Richtig Abspringen von einem panischen Pferd – so geht’s!

Kühe waren in den Augen der Trakehner-Stute schreckliche pferdefressende Monster. Leider wusste das ihr Bereiter Peter Pfister nicht. Sonst hätte er an diesem Tag vielleicht einen anderen Weg gewählt. So aber sah die Stute die Monster und tat aus ihrer Sicht das einzig Richtige: Sie rannte um ihr Leben.

Pferde in Panik hören und spüren die hilflosen Kommunikationsversuche ihres Reiters nicht mehr. Während des kopflosen Sprints über eine sehr abschüssige Wiese merkte Pfister, dass die Stute komplett „abdrehte“. Dann sah er den Elektrozaun auf sich zurasen. „Sie wird die Kurve niemals kriegen“, schoss es ihm durch den Kopf. Und dann: „Runter hier!“.

Der Ausbilder sprang ab. Was genau in den folgenden Sekunden passierte, kann er heute nicht mehr sagen. Irgendwie musste er wohl unters Pferd gekommen oder zumindest noch einen kräftigen Tritt bekommen haben. Auf jeden Fall hatte er massiv blaue Flecken und Prellungen wegzustecken. Die Stute selbst schlidderte, strauchelte, fiel wahrscheinlich kurz hin, aber stand dann wieder unverletzt auf. Der Elektrozaun blieb unberührt.

Nur im Notfall abspringen!

„Abspringen“, sagt Peter Pfister, „sollte man nur dann, wenn man merkt, dass die Situation voll in die Hose geht, dass man absolut nicht mehr im Griff hat und nichts beeinflussen kann. Nur wegen einem Bocksprung macht man das besser nicht.“

Der Pferdewirtschaftsmeister und Leiter der Reitschule Johannenhof in Heist, Johannes Beck-Broichsitter, stößt ins gleiche Horn. Die Entscheidung, abzuspringen, sei immer situationsbedingt zu fällen. Allerdings „mit der Tendenz zum obenbleiben. Für Sicherheit und Psyche von Reiter und Pferd ist es grundsätzlich besser, wenn die Situation vom Sattel aus unter Kontrolle gebracht werden kann.“ Beck-Broichsitter hat Fälle erlebt, wo Reiter mit der Zeit zu chronischen Abspringern wurden und schon beim kleinsten Zucken jäh aus dem Sattel flüchteten. Deshalb legt er seinen Schülern nahe, nur dann die Schleudersitz-Variante zu wählen, wenn man die Ausweglosigkeit einer Situation erkennt. Bei einem geübten Reiter sei das nur selten der Fall. Der Dressur-, und Vielseitigkeitsausbilder kann sich dennoch an drei Situationen in seiner Laufbahn erinnern, wo er selbst absprang. Das letzte Mal von seinem ungesattelten Trakehner in der Reitbahn. Nach einer ungewollten „Courbette in Zeitlupe“ auf die Bande zu, entschied er sich, lieber einen Abgang zur Gegenseite zu machen.

Von ungesattelten Pferden fällt es sich generell leichter und weniger gefahrenträchtig, als von gesattelten. Vom Westernsattel schlechter als vom Englischsattel. Die Stuntreiterin Suzanne Struben verfing sich mit ihrem Kostüm einmal bei einem kontrollierten Absprung im Horn ihres Trickreitsattels. Deshalb sollten Sie niemals kopflos und unüberlegt abspringen, sondern sich vorher ein paar Sekunden zum Denken geben. „Atmen Sie durch, denken Sie daran, dass Sie bei einem durchgehenden Pferd nicht permanent am Zügel ziehen sollten. Parieren Sie es stattdessen mit der ‚Stotterbremse’ und reiten Sie Volten, falls das Gelände es zulässt“, rät Struben.

