Kitty Grätzer: Bosalreiten in der klassisch-kalifornischen Reitweise

WesternreitenFragt man Kitty Grätzer, wie Bosalreiten geht, dann seufzt sie und antwortet: „Die ganze Sache ist sehr komplex.“ Die meisten Reiter, die ihre Kurse besuchen, kommen um ihrem Pferd etwas Gutes zu tun, wollen an einem Wochenende lernen, die „böse Trense“ gegen ein sanftes Rohhaut-Nasenstück zu tauschen. „Aber darum geht es überhaupt nicht“, sagt die klassische Reiterin. „Das Bosalreiten ist eine eigene Philosophie. Und wenn man mit dieser Zäumung nicht korrekt umgeht, ist sie sogar ziemlich scharf.“

Ganz besonders sind der Ausbilderin diejenigen Reiter ein Dorn im Auge, die nur zum Westernturnier eine Bosalzäumung anlegen, um einen guten Eindruck zu machen. Denn wer wie Grätzer Pferde traditionell kalifornisch ausbildet, braucht rund zehn Jahre, bis sie „so richtig ready“ sind. In dieser Zeit durchlaufen die Tiere mehrere Jahre Ausbildung in reiner Hackamore-Zäumung. Hackamore nennt sich das komplette Konstrukt aus dem Nasenteil (Bosal), dem Genickstück und der Mecate – ein aus Mähnen- oder Schweifhaar geflochtenes Seil.

Dicke und dünne Bosals

Zuerst wird mit einem dicken, dann mit einem mittleren und schließlich mit einem dünnen Bosal geritten. Zeigt das Pferd an einem Trainingspunkt Widerstand, so geht Kitty Grätzer vorübergehend wieder zum dickeren Bosal zurück. Und wie funktioniert das nun?

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„Wenn Sie mit einer Wassertrense rechts Stellung geben, beeinflussen Sie damit direkt den rechten Mundwinkel“, erklärt Grätzer. „Beim Bosal aber beeinflussen Sie stattdessen den gegenüberliegenden, also linken, Sidebar. Das heißt, Sie können ein Pferd nur dann stellen, wenn Sie den Zügel seitlich, lateral einsetzen. Viele Reiter ziehen stattdessen nach hinten. Dann fühlt das Pferd einen ziehenden Druck auf der Nase, den es nicht versteht, und lehnt sich dagegen.“ Stattdessen erfolgt die Signalgebung einerseits durch laterales Stellen und Zupfen an der Mecate, was bewirkt, dass das Bosal auf Nase und Kinn Impulse abgibt und auf dem Nasenrücken gleichzeitig eine Rotation des Nosebutton stattfindet. Dies veranlasst das Pferd dem Druck nachzugeben, sich zu versammeln.

„Auf diese Weise kann man ein Pferd gleichzeitig biegen, heben und versammeln, natürlich immer unterstützt durch die treibenden Hilfen“, sagt Kitty Grätzer. Entgegen der landläufigen Meinung dürfen die Zügel nie völlig durchhängen. Galoppiert man am langen Zügel mit Hackamore-Zäumung, so schlagen das harte Bosal und der schwere Knoten der Mecate am Kinn dem Pferd unkontrolliert ums Gesicht. Wie gesagt: „Die ganze Sache ist sehr komplex.“ Es braucht viel Technik, Finesse, Feingefühl und Geduld, bis man ein Pferd korrekt mit Bosal reiten kann. Viele ehemaligen Kursteilnehmer von Mike Bridges und Kitty Grätzer haben ihre 600 Euro teuren Bosals mittlerweile als Reiterstübchen-Dekoration aufgehängt und verwenden wieder eine Wassertrense.

Rückwärtsziehen funktioniert nicht

Verglichen mit der Trensenzäumung hat das gebisslose Bosal laut Grätzer den Vorteil, dass das Pferd schneller leicht auf der Vorhand wird und Last auf die Hinterhand aufnimmt. Der Nachteil: Wer als Reiter nicht korrekt damit umgeht, stumpft das Pferd ab. Wer rückwärts zieht, hat keinerlei Einfluss mehr.

Für Verfechter der klassisch-kalifornischen Reitweise muss das Bosal eines Tages trotz allem verschwinden. Denn Reiten kann man damit nur beidhändig. Ein Vaquero, dessen Aufgabe es ist, vom Pferd aus ein Rind zu fangen, benötigt eine einhändige Reitweise und die funktioniert nur mit Kandare. Deshalb ist auch für Kitty Grätzer die gebisslose Zäumung zwar der Weg aber nicht das Ziel. Hat das Pferd sein Bosal-Abitur, nach ca. fünf Jahren, bestanden, so wird es direkt auf ein mildes Low Port-Stangengebiss in Two Reins-Führung – vier Zügel in einer Hand – umgestellt. Die Krönung dieser Reitweise endet nach 8-10 Jahren im Spade Bit.

Immer wieder schleichen sich Bosals, Glücksräder und Sidepulls auch in den englischen Turniersport ein. Es gibt Berufs- und Sportreiter, die zumindest im Training eine gebisslose Zäumung verwenden. Kitty Grätzer begleitete über viele Jahre eine Dressurreiterin und ihre „Rollkur-Stute“. Als die Frau verstanden hatte, wie das Bosal funktioniert, steig sie weinend vom Pferd und sagte: „Seit drei Jahren habe ich mein Pferd nicht mehr so geritten.“ Mittlerweile kommt die Kandare nur noch am Turniertag ins Maul – und die Stute läuft erfolgreich. Auch der S-Springreiter Jürgen Krakow lenkt sein Pferd Looping mit Bosal durch den Parcours. Eine Tatsache, die in Deutschland Missfallen erregte, weshalb Krakow schließlich nach Österreich umzog. „Ich will, dass mein Pferd sich von alleine balanciert“, erklärt er seine Entscheidung. „Ich halte es vorne nicht fest. Davon verspreche ich mir eine bessere Bascule. Mit Gebiss konzentriert sich das Pferd oft nur aufs Gebiss und nicht auf den Sprung. Hier wird es von nichts abgelenkt.“

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