Rosseprobleme: Was tun?

Paul Sugar Gril mit Fohlen von Star G Grand PeppyRossige Stuten sorgen im Reitstall meist für Augenrollen und entnervtes Stöhnen. Kein Wallach ist kastriert genug, um nicht die Hinterbeine zu spreizen, den Schweif zu heben und mit den Schamlippen zu blitzen. Im unbeliebtesten Fall spritzt die betreffende Pferdedame auch noch ein gelbliches Schleim-Urin-Gemisch in die Richtung des Auserwählten. Nicht einmal andere Stuten sind vor ihr sicher.

Was dabei im Körper der Stute passiert, ist ein von der Natur ausgeklügeltes kleines Wunder: Das Hormon Östrogen lässt im Eierstock ein Eibläschen (Follikel) reifen. Nach drei bis sieben Tagen erfolgt der Eisprung. Doch das Östrogen kann noch mehr: Gebärmutter, Gebärmutterhals und Scheide werden schlaff und weich, die Scheide rötet sich. Beste Voraussetzungen für den Deckakt und das Einnisten einer befruchteten Eizelle. Aus dem Follikel bildet sich anschließend ein Gelbkörper, der das Hormon Progesteron freisetzt. Dieses bereitet die Gebärmutter für die Aufnahme eines Embryos vor.

„Progesteron wirkt ähnlich wie Testosteron. Es steigert die Verteidigungsbereitschaft der Stute“, sagt Dr. Dominik Burger, Leiter der Klinik und des Reproduktionszentrums am Schweizer Nationalgestüt. „Die Zickigkeit der Stute in diesem Stadium ist also sogar gut. Sie verhindert, dass sie noch einmal gedeckt wird, denn das wäre jetzt fatal.“

Kratzbürstigkeit ist natürlich

Dr. Burger vermutet, dass Stuten vor der Domestikation durch den Menschen sogar noch viel zickiger waren. Eine dem Urpferd nahe stehende Przewalski-Mix-Stute, die er zu Forschungszwecken beobachtete, übertraf alle ihre Geschlechtsgenossinnen an Kratzbürstigkeit.

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Die Intensität schwankt von Pferd zu Pferd. Während manche Stuten still und unbemerkt vor sich hin rossen, mutieren andere zu wahren Xanthippen. Wenn Reaktionen der Stute über das Progesteronbedingte Normalmaß hinausgehen, könnte es sich um ein ungewöhnliches gynäkologisches Problem handeln: „Viele Stuten haben eine Fehlstellung der Scham“, weiß Dr. Burger. „Durch die Einkreuzung von Vollblütern liegt sie zu weit oben. Dadurch saugen Sie beim Galoppieren Luft an. Während der Rosse verstärkt sich dieses Problem, weil die Geschlechtsorgane sehr weich sind.“ Das führt zu chronischem Stress und Verspannung. Abhilfe schafft in 60 Prozent aller Fälle eine Operation, bei der der obere Teil der Scham vernäht wird. In einer aktuellen Studie wurden 14 Stuten mit Leistungsproblemen wie Schlagen gegen das Bein des Reiters, Bocken, Rückhältigkeit, Schweifschlagen und/ oder Rückenproblemen einer solchen „Caslick Operation“ unterzogen. Bei 12 der 14 Stuten wurden die Leistungsprobleme vollständig (57%) oder teilweise (29%) innerhalb der 6 Monaten beseitigt.

Wer genau hinhört, kann das Ansauggeräusch beim Galoppieren sogar hören. Im Zweifelsfall sollte man überprüfen, ob die Scham tiefer angelegt ist als der Beckenboden. Liegt sie höher, so neigt die Stute zum „Luft ansaugen“.

Wie man die Rosse unterdrücken kann

Quält sich eine Stute ständig mit Rosseproblemen, so gibt es auch die Möglichkeit, eine einfache Glasmurmel in die Gebärmutter zu implantieren. Die Hälfte aller Stuten haben dann drei bis vier Monate lang keinen Zyklus mehr, weil die Kugel eine Trächtigkeit suggeriert.

Der internationale Springreiter Markus Fuchs vom Stall Ahorn in St. Josefen zögert bei seinen Hochleistungsstuten die Rosse durch ein Hormonpräparat hinaus, wenn ein wichtiges Turnier ansteht: Regumate ist ein Progestagen, das die Rosse unterdrückt. Das Medikament ist von der FEI auf Turnieren zugelassen, damit Stuten jederzeit die gleichen Chancen haben.

„Granie und La Toya sind in der Rosse zwar genauso leistungsfähig wie immer, aber sie reagieren anders auf Schenkeldruck. Wenn ich dann einen schweren Sprung anreite und die Kommunikation zwischen mir und der Stute anders ist als erwartet, haben wir Probleme“, erklärt Fuchs.

