Reitbegleithund Ausbildung: Pferd und Hund gemeinsam unterwegs

ReitbegleithundEigentlich kann es nicht funktionieren: Das Raubtier Hund und das Fluchttier Pferd sind „genetische Feinde“, wie Nicole Brinkmann sagt. Und doch ist es mit konsequenter Erziehung und Vertrauensbildung möglich, beide zusammenzubringen. Nicht nur als Zweckgemeinschaft, sondern am Ende sogar als funktionierendes Team, in dem jeder seinen Spaß hat. Grundsätzlich gilt dabei: Den Hund im Zweifelsfall besser unter- als überfordern. Grobe Fehler ohne Pferd im Alltag korrigieren. Und immer die Bedürfnisse beider Tiere im Auge behalten, damit keine Eifersucht entsteht. So geht es Schritt für Schritt:

1. Gewöhnung an Pferd und Stall

Nicole Brinkmann rät dazu, einen Hund, der Pferde noch nicht kennt, in den ersten Wochen spielerisch an den neuen Sozialpartner zu gewöhnen. Grundsätzlich gilt für die gesamte Ausbildung: Wenn Sie ein nervöses Reittier haben, das schnell zappelig oder gar aggressiv wird, sollten Sie so lange mit einem ruhigen Leihpferd arbeiten, bis der Hund seine neue Aufgabe verinnerlicht hat. Welpen werden möglichst von Anfang an mit in den Stall genommen. Achten Sie immer darauf, dass der junge Hund dabei keine traumatischen Erlebnisse macht, die seine spätere Ausbildung erschweren. Bei erwachsenen Hunden ist das Vorgehen sehr individuell und hängt von seinen Vorerfahrungen, seinem Ausbildungsstand und seiner Rasse (siehe INFO unten) ab.

Sorgen Sie dafür, dass das Pferd bei den ersten Begegnungen ruhig steht. Seine Bewegungen könnten sonst den Beuteinstinkt des Hundes wecken. Dann lassen sie die Tiere aneinander schnuppern. „Der Mensch sollte dabei in die Hocke gehen, um als Pseudo-Sozialpartner auf Augenhöhe des Hundes zu sein“, rät Nicole Brinkmann.

Üben Sie außerdem die wichtigsten Stallregeln mit Ihrem Hund: Er muss immer bei Ihnen bleiben, bzw. an dem Ort, den sie ihm zuweisen. Reithalle, Pferdeboxen, Weide und Außenplatz sind tabu. Fremde Menschen oder Autos werden nicht bellend und schwanzwedelnd begrüßt, es werden keine Löcher gebuddelt, keine Bandagen zernagt und keine Geschäftchen in der Stallgasse erledigt. Außerdem muss der Hund ein klares Abbruchkommando wie „Nein!“ kennen, das nahezu jede seiner Handlungen unterbrechen kann. Bis diese Regeln sitzen, brauchen Sie gar nicht erst in den Sattel zu steigen. Ein Hund, der zum Reitbegleithund werden soll, solle vor dem ersten Training Grundzüge im Alltagsgehorsam besitzen, sagt Brinkmann.

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2. „Geh auf deine Decke“

Ein sinnvolles tägliches Trainingsprogramm für Freizeitreiter mit Hund sieht so aus: 10 Minuten Arbeit mit Hund am Pferd. 40 Minuten Reiten ohne Hund. Danach eine gemeinsame Schrittrunde. In den 40 Minuten, die der Hund alleine verbringen muss, sollte er sich auf einen immer gleichen Platz – am besten mit Decke – zurückziehen können. Dort muss er nicht unbedingt „Platz“ machen. Er kann auch im Sitz oder im Stand auf der Decke bleiben. Das Kommando „Decke“ heißt also einfach, dass er an dem zugewiesenen Ort verweilen muss, egal in welcher Haltung. Etablieren Sie es frühzeitig, um sich andere Kommandos wie „Sitz“ und „Platz“ nicht kaputt zu machen.

