Frage: „Nach einigen Jahren als Reitbeteiligung habe ich mir vor kurzem ein junges, angerittenes Pferd gekauft. Ich möchte vor allem ins Gelände reiten, habe jedoch festgestellt, dass das Pferd gar nichts kann. Es zappelt am Anbindeplatz herum und fürchtet sich vor allem. Wenn ich es von anderen Pferden wegführe, wird es hektisch und wiehert laut. Ich fühle mich überfordert.“ Ursula K.
Antwort: Viele Reiter schaffen sich eigene Pferde an, obwohl sie dafür eigentlich noch nicht das Rüstzeug haben. In der Ausbildung sollte der Reiter zunächst ein Lehrpferd haben, um mit ihm ganz allmählich das zu erlernen, was er hinterher „seinem“ eigenen Pferd beibringen möchte – so die Ideal-Konstellation! Doch ich weiß natürlich, das die Realität oft anders aussieht.
Ehe wir beginnen, Pferde selbst auszubilden, ist es empfehlenswert, dass wir über einen längeren Zeitraum unter Leitung von Ausbildern gut ausgebildete Lehrpferde geritten und den Umgang erlernt haben. Je vielfältiger diese Lehrpferde waren – jünger, älter, gehfreudig, phlegmatisch, mit schwungvollen Bewegungen ausgestattet – desto leichter fällt es uns später, ein eigenes Pferd selbst zu schulen. Die Schulung eines eigenen Pferdes sollte nicht nur vom Sattel aus erfolgen, sondern in gleicher Weise auch am Boden.
Hierzu ein wichtiger Hinweis, der uns nachdenklich stimmen sollte: Die meisten Unfälle passieren nicht beim Reiten, sondern bei der Pferdeversorgung im Stall oder auf der Weide, beim Führen, Anbinden… Das heißt für uns: Dem Umgang mit dem Pferd müssen wir mehr Bedeutung schenken.
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In früheren Generationen hatte das „Horse Handling“ einen sehr viel höheren Stellenwert, als dies heute der Fall ist. Viele von uns heutigen Reitern setzen sich nicht genug mit dem „Individuum Pferd“ auseinander. Nur wenige Reiter versetzen sich in die Situation ihres Pferdes und bemühen sich, dessen Natur wirklich zu verstehen. Reaktionsweisen, die Pferde z.B. beim Fertigmachen zum Reiten zeigen, werden oft aus Sicht des Menschen interpretiert. Formulierungen, wie „der sieht mich heute ganz lieb an“, „der mag mich“ oder „der scheint heute schlecht gelaunt zu sein; hat wohl schlecht geschlafen“ hört man immer wieder.
Nicht vermenschlichen
Wir Reiter vermenschlichen oftmals unser Pferd. Bestimmte Abwehrreaktionen des Pferdes, wie das Anlegen der Ohren oder das Zuwenden der Hinterbeine in der Box werden dagegen oftmals nicht beachtet bzw. vom Reiter nicht richtig interpretiert.
Es ist wichtig, dass das Pferd von vornherein lernt, den Reiter zu respektieren. Der Reiter muss die Position des „Alphatieres“ innehaben und darf auf keinen Fall in die Rolle des dem Pferd Untergeordneten „degradiert“ werden. Die Rolle des Leittiers wird der Reiter nur dann einnehmen können, wenn er dem Pferd gegenüber als „Fachautorität“ auftritt/auftreten kann. Je besser der Reiter selbst ausgebildet wurde, desto besser wird er sein Pferd reiten und am Boden betreuen können und desto mehr wird sein Pferd ihn als hierarchisch übergeordnet akzeptieren. Pferde akzeptieren von ihrer Natur her Hierarchien, benötigen sie sogar, um sich entsprechend zu orientieren. Fehlt ihnen diese Orientierung innerhalb eines hierarchischen Gefüges, dann können sie für uns Menschen zum Teil schwer nachvollziehbare Reaktionen zeigen, die für uns echte Gefahren mit sich bringen.
Immer mit Führpferd
Die Ausbildung eines jungen Pferdes sollte zusammen mit einem älteren Pferd erfolgen. Unsere Pferde sind Herdentiere und fühlen sich in der Gemeinschaft – in der die Hierarchien geklärt sind – wohl und vor allem geborgen. Ein Pferd, das Geborgenheit spürt, vertraut seinem Reiter und zappelt z.B. beim Anbinden nicht herum oder fürchtet sich nicht vor allem. Das erfahrene, ältere Pferd gibt Ihrem jungen Pferd die erforderliche Sicherheit.
Das Pferd versteht zunächst nicht, was Sie als Reiter von ihm verlangen. Es wird den Schenkel nicht als vorwärts treibende Hilfe akzeptieren, es wird nicht wissen, auf welche Hilfe hin es wenden soll. Ihr Pferd wird zu Beginn der Ausbildung häufig deshalb Widerstände zeigen, weil es Sie als Reiterin nicht „versteht“. Je wohler sich Ihr Pferd fühlt, je mehr es „Ihre Sprache erlernt hat“, desto problemloser wird es seine ihm gestellten Aufgaben erfüllen. Das heißt für Sie: Auf der einen Seite müssen Sie als Reiterin die Sprache Ihres Pferdes verstehen, auf der anderen Seite muss das Pferd „Ihre Sprache“ kennenlernen.
Wiehern aus Unsicherheit
Oberste Maxime muss es sein, dass Ihr Pferd sich wohl fühlt und Ihnen vertraut. Dieses (Ur-)Vertrauen ist die Basis dafür, dass Ihr Pferd zufrieden ist und sich reiten und im Umgang händeln lässt. Hektische Verhaltensweisen und lautes Wiehern sind eindeutige Indizien dafür, dass Ihr Pferd unsicher ist, sich einsam – nicht verstanden! – fühlt. Dort, wo Pferde sich wohl fühlen, wo Geborgenheit herrscht, sind sie in der Regel ruhig und ausgeglichen. Für Sie als Ausbilder eines jungen Pferdes bedeutet dies: Zunächst müssen Sie sich fragen, wie habe ich mich verhalten, wenn mein Pferd hektisch und zappelig wurde? Bitte suchen Sie zuerst die Ursache für diese Verhaltensweise bei sich – auf keinen Fall bei Ihrem Pferd.
Hilfe vom Ausbilder
Lassen Sie mich Ihnen zum Abschluss einen Rat geben: Die alten Meister wussten sehr genau, warum sie stets erfahrene Reiter auf junge, unerfahrene Pferde gesetzt haben. Nur der erfahrene Reiter wird wissen, welche Anforderungen er seinem sich in der Ausbildung befindlichen Pferd stellen kann und darf. In Ihrer Situation hilft nur eines: Sie benötigen einen Ausbilder, der Ihre Ausbildung und die Ihres Pferdes intensiv begleitet. Sie sollten sich diesen Unterricht in der Tat etwas kosten lassen. Denn ohne diese Unterstützung werden Sie mit Ihrem Pferd immer wieder in Sackgassen geraten und kritische, gefährliche Situationen erleben. Es muss deshalb Ihr Ziel sein, nicht die Symptome (Wiehern, Zappeligkeit) zu beheben, sondern Sie sollten versuchen herauszufinden, was die eigentlichen Ursachen dafür sind. Nur dann, wenn Sie die Ursachen behoben haben, werden Sie auch die derzeitigen negativen Symptome in den Griff bekommen.