Beleuchten wir eine Momentaufnahme einer großen Showveranstaltung mit Pferden. Einige gekonnte Darbietungen mit Reiterquadrillen finden mäßigen Applaus, eine Freiheitsdressur mit einem knackigen schicken und bunten Appaloosa-Wallach kitzelt das Publikum schon etwas mehr aus der Reserve. Dann kommt er herein der weiße Hengst mit seinem in spanischer Montur gekleideten Reiter. Die wehende Mähne erinnert an die Meeresgischt und reihenweise sinken gedanklich die Mädels am Rande des Geschehens in Ehrfurcht nieder. Sie wissen nur zu gut, dass ihnen die Fläche für die Hengsthaltung fehlt, dass ihre rossigen Stuten plötzlich kein Interesse mehr an Bahnfiguren hätten und dass sie dem edlen Tier nicht den artgerechten Lebensraum geben könnten, der ihm zusteht. Doch der große – vor allem weibliche – Traum vom Hengst bleibt.
Nichts geht über eine gute Kinderstube
Ein Blick in eine natürliche Herde bringt Klarheit zur Erläuterung der Instinkte, die einen Hengst zu dem machen, was wir oft auf Veranstaltungen bei unerzogenen Pferden oder im Gelände bei Machtspielchen der Hengste mit ihren Reitern erleben: Die Leitstute führt die Tiere zu neuen Weidegründen und erzieht nicht nur die Youngster im Herdenverband. Der Haremshengst beaufsichtigt seine Damen und die Fohlen und verteidigt sie gegen Nebenbuhler. Jede Kleinigkeit muss ihm auffallen und stets ist er präsent. Das typische „Flehmen“ wendet er nicht nur an, wenn eine Stute rossig ist, sondern auch um Außergewöhnliches exakt zu prüfen. Junge Hengste leben in Junggesellengruppen zusammen und warten darauf, geschlechtsreif zu werden. Sie lernen in unterschiedlichen Spielen mit ihrer Kraft umzugehen und sich einem sozialen Gefüge unterzuordnen. Alte Hengste, die ihren Harem an einen jüngeren Chef abgeben mussten oder die einfach zu alt sind, streifen am Rande dieser Gruppierungen umher und führen ein Leben als Einzelgänger, bis das Zeitliche sie segnet.
Unter der Obhut des Menschen lernt der junge Hengst meistens nicht, im Junggesellenverband seine sozialen Kontakte zu pflegen, sich einer Ordnung zu fügen und diese auch beim Menschen anzuerkennen. Er wird „asozial“ im wahrsten Sinne des Wortes, obwohl ihm das von seiner Natur her völlig fern ist. Er kann sich glücklich schätzen, wenn er mit anderen Pferden auf die Weide darf, aber diese sind ausgewachsen und verstehen seine Spiele nicht mehr. Er eckt an, wird abgewiesen und vielleicht entsteht noch eine kleine Freundschaft mit einem Wallach – zumindest ein Lichtblick im Dunkel seiner Erziehung.
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In südlichen Ländern entsteht diese Schwierigkeit in der prägenden Phase überhaupt nicht. Aus Tradition werden die Pferde bis zum Alter von vier Jahren in Junggesellenherden auf großen und teilweise kargen Flächen gehalten, damit sie langsam heranwachsen und ihre Trittsicherheit ebenso wie die Charakterfestigkeit ausbilden können. Noch besser ist es, wenn die Pferde bis zum Alter von fünf Jahren in Ruhe gelassen werden und nur ab und zu für Grunderziehungsmaßnahmen aus dem Herdenverband getrennt werden. Regelmäßige Hufpflege, Berührung an allen Körperteilen und das Üben des Anbindens erleichtern später die Arbeit für den Reiter und das Stallpersonal.
Erziehung mit Regelmäßigkeit und Klarheit
Grundsätzlich ist der Umgang mit einem Hengst nicht schwierig, vorausgesetzt der Rang zwischen Mensch und Tier ist geklärt und der Mensch hat das Sagen. Niemals würde ein rangniederes Tier ein ranghöheres rempeln, ihm auf den Huf treten oder vorstürmen – das ist in der Herde ganz klar geregelt. Jedes Pferd, und hier ist der Hengst keine Ausnahme, muss lernen, dass sein Eigentümer gleichzeitig auch sein Chef ist und dies in absolut jeder Situation. Es wird nicht gebettelt und nicht gezwickt, unnötiges Wiehern nach Stuten ist untersagt und wenn ein Hengst decken darf, dann auch nur an dem für ihn angestammten und bekannten Platz und mit Kappzaum, damit er weiß, was ihn erwartet. Er lebt und liebt Regelmäßigkeit und Klarheit, ist mit ordentlicher Erziehung ein Schmuckstück und unter dem Sattel eine Zier.