3. Training in der Gasse

Bauen Sie sich mithilfe von leicht hochgelegten Cavaletti eine etwa einen Meter breite Gasse entlang der Bande oder Reitplatzaußenseite. Gehen Sie zunächst ohne Pferd mit ihrem Hund hindurch. Dabei laufen Sie selbst außen an der Bande und ihr Hund innen, begrenzt durch die Stangen. Ihr Hund geht an ihrer linken Seite „bei Fuß“ (die rechte Seite bezeichnet Nicole Brinkmann mit dem Kommando „bei Hand“). Lerneffekt: Der Hund versteht, in welcher Position er laufen soll.

Anschließend kommt das Pferd ins Spiel. Es geht nun rechts von ihnen an der Bande. Der Hund bleibt links. Sie führen beide Tiere und achten dabei, dass der Hund „bei Fuß“ bleibt. Anfangs können sie ihn dabei an die Leine nehmen, um ihn besser unter Kontrolle zu haben.

Als nächsten Schritt suchen Sie sich einen Helfer, der sie von unten unterstützt, während sie auf dem Pferd sitzen. Beide Menschen nehmen den Hund an die Leine. Sie selbst bleiben jedoch die Bezugsperson des Hundes. Der Helfer ist nur als zusätzliche Korrekturmöglichkeit da. Gehen Sie mit dem Pferd durch die Gasse und führen den Hund dabei innen an der Leine. Der Helfer sollte auf der anderen Seite der Cavaletti-Bahn laufen, um sich nicht gegenseitig zu behindern. Ist es nötig, über die Leine zu korrigieren, so wirken Sie damit nicht über einen heftigen Ruck ein, sondern lediglich durch ein klares „Signal“ nach hinten. „Wenn der Hund einmal vier bis sechs Meter ohne Korrektur gelaufen ist, dann fängt er an, es zu verstehen“, gibt Nicole Brinkmann als Anhaltspunkt. Loben Sie ihn intensiv verbal, wenn es so weit ist.

4. Positionieren über das Sitz

Im Laufe des Trainings soll der Hund lernen, immer auf Höhe des Reiterbeins zu bleiben, egal welche Bewegungen das Pferd ausführt. Dabei muss er sich selbstständig regulieren können. Das trainiert Nicole Brinkmann über folgende Übung:

In der Ecke am Ende der Gasse, oder später frei auf dem Reitplatz, steht ein Hütchen. Bringen Sie dort ihren Hund in das „Sitz“ – erst ohne Pferd, dann vom Pferd aus. Der Hund muss so lange in dieser Position verharren, bis Sie mit ihrem Pferd um die Ecke gebogen sind, bzw. eine Volte um ihn herum geritten sind. Erst wenn sie wieder geradeaus reiten, geben Sie das Auflösungskommando.

Lerneffekt: Der Hund versteht, dass er langsam und ruhig werden muss, wenn das Pferd eine Wendung oder Volte macht. Das „Platz“ reguliert ihn in dieser Situation herunter. „Sie unterbrechen dadurch das Drängen nach vorn“, erklärt Nicole Brinkmann. Auch diese Übung führen Sie zunächst mit Leine aus und anschließend ohne.

5. Ranrufen ans Pferd

Nicole Brinkmann arbeitet mit ihren Hunden nicht nur am Pferd, sondern auch an Schafen. Daher weiß sie: Wenn ein Hütetier gedreht oder ein Beutetier angegriffen wird, nähert sich der Hund ihm immer von vorne. Um diese Assoziation zu vermeiden ruft sie ihre Hunde von seitlich-hinten ans Pferd heran. Ausnahme: Falls das Pferd zum Ausschlagen neigt. Dann kommt der Hund besser von seitlich. Er sollte auf Höhe Ihres Stiefels anhalten. „Aus meiner Erfahrung weiß ich: Viele Hunde, die sonst sofort auf Zuruf reagieren, kommen plötzlich sehr zögerlich heran, wenn der Reiter erst auf dem Pferd sitzt“, sagt die Trainerin. Deshalb ist diese Übung besonders wichtig. Denn später, auf dem Ausritt, muss sie hundertprozentig sitzen.

6. Ansteigen lassen und Belohnen

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass ein ständiges Belohnen mit Futter nach jