Die Wahrheit über Ritterturniere: Schlechte Reiter und blutiger Tjost

Man kennt das aus Filmen: Zwei Ritter (ein armer aber aufrechter Landmann und ein verkommener, adeliger Bösewicht) konkurrieren um die Gunst derselben Dame und beweisen sich im edlen Wettstreit eines Turniers. Höhepunkt der sich zuspitzenden Auseinandersetzung (der Held wird verletzt weil der Schurke mogelt) ist der „Tjost“, der berittene Zweikampf mit der Lanze. Die Fanfaren erklingen, die Rüstungen glänzen, die Ritteraugen verengen sich zu Schlitzen, die schweren Rosse preschen aufeinander los, Holzlanzen zerbrechen an Brustpanzern, und als sich die Staubwolke in der Arena gelegt hat, findet sich der Bösewicht am Boden liegend, während der rechtschaffene Gewinner von der edlen Dame den Siegerpreis entgegen nimmt, dessen symbolischer Charakter ihm Lohn genug ist. Der inkognito anwesende König ist ergriffen und schlägt den Landmann zum Ritter aus Ehren.

Ritterlichkeit und Ehrgedanken prägten die frühen Turniere

So weit die Theorie. Ein Blick in die reale Geschichte: Mit der Etablierung des Ritterstands im elften Jahrhundert setzten sich an den europäischen Höfen ein neuer Lebensstil und ein neuer Ethos durch. Kern der ritterlichen Lebensweise war die „mâze“ durch „zuht“ – das Maßhalten in allen Dingen, erreicht durch Erziehung und Selbstzucht. Treue, Demut, Großzügigkeit, Würde, Beständigkeit, Tapferkeit, Freundlichkeit und ein heiteres Gemüt galten ebenfalls als ritterliche Tugenden. Das Turnier, das sich im Hochmittelalter aus den ursprünglichen Waffenübungen entwickelte, bot den Rittern die Gelegenheit, diese Tugenden unter Beweis zu stellen.

Als eigentlicher Erfinder des höfischen Turniers gilt der westfränkische Ritter Godefroi de Preuilly: Er soll maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, um 1066 aus den notwendigen Übungskämpfen der Ritter eine reine Zurschaustellung des Kampfgeistes und des Mutes („pro solo exercitio, atque ostentatione virium“) zu machen. 1688 beschreibt der Historiker und Philologe Charles de Cange das „Tourneamentum“ in seinem Glossarium, einem frühen Wörterbuch, als kriegerische Übung, die „nicht in feindseligem Geist ausgeführt“ wird („nullo interveniento odio“).

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Trotzdem endeten die Turniere im Tjost (Zweikampf) und im Buhurt (Gruppengefecht) oft blutig oder gar tödlich. Auch als die Waffen entschärft und das Regelwerk verbessert wurden, blieben die Turniere nicht ungefährlich. Dennoch – oder vielleicht auch gerade deswegen – erfreuten sie sich zunehmender Beliebtheit und wurden bald mit Pracht und Prunk ausgerichtet. Der Ablauf folgte klaren Regeln und höfischer Etikette.

Turniere trieben viele Ritter in den Ruin

Doch allmählich entarteten die Turniere. Immer mehr Prunk war nötig, um überhaupt teilnehmen zu können, und die Kosten für die vielfältige Spezialausrüstung trieb manchen Ritter in den Ruin. Den Ausweg sahen viele darin, das Lanzenbrechen kommerziell zu betreiben: Die Berufs-Turnierreiter traten auf den Plan. Waren sie früher noch um die Ehre geritten, so gaben sie sich nun nicht mehr mit dem Kuss oder dem Tüchlein einer Jungfrau zufrieden.

Die Berufs-Tunierritter brauchten Geld – und sie nahmen es sich. Der Überwundene musste Pferd und Rüstung gegen ein hohes Lösegeld beim Sieger eintauschen; tat er das nicht freiwillig, wurde nachgeholfen. Viele Ritter führten Knechte mit, die mit eisenbeschlagenen Keulen auf Zahlungsunwillige einschlugen.

Die Turniere sanken auf das Niveau gemeiner Prügeleien herab; die Wirkung auf das Publikum war vielen Teilnehmern wichtiger als die Pflege ritterlichen Anstands. Beim Turnier zu Ehren der Hochzeit König Kasimirs IV. von Polen (1447 – 1492) trugen die Ritter mit Rotwein gefüllte Schweineblasen unter ihren Rüstungen. Bei einem Lanzentreffer des Gegners sollten diese „einen Schwall roten Blutes“ über die Rüstung ergießen.

Adel verpflichtet? Der Niedergang des höfischen Turniers

Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts endete die Zeit der großen Turniere allmählich. Ihr Glanz war bereits vorüber, die Turniere nur noch wüste Raufereien und kostspielige Volksbelustigung. 1609 gibt Georg Engelhard von Löhneysen in seinem Werk „Wie man Jung vom Adel aufziehen soll“ noch einige Empfehlungen für das Verhalten beim Turnier, bei denen es Godefroi de Preuilly und den ersten Rittern wohl die Nackenhaare aufgestellt hätte. Als „alt Reiterstücklein“ rät er etwa, „ mit einem Streitkolben versehen, den anderen hinterrücks vom Ross“ zu schlagen oder dem Gegner mit dem Schwert um den Hals zu fallen und diesen beim Fortreiten „vom Ross hinab zu reißen“.

Nicht nur Ritterlichkeit suchte man auf solchen Veranstaltungen vergebens – auch die Reitkunst war Mangelware. Die Pferde schleppten Zentnerlasten; die schwer gepanzerten Recken standen mit gestreckten Beinen im hochlehnigen Stehsattels ihrer wuchtigen Streitrosse. In dieser Haltung hatte der Ritter wenig Einflussmöglichkeiten auf sein Reittier: Man verließ sich auf lange Sporenspieße und martialische Kandarengebisse.

Heute erlebt das höfische Turnier auf Mittelalterveranstaltungen eine Rennaissance und zieht zuverlässig Schaulustige an. Nur selten wird dabei „getjostet“; einen Buhurt bekommen Zuschauer kaum je zu sehen. Stattdessen wird wieder mehr Wert auf Reitkunst gelegt: In verschiedenen Disziplinen wie Ringestechen oder Lanzenwerfen messen sich die nobel gewandeten Ritter (und, historisch nicht ganz einwandfrei, auch Ritterinnen) und stellen Geschick und Können unter Beweis. Ganz nach der ursprünglichen Tradition des Ritterturniers wird dabei meist „nur“ um die Ehre geritten.

Große Ritterturniere mit Schauwettkämpfen, Festumzug, Tjost und Gauklerprogramm werden regelmäßig auf Schloss Kaltenberg in Oberbayern ausgetragen. Das Kaltenberger Ritterturnier wurde 1979 von Luitpold Prinz von Bayern initiiert und findet jedes Jahr an drei Juliwochenenden statt.

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