Den Absprung planen

Erst, wenn alle reiterlichen Einwirkungsversuche gescheitert sind, sollten Sie Ihren Absprung planen. Für den sicheren, bewussten Sturz beim Stuntreiten schwingt man eigentlich ein Bein über den Hals. „Aber dieses Bewegungsmuster ist für die meisten Freizeitreiter vollkommen ungewohnt und wegen mangelnder Körperkoordination unzumutbar“, sagt die Fachfrau. „In einer Notsituation ist es wichtig, auf vertraute Bewegungsmodelle zurückzugreifen. Springen Sie deshalb lieber so ab, wie sie auch absitzen würden. Aber nehmen Sie vorher unbedingt die Beine aus den Bügeln!“

Wichtig sei beim Fallen außerdem, Körperspannung aufzubauen. „Schlagen Sie nicht wie Pudding auf und rollen Sie nach dem Aufprall weiter. Wir Stuntreiter sagen immer, man müsse aktiv in die Erde hineinrollen. Das mindert den Aufprall.“

Der vielleicht wichtigste Ratschlag zum sicheren Abspringen bricht mit einem alten Kavallerie-Grundsatz: Lassen Sie unbedingt die Zügel los! Peter Pfister kennt einen Fall, in dem eine Frau von ihrem Pferd ins Gesicht getreten wurde, weil sie es während des Fallens mit dem Zügel in Richtung ihres Körpers zog. Für einen Soldaten auf dem Schlachtfeld war es noch überlebenswichtig, das Pferd unter allen Umständen am Fliehen zu hindern. Für den Freizeitreiter von heute gilt das nicht mehr. In einem solchen Moment sollten Sie auch mehr an Ihre eigene Gesundheit denken, als an die des Pferdes. Halten Sie sich dabei vor Augen, dass die meisten Pferde sich ohnehin plötzlich wieder beruhigen, sobald sie den Reiter los sind.

Machen Sie sich rund!

Versuchen sie nicht, durch Abstützen mit den Händen, den Bewegungsablauf zu unterbrechen, sondern machen sie sich rund und rollen aktiv in die Fallrichtung. Die Wucht des Sturzes könnte sonst Ihre Hand- und Armknochen brechen lassen. Perfekt wäre, sich stattdessen abzurollen. Leider ist das oft leichter gesagt als getan. Korrektes Abrollen lernt man beispielsweise in einem Falltraining oder bei einem Trickreitkurs. Doch auch durch langjähriges Training hat man keine Garantie für sicheres Fallen. Selbst Profis und geübte Trickreiter wie Peter Pfister kommen bei einer so halsbrecherischen Aktion meist nicht ohne Blessuren davon. „Im Notfall fehlt es meist an Coolheit“, sagt Pfister. „Das ist auch bei mir dann eher ein Irgendwie-Runterkommen.“

Suzanne Struben fällt berufsmäßig oft vom Pferd. Und dennoch hält sie es nicht für unwahrscheinlich, in einem echten Notfall unkontrolliert herunterzupurzelten: „Wenn ein Pferd wirklich rast, ist es oft ein Glücksfall, ob man gut aufkommt oder nicht.“

Entscheidend sei im Moment eines bewussten Absprungs eher die Psyche des Reiters. Wer besonnen genug ist, mit einem „Geist ohne Zweifel“ Entscheidungen zu treffen, hat noch die größten Aussichten, mit beiden Beinen sicher auf der Erde zu landen. Im besten Fall bleibt dadurch sogar noch Zeit, sich eine geeignete Stelle zum Landen zu suchen.

Nur, wie bekommt man einen „Geist ohne Zweifel“? Johannes Beck-Broichsitter glaubt: „Wie ein Absprung ausgeht, entscheidet zu 80 Prozent der Kopf und zu 20 Prozent der Körper.“ Allein deshalb rät er jedem Reiter zur Teilnahme an einem Falltraining. Das stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Suzanne Struben erinnert sich an eine Schülerin, die panische Angst vor dem Fallen hatte. Während eines Trickreitkurses lernte sie, vom trabenden Pferd ab- und wieder aufzuspringen. Dabei kam heraus, dass das Problem der Frau gar nicht im Fallen selbst bestanden hatte. „Ich dachte immer, ich komme hier nie raus“, erkannte sie plötzlich. Die Erfahrung des kontrollierten Absprungs hatte ihr Kraft gegeben.

Hilfreicher Ausgleichssport

Kinder haben übrigens meist weder ein psychologisches noch ein körperliches Problem beim Fallen. Sie rollen sich oft von Natur aus richtig ab. Ebenso fallen sportliche, agile Personen leichter als dicke Menschen und Bürohengste. Die EWU-C-Trainerin Gesine Rathke aus Wehringen rät deshalb: „Ausgleichssport ist wichtig. Das gilt auch für Leute, die nicht viel Bodenarbeit gemacht haben. Sie sollten gleich damit beginnen und auf ihre Körperkontrolle achten. Schwimmen und Tanzen. Yoga und Chigong.“

Ganz grundsätzlich können Sie das Abspringen auch vermeiden, indem Sie schon zu Beginn der Probleme absteigen. Scheut Ihr Pferd vor einem Holzstoß im Wald, wird es hektisch oder beginnt, sich hochzuschaukeln, so vergeben Sie sich nichts, wenn Sie die Situation lieber vom Boden aus klären. „Ich habe noch nie erlebt, dass es von Nachteil ist, abzusteigen und von unten weiterzumachen“, sagt die Barock- und Tellington-Ausbilderin Barbara Heilmeyer vom Fasanenhof in Bruchsal. „Zeigt ein Pferd unerwünschtes Verhalten, so muss jeder Reiter selbst entscheiden, ob er sich mit diesem Problem im Sattel oder am Boden wohler fühlt. Er sollte einfach das machen, was er besser kann.“

Wer absteigt, muss nicht fürchten, dadurch bei seinem Pferd die Chefrolle zu verlieren. Das ist laut Heilmeyer nur dann der Fall, wenn man sich als Reiter der Situation entzieht, und stattdessen das Pferd grasen lässt oder nach Hause führt. Muss sich das Pferd aber weiterhin mit dem Scheuobjekt auseinandersetzen, so drohen keine negativen psychologischen Konsequenzen.

Wann sie absitzt und wann nicht, entscheidet Barbara Heilmeyer je nach Pferd anders. Tiere, die durch einen heftigen Reiter zum Problempferd wurden, reagieren zum Beispiel viel besser auf Bodenarbeit. Pferde von ängstlichen, zurückhaltenden Reitern müssen unter Umständen lernen, dass auch mal jemand oben bleibt. „Früher habe ich Probleme sehr viel vom Boden aus gelöst. Mittlerweile korrigiere ich meist von oben“, sagt Barbara Heilmeyer. Auch Peter Pfister findet: „Man muss irgendwann auch mal vom Sattel aus durchkommen.“  Wann dieser Punkt gekommen ist, entscheiden Sie allerdings selbst.

 

Abspringen sollten Sie, wenn…

… das Pferd zu fallen droht
… das Pferd kopflos auf eine Autobahn, einen Stacheldraht oder ein sonstiges gefährliches Hindernis zurast
… das Pferd unausbalanciert und hektisch steigt
… eine andere, vollkommen unkontrollierbare Situation auftritt

Den Kopf schützen

Beim Sturz oder Absprung vom Pferd ist es besonders wichtig, dass der Reiter seinen Kopf schützt. Grundsätzlich ist in diesem Fall ein hochwertiger Reithelm unentbehrlich. Doch auch der mildert Stürze nur ab. Achten Sie deshalb wenn möglich darauf, niemals spitz mit dem Kopf auf die Erde zu schlagen. Schützen Sie Ihren Kopf daher, indem Sie sich beim Sturz zusammenrollen. Rollen Sie auf der Erde weiter, um die Sturzenergie nicht auszubremsen. Suzanne Struben’s Leitsatz dazu: „Der Kapitän bleibt bis zum Schluss am Bord. Erst wenn das Schiff wirklich untergeht, darf er den Rettungsring nehmen! Die nötigen Bewegungen macht man übrigens oft instinktiv aus Reflex. Geben Sie diesen Instinkten nach!

 

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