Wie gehe ich aber damit um, wenn mein Prachtexemplar von diesem Elitehengst noch weit entfernt ist? Ein Beispiel aus der Praxis: Nehmen wir einmal an, ein Hengst beißt wenig spielerisch in Ihren Arm. In diesem Fall müssen Sie sofort reagieren. Ein gezielter kurzer Schlag (und nur ein einziger!) auf die Nasenspitze des Pferdes mit einem klaren „Nein!“ wirkt oft Wunder. Mehr braucht es meistens nicht. Ihre Körpersprache und Ihre Mimik verraten dem Pferd, dass Sie es ernst meinen. Wenig später ist alles wieder ganz normal und auch der Mensch wieder gut drauf. Pferde sind nicht nachtragend, vergessen aber Klarheit im Umgang nicht und leben in diesem Vertrauen sehr gut. Vertrauen bedeutet auch, dass eine kleine und kurze Strafe folgt, wenn der Hengst wieder einmal testet, ob die Latte des Menschen immer noch genauso hoch liegt, wie er es in den letzten Wochen erlebt hat.
Oder stellen Sie sich vor, Ihr Hengst tritt beim Hufe auskratzen mit dem Hinterbein nach Ihnen. Eine klare Form der Missachtung der Rangordnung und diese muss sofort klar und eindeutig wieder hergestellt werden. Ein gezielter Fußtritt ans Hinterbein (keine Verletzung verursachen!) bringt Klarheit oder ein gezielter Hieb (nur einer!) mit einer Gerte erzielt die gleiche Wirkung. Was nicht funktioniert: Erst aus der Box laufen, eine Gerte suchen, diese endlich finden und dann ein Schlag – das Pferd würde ernsthaft in seinem Vertrauen verletzt und würde den Zusammenhang zwischen dem Ungehorsam und der Strafe nicht herstellen können. Pferde denken in sehr kurzen Sequenzen und nicht über drei Ecken wie wir Menschen. Zusammenhänge sind für sie in dieser Form nicht erkennbar und führen zu Missverständnissen.
Sind die Verhältnisse zwischen Pferd und Mensch geklärt, so stoßen die meisten Hengstbesitzer direkt auf das nächste Problem. Selbst wenn Sie eine sicher eingezäunte Koppel mit einer Zaunhöhe von 1,40 Metern und genügend Strom finden sollten – Leider erklärt sich oft niemand bereit, seinen Wallach als Gesellschaft zu dem „wilden Macho“ zu stellen. In diesem Fall müssen Sie sich damit begnügen, dass Ihr Pferd Sicht- und Riechkontakt zu Artgenossen hat und eben selbst für die nötige Abwechslung sorgen, damit der edle Herr auch geistig gesund bleibt. Diese Abwechslung besteht vor allem aus Bodenarbeit und Reiten.
Der ganze Stolz unter dem Sattel
Ist die reiterliche Ausbildung des Hengstes gut verlaufen und hat er außerdem in seiner Lehrzeit keine negativen Erlebnisse machen müssen, so kann ein junger Hengst genau wie eine Stute oder ein Wallach zu einem verlässlichen Reittier werden – oft sogar leistungswilliger und sportlicher als seine andersgeschlechtlichen Artgenossen. Steigern Sie alle Aufgaben immer nur in „homöopathischen Dosen“ und lassen Sie Ihrem Hengst Zeit, den Ernst des Lebens kennen zu lernen. Dazu gehören nach einiger Zeit auch die ersten Ausritte in Begleitung von rossigen Stuten und Besuche bei Turnieren – zunächst nur als Besucher am Rande. So lernt Ihr Hengst, was es Neues zu sehen gibt, dass Nebenbuhler auf dem Platz für ihn tabu sind und dass sein Mensch auch hier nach wie vor der Chef ist.
Hengste sind keine unbekannten Wesen und das Leben mit ihnen kann mehr als angenehm sein. Oftmals werden sie leider vom Menschen zu dem gemacht, was sie manchmal sind – ungezogen, gefährlich und unberechenbar. Das aber alles nur, weil sie nicht annähernd artgerecht gehalten, weil sie weggesperrt und glorifiziert werden. Wer täglich mit seinem Hengst arbeitet, ihm genügend Abwechslung bietet und ihm die Gesellschaft von Artgenossen, wenn auch nur Auge in Auge, bietet, hat schon viel getan auf dem Weg zum glücklichen Pferd und zum glücklichen Menschen!