Ausbildung von Stuntpferden: Welche Pferde sich dafür eignen

John Hagner wurde in Baltimore geboren, zu einer Zeit, als das Wort „Stuntman“ noch nicht im Lexikon stand. Er hat es miterlebt, das „Golden Age of Stunting“, wie er die Zeit der alten Western nennt. Hagner doubelte Gregory Peck und John Wayne, wurde erschossen, hinterhergeschleift und abgeworfen, tausendmal bestimmt. „Wir machten alles ohne Special Effects und Computer, wie das heutzutage üblich ist“, sagt er. Trotzdem brach er sich nicht einen einzigen Knochen. Lediglich „viele Schnittwunden, Quetschungen und Rückenschmerzen“ musste er einstecken.

Schon zu Hagners Zeit war es verboten, Pferde durch Fallstricke zum Stürzen zu bringen. Die Stuntmen hatten ihre eigenen Pferde, die sie einem speziellen Falltraining unterzogen. Die Tiere gingen auf Kommando aus vollem Galopp zu Boden, indem man ihnen mit dem Zügel den Kopf zur Seite zog. Wer genau hinschaut, kann das in fast jedem Western sehen.

Fallen kann das Pferd „versauen“

Heutzutage sind solche Szenen seltener geworden, weil das Western-Publikum fehlt und Tierschutz größer geschrieben wird. Trick- und Stuntreiter wie Dr. Steve Szigeti von „Stunt Operations“ aus Kerpen können mit ihren Pferden zwar fallen, tun es aber nur bei ausgewählten Produktionen. Für die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg, wo Szigeti Stuntkoordinator ist, lehnte er einen entsprechenden Auftrag ab. „Ich bin nicht bereit, mein Pferd zu versauen, weil es sich über mehrere Wochen täglich zwei Mal hinschmeißen muss“, sagt er. Selbst in großen US-Produktionen wie „Eragon – der Reiter der blauen Drachen“ und „Königreich der Himmel“ duldete der Stuntman höchstens zwei Wiederholungen eines Pferde-Sturzes. „Sollte mein Pferd sich jemals verletzen, macht es das nie wieder“, erklärt er.

Nur eines von zehn Stuntpferden lernt überhaupt das Fallen, das als Königsdisziplin unter den Pferdestunts gilt. Szigeti weiß genau, welche Tiere sich dafür eignen: „Zum Beispiel solche, die sich beim Wälzen immer regelrecht hinschmeißen. Kleine, kompakte, muskulöse Pferde mit nicht allzu langen Beinen.“ Mit ihnen wird zuerst das Hinlegen im Stehen geübt, dann im Schritt, im Trab und schließlich im Galopp. Der Boden muss dafür speziell präpariert werden, damit das Pferd weich fällt. Das Kommando für den Sturz ist wie in alten Zeiten ein Zurückziehen des Zügels. „Das sieht ein bisschen brachial aus“, weiß Szigeti. „Das Pferd braucht diese Hilfe aber – ohne geht es nicht.“

Erfahrene Stuntleute wissen genau, aus welchen Tieren sie einen Actionhelden machen können. Sandor Czirjak, Inhaber des Pferdestunt-Stuntteams aus Pulheim sagt: „Das Pferd muss ehrlich, nervenstark und lernbereit sein. Für unsere Sache sind schwer bewegliche Pferde nichts. Wir brauchen echte Tausendfüßler – leichtfüßige Tiere zwischen 155 und 162 cm. Ich arbeite gerne mit Ungarischen Vollblütern. Die kommen damit zurecht, wenn sie während eines Drehs mal zwei Stunden lang kein Wasser kriegen.“

Stuntpferde sind Spezialisten

Nicht jedes Pferd muss alles können. Manche von Czirjaks vierbeinigen Stuntmen sind darauf spezialisiert, durchs Feuer zu gehen, andere können gut schwimmen oder spielen 20 Minuten lang „tot“, ohne mit der Wimper zu zucken. Stürze trainiert Czirjak ebenfalls ungern, weil er es als unnatürlich für das Pferd empfindet. „Man muss dabei stärker anpacken und da kann auch mal eine Verletzung entstehen“, sagt der gebürtige Ungar.

Das Training des Stuntpferdes beginnt ganz unspektakulär mit einer Grundausbildung. Dazu gehören Longieren, Arbeit an der Hand, Cavaletti-Training und Geländereiten ebenso wie Seitengänge und Rückwärtsrichten. „Die dressurmäßige Grundausbildung muss stimmen“, sagt Dr. Steve Szigeti. „Viele Stuntreiter haben keine Ahnung davon und lassen die Pferde im Kreuzgalopp herumrennen. Unkoordinierte Bewegungen des Pferdes können in unserem Job aber gefährlich sein: Springt das Pferd plötzlich einen Galoppwechsel, während ich im Sattel stehe, dann falle ich runter. Hat es nicht gelernt, sich auszubalancieren und ich hänge seitlich am Sattel, so fällt es einfach um.“

Erst nachdem das Pferd sicher und geradegerichtet in natürlicher Selbsthaltung laufen kann, kommt Action in sein Training: Der Reiter steht im Sattel oder setzt sich hinter ihn, baumelt an seiner Seite, springt rauf und runter. Trickreiten nennt sich das. Auf Galashows treten Trickreiter oft als Kosaken oder Cowboys auf und vollführen spektakuläre Sprünge oder Stürze vom Pferd. Dieses muss während der ganzen Zeit im selben Tempo geradeaus galoppieren und sein Gewicht enorm auf eine Seite verlagern, wenn der Reiter an der anderen hängt.

Außer Trickreiten lernen Stuntpferde noch Zirkuslektionen wie Spanischer Schritt, Kompliment und Hinlegen. Sie werden gegen Peitschenknallen, Schüsse und Schwertkampf-Lärm abgehärtet, gehen regelmäßig schwimmen, springen und gewöhnen sich an Feuer. So gut, dass manche von ihnen darüber springen oder einen brennenden Reiter auf ihrem Rücken dulden. Ganz am Ende lernen sie Steigen. „Wenn ich das vorher mache, habe ich nur Probleme, weil die Pferde dann gerne bei jedem Anlass in die Luft gehen“, sagt Sandor Czirjak. Das gesamte Training dauert viele Jahre. Dazwischen geht’s oft nur ins Gelände, damit das Pferd nicht die Lust verliert. Im Pferdestunt Stuntteam Pulheim gibt es drei „alte Hasen“ im Stall, 23, 21 und 18 Jahre alt, die immer noch kerngesund und fröhlich bei der Sache sind. Zur Kontrolle von Haltung und Training kommt jedes Jahr ein Amtsveterinär vorbei und während eines Drehs ist ein Tierschutzverein vor Ort. Nie gab es irgendwelche Beanstandungen. „Mein Leben und das meiner Kollegen hängt davon ab, dass das Pferd gesund und perfekt ausgebildet ist“, sagt Czirjak. „Durch den Einsatz von Gewalt macht ein Pferd außerdem keine Feuershow, sondern es dreht durch.“

Draufgänger unerwüscht!

Um Stuntman zu werden, reicht es nicht aus, gut zu reiten. Auch das Wort „Mut“ wollen Czirkjak und Szigeti nicht hören. Beide haben schon einige Leute weggeschickt, die sagten „Ich habe keine Angst!“. „Wer keine Angst kennt, ist ein unberechenbarer Selbstmörder.“, sagt Czirjak. „Wer für mich arbeiten will, muss intelligent sein, viel Gefühl mitbringen und gut Kaffee kochen können.“ Auch Szigeti bezeichnet Draufgänger als die „gefährlichsten, blödesten Leute“. „Stuntman sein bedeutet knallharte Konzentration. Man muss eine Riesen-Demut für die Leistung haben“, sagt er. Daneben sollten angehende Stuntreiter körperlich fit und gelenkig sein, niemals Dinge auf die leichte Schulter nehmen und die eigenen Grenzen genau kennen – „Es kann tödlich sein, einen einzigen Karabiner nicht einzuhaken oder nicht zu merken, dass der Wind gedreht hat.“

Eine anerkannte Ausbildung für diesen Beruf gibt es in Deutschland nicht. Entsprechende Kurse sind meist Spaß oder Geldmacherei. Wer trotzdem ein zweiter John Hagner werden will, muss sich allein durchschlagen und könnte am Ende bei der Agentur für Arbeit Stammkunde werden. „Nur zwei Prozent der Stuntleute haben Arbeit“, sagt Czirjak.

Einem guten Stuntman passiert selten etwas. Vor zwei Jahren brach sich jemand aus Czirjaks Team den Arm, weil sein stehendes Pferd ausrutschte. Szigeti hatte schon Rippenbrüche und Bänderrisse. Ansonsten gibt es immer wieder blaue Flecken vom Trickreiten und den Kampfszenen. Aber keine schwere Unfälle. „Ich bin absolut immer hochkonzentriert, auch wenn ich etwas schon 1000 mal gemacht habe“, sagt Czirjak.

Heino Ferch kann’s!

Anders als bei einem Ritterturnier oder einer Kosaken-Show müssen Stuntpferde bei einer Filmproduktion auch ungeübte Reiter tragen – die Schauspieler. Das ist besser für den Film. Reitet nämlich ein Double, so muss später mehr Material geschnitten werden. „Leider gibt es nur wenige Schauspieler, die reiten können. 90 Prozent können es nicht. Na ja, Heino Ferch, Hannes Jaenicke und Kai Wiesinger machen es ganz gut.“, verrät Sandor Czirjak.
Für alle übrigen Schauspieler wird den Pferden beigebracht, auf Kommando von A nach B zu laufen. Der Schauspieler muss nur noch drauf sitzen und versuchen, gut aussehen.

Dr. Steve Szigeti sagt einem Regisseur im Zweifelsfall auch gnadenlos, wenn ein Schauspieler seinen Pferden nicht gut tut. „Das gibt schon manchmal Probleme, denn einige haben einen Vertrag unterschrieben, in dem steht, dass sie reiten können. Und dann hoppeln sie unkontrolliert auf unseren Pferden rum. Ich fordere in solchen Fällen vom Regisseur, dass diese Leute gedoubelt werden.“ Namen will er leider nicht nennen.

INFO:

Stuntpferde-Facts

  • Sämtliche „toten“ Pferde auf dem Showdown-Schlachtfeld des Kinofilms „The Last Samurai“ mit Tom Cruise waren ausgestopfte Attrappen. In der entsprechenden Szene fallen manchmal lebende Pferde auf diese Dummies, Damit solche Szenen auch schön echt aussehen, wurden den Dummies mehrere Säckchen mit Kunstblut in die Haut gesteckt. Fiel nun ein Stuntpferd darauf, so wurde das Säckchen per Fernsteuerung gezündet. „Per Knopfdruck spritzten Blutfontänen in die Luft“, erzählt Dr. Steve Szigeti.
  • Bei den Dreharbeiten für den Western „Rache für Jesse James“ (1940) starben acht Stunt-Pferde aufgrund der Verletzungen, die sich beim Sturz über ein gespanntes Drahtseil zugezogen hatten.
  • Das berühmteste „Fall-Pferd“ war Jerry Brown aus dem Hudkin Bros. Movie Stable. Der Braune spielte aufgrund seiner universellen Fellfarbe in vielen Filmen gleich mehrere fallende Pferde. Jerry war bekannt dafür, nicht einen Schritt zu viel zu machen. Er plumpste immer genau beim Punkt X auf die eigens präparierte weiche Fall-Stelle. Er sprang auch 23 Meter tief ins Wasser. 1951 erhielt Jerry Brown für seine Leistungen den Crawen Award.
  • Der Stuntman Fred Kennedy starb bei den Dreharbeiten zu dem Film „Der letzte Befehl“ (1958) mit John Wayne. Beim Fallen überschlug sich sein Pferd und begrub ihn unter sich. Die entsprechende Szene ist immer noch in der ungeschnittenen Version des Films enthalten. Kennedy arbeitete seit den 1930er Jahren als Stuntman. Er wurde für spektakuläre Fall-Stunts bekannt. Auch ist er in vielen Western zu sehen, wo herrenlose Gespanne von einem Cowboy wieder eingefangen werden. Red River, Rio Grande und Der Sieger waren seine berühmtesten Filme.
  • Bricht ein Stuntpferd im Film durch eine Mauer, so besteht diese nur selten aus Styropor, weil das unecht aussieht. Stattdessen wird Balsaholz verwendet. Dabei handelt es sich um leichtes, 3-5 cm dickes Holz, das man auch mit der Hand durchdrücken kann. Es splittert nicht und tut nicht weh.
  • Regisseure und Stuntreiter sind Meister der Täuschung: Wird ein Cowboy im Film erschossen und dadurch regelrecht vom Pferd herunterkatapultiert, so trägt er eine gepolsterte Weste, in die ein Seil eingehängt wird. Eine speziell dazu konstruierte Vorrichtung reißt den Reiter auf Knopfdruck aus dem Sattel. Der Schuss wird anschließend dazu synchronisiert.
  • Der Schauspieler Viggo Mortensen („Aragorn“ aus „Herr der Ringe“) ist dafür bekannt, sich bei Reitszenen niemals doubeln zu lassen. Bei den Dreharbeiten zu dem Film „Appaloosa“ fiel er jedoch vom Pferd: Er hatte mit einem Stuntman gewettet, dass er selbst dann noch ein Rennen gewinnen würde, wenn er dabei im Sattel stand. Pech für Viggo: Der Sattelgurt riss.
  • In dem US-Kinohit Hidalgo hatte das Hauptdarsteller-Pferd „T.J“ fünf Doubles, die so geschminkt wurden, dass sie wie das Original aussahen.

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