Schenkelhilfen erinnern hormongesteuerte Pferdedamen entfernt an das Klammern eines aufspringenden Hengstes. Je nach Rossezeitpunkt und individueller Sensibilität reagiert jede Stute anders darauf. „Manche ziehen sich auf Schenkeldruck zusammen, andere werden aggressiv, doch die meisten sind etwas träger. Dadurch ist die Reaktion etwas versetzt“, sagt Theo Muff, der für das Gestüt Schlösslihof mehrere Stuten reitet. Auch er hat die Erfahrung gemacht, dass Stuten durch Zuchtselektion heutzutage nicht mehr so zickig sind wie vor 20 Jahren. „Manchmal ist es nur die Unsicherheit der Pferdebesitzer, die ein Problem aus der Sache macht“, findet er. Am besten sei es daher, im Umgang mit dem Tier auf die Rosse überhaupt nicht einzugehen. Beim Reiten achtet er auf die veränderte Sensibilität, verabreicht jedoch kein Regumate vor Turnieren. „Ich verstehe so etwas vor Aachen oder Calgary. Aber wir haben in unserem Sport doch jedes Wochenende eine neue Chance.“

Privatpferde-Besitzer setzen Regumate meist dann ein, wenn ihre Stute eine Dauerrosse entwickelt und diese nicht durch ein gynäkologisches Problem wie Tumore an den Eierstöcken entstanden ist. Nur fünf bis 10 Prozent aller Dauerrossen haben laut Dr. Dominik Burger körperliche Auslöser. In der Regel handle es sich dabei eher um ein Verhaltensproblem. Da dieses Phänomen in Wildpferde-Herden nicht bekannt ist, vermutet Dr. Burger einen Zusammenhang mit der Haltung.

Überfütterung und Dunkelheit können Rosseprobleme bewirken

Einzelaufstallung, soziale Störungen, wenig Sonnenlicht und der Gesundheitszustand beeinflussen den Zyklus einer Stute. Aber auch vor und während des Haarwechsels treten Zyklusprobleme auf. Selbst geschorene Pferde scheinen eine schlechte Fruchtbarkeitsrate aufzuweisen. Überfütterung führt zu Progesteron-Einlagerungen im Fettgewebe, Unterernährung zu inaktiven Eierstöcken. Wenn homöopathische Mittel und Mönchspfeffer-Samen nicht mehr helfen, kann Regumate schnell Abhilfe schaffen. Zu beachten ist dabei allerdings, dass Frauen im gebärfähigen Alter das Mittel entweder gar nicht oder nur mit Schutzhandschuhen verabreichen sollen. Die enthaltenen Hormone schaden auch dem menschlichen Zyklus.

Um die Rosse auf bestimmte Zeit zu verschieben, gibt es auch eine Hormonspirale für Pferde. Diese funktioniert allerdings nicht wie beim Menschen als dauerhafte Empfängnisverhütung, sondern wird einige Tage lang eingesetzt um nach ihrer Entfernung gezielt eine Rosse auszulösen. Wesentlich länger hält eine GnRH-Impfung den Zyklus zurück. Diese Spritze kann sowohl Stuten als auch Hengsten verabreicht werden und sei gewissermaßen eine „reversible Kastration“, sagt Dr. Burger. „Hengste sind dadurch etwa ein Jahr lang Wallache und danach wieder Hengste.“

Sieben von zehn Stuten, an denen der Impfstoff getestet wurde, verhielten sich ebenso wie Wallache und zeigten keine Rosse. Die übrigen drei hatten zwar keinerlei Eierstock-Aktivität, rossten aber trotzdem. „Daran erkennt man, dass dieser Prozess nicht nur von Hormonen, sondern auch vom Kopf gesteuert wird“, so Dr. Burger.

Das Rosseverhalten einer Stute kann sich im Laufe ihres Lebens stark verändern. Während junge Stuten oft sehr verhaltene Symptome zeigen, rossen ältere Stuten, die bereits Fohlen hatten, stärker. „Hochzickig“ seien laut dem Veterinärmediziner aber meist diejenigen Damen, bei denen man kaum körperliche Symptome merkt. Weshalb, ist unklar. Im Sexualverhalten von Pferden seien viele Fragen noch nicht wissenschaftlich geklärt. „Obwohl sich immer mehr Leute dafür interessieren. Neulich wurde ich gefragt, ob eine Stute einen Koitus empfinden kann. Es wird noch lange dauern, bis wir das wissen“, glaubt Dr. Burger.

Ebenfalls ungeklärt ist, ob auch Pferde in die Wechseljahre kommen. Biologisch wäre das zwar möglich, in der Praxis werden aber die wenigsten Stuten so alt, dass sich ihre Ovartätigkeit einstellt.

Info:

  • Stuten sind mit etwa 18 Monaten geschlechtsreif
  • Der Fortpflanzungszyklus ist saisonal bedingt. Im Winter (November bis Januar) setzt die Rosse deshalb in der Regel aus.
  • Ein Zyklus beträgt etwa 21 Tage
  • Bei Ponys ist der Zyklus etwa 2 Tage länger als bei großrahmigen Stuten
  • Die Dauer der Rosse beträgt 3 bis 7 Tage.
  • Rosse-Probleme können auch Probleme im muskulären Bereich nach sich ziehen. Deshalb sollte im Rahmen der Diagnostik von problematischen Stuten auch eine gründliche orthopädische Untersuchung mit Augenmerk auf die Muskulatur, den Rücken und die Kniescheibenfunktionalität durchgeführt werden.

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