

Nachfragt haben wir deshalb bei einem echten Klassiker: Kurd Albrecht von Ziegner, Jahrgang 1918, Kavallerieoffizier im Zweiten Weltkrieg, staatlich geprüfter Reitlehrer und Träger des Goldenen Reitabzeichen. Er überarbeitete Wilhelm Müselers „Reitlehre“, wirkte an den „Richtlinien für Reiten und Fahren“ der FN mit und brachte den Bestseller „Elemente der Ausbildung“ heraus. Zehn Jahre Vorsitzender der Fachgruppe Military im Deutschen Reiter- und Fahrverband. Wie man seine Zügel sinnvoll einsetzt – von Ziegner müsste es wissen.

Voraussetzung: Ein unabhängiger Sitz

„Die Reiter von heute können vielfach nicht sitzen und daher auch nicht treiben“, sagt Kurd Albrecht von Ziegner. Was das mit Zügelhilfen zu tun hat? Ganz einfach: Wer keine gute Sitzschulung an der Longe genossen hat, lernt die korrekte Handeinwirkung nimmermehr. Die Grundvoraussetzung für korrekte Zügelhilfen ist laut von Ziegner ein unabhängiger Sitz, der nicht innerhalb von drei oder vier Stunden an der Longe gelernt werden kann. Selbst im großen Sport sieht der Reitausbilder noch zahlreiche Negativbeispiele.

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Ein Reiter, der noch Sitz- und Balanceschwierigkeiten hat, hat zwangsläufig zwei Probleme: Erstens: Seine Hände sind nicht ruhig. Zweitens: Das Pferd rennt unter ihm davon weil es Angst hat. Als Ergebnis streckt der Reiter die Beine weg, macht sich steif und zieht am Zügel. „Zügelhilfen müssen aber immer in Zusammenhang mit Kreuz-, und Schenkelhilfen gegeben werden“, stellt von Ziegner klar. Und das funktioniert nur bei einem in die Bewegung eingehenden, mitschwingenden Reiter.

Rollkur in allen Reitweisen

Weil sowohl der Dressursport als auch das Westernreiten und die Barock-Reiterei in den letzten Jahren Negativschlagzeilen gemacht haben, setzt sich von Ziegner als Gründungsmitglied von „Xenophon“, der Gesellschaft für Erhalt und Förderung der klassischen Reitkultur e.V., unter anderem gegen die sogenannte Rollkur ein, auch Hyperflexion oder Low-Deep-Round (LDR) genannt. Dabei wird ein Pferd durch zu starke Handeinwirkung des Reiters mit der Nasen-Stirn-Linie hinter die Senkrechte gezogen. Dieses mechanische Aufrollen hat nichts mit „rund werden“ zu tun. Das Pferd entzieht sich lediglich dem Zügel indem es immer stärker nach hinten-unten abtaucht. Am Ende sieht das aus, als würde das Tier sich selbst auf die Brust beißen. Eine Versammlung findet dabei nicht statt.

„Diese Zwangsjackenreiterei ist eine Katastrophe für unsere klassische Reitlehre“, sagt von Ziegner. „Ein dermaßen aufgerolltes Pferd steht überhaupt nicht mehr an den Hilfen. Ist es einmal so weit, dass ein Pferd hinter dem Zügel geht, so kann das ein normaler Amateur nicht mehr korrigieren!“

Was den Einsatz der Zügel angeht, gilt also die Devise: Weniger ist mehr. Eine klassische Anlehnung, die im energisch abfußenden Hinterbein beginnt und über den schwingenden Rücken bis ins tätige Pferdemaul hinein wirkt, kann der lernende Reiter oft erst nach Jahren herstellen. Bis dahin sollte er lieber Ausbindezügel einsetzen, als dem Pferd im Maul zu reißen oder von links nach rechts zu riegeln. „Das Pferd muss die Anlehnung suchen und aufrechterhalten“, sagt von Ziegner. „Und das geht nicht über die Hände sondern aus dem treibenden Sitz heraus!“

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Klassik für Westernreiter

Westernreiter bilden ihre Pferde meist nicht über die Anlehnung aus. Hilfszügel sind eher verpönt. Doch genau deshalb sehen wir die „Zwangsjackenreiterei“ auch häufig im Westernreitsport. Weil „Zügel annehmen und nachgeben“ das Reiter-Pferd-Paar eben doch oft an seine Grenzen bringt, hat sich auch hier die Rollkur eingeschlichen und Schlaufzügel-Kadaren-Konstruktionen sind gar nicht so selten. Dann doch lieber weiter bei den Klassikern spicken, aber nicht bei den Turnierreitern, sondern bei den alten Reitmeistern:

Um die korrekte Zügelhaltung zu lernen, lässt Kurd Albrecht von Ziegner seine Schüler beispielsweise mit zwei kurzen Peitschen in der Hand reiten. Bei aufrecht stehenden Händen – die kleinen Finger sind sich näher als die Daumen – zeigen beide Peitschen nach vorwärts-aufwärts „wie die Fühler eines Käfers“. So verhindert der Ausbilder, dass seine Schüler die Hände nach innen eindrehen und „verdeckte Fäuste“ entwickeln. Das ist wichtig, weil ein Reiter mit verdeckter Faust keine Paraden aus dem Handgelenk heraus geben kann.

Wichtig sei außerdem, dass der Reiter nicht die Grundhaltung mit der geraden Linie „Ellbogen – Hand – Pferdemaul“ verlässt. Denn nur so kann er über das Gebiss gerade auf das Pferdemaul einwirken. Ein Pferd, das gegen den Zügel geht und ständig den Kopf nach oben nimmt, kann und darf also nicht vom Reiter „heruntergezogen“ werden. In solchen Fällen ist es falsch, mit tiefen Händen zu reiten. Sonst stellt sich die einfach gebrochene Wassertrense im Maul auf und rammt sich schmerzhaft in den Gaumen des Pferdes während das Gebiss nur noch auf die Laden und nicht mehr auf die Zunge wirkt. Ein Pferd ohne Sperr-Riemen am Reithalfter wird in solchen Fällen das Maul aufreißen. Eines mit Sperr-Riemen ist dem Schmerz am Gaumen hilflos ausgeliefert und nimmt als Folge den Kopf noch höher. Was also tun wenn man vor lauter Pferdehals den Hufschlag nicht mehr sieht?

Hände hoch!

Von Ziegner sagt: „Der fortgeschrittene Reiter bleibt hierbei ruhig, wird mit der Hand dem Maul folgen und das Pferd vermehrt mit Kreuz und Schenkel an die Hand herantreiben. Der Anfänger muss Ausbindezügel verwenden!“

Bei ausbalanciertem Sitz und richtiger Zügelführung kommt bei den Klassikern nun die Anlehnung ins Spiel, die die Westernreiter nicht mögen. Dabei hat korrekte Anlehnung gar nichts mit dem landläufig zu sehenden Zügelziehen zu tun. Bei klassischer Anlehnung tritt das Pferd nämlich mit der Hinterhand in Richtung Schwerpunkt unter und trägt sich selbst. Der Reiter spürt, wie der Kontakt zum Maul leichter wird. „Das fühlt sich an, als wenn man nur noch einen Faden in der Hand hat“, beschreibt von Ziegner. Zur Belohnung und zur Kontrolle der Selbsthaltung kann man dann „Überstreichen“. Dazu gibt man die Anlehnung auf und geht mit beiden Händen am Mähnenkamm entlang nach vorn in Richtung Pferdekopf. Befindet sich das Pferd in korrekter Selbsthaltung so sollte es dabei weder schneller noch langsamer werden und auf keinen Fall den Kopf hochreißen. Eigentlich gar nicht so abgefahren, oder? Die Ähnlichkeit zur natürlichen Selbsthaltung der Westernpferde ist jedenfalls frappierend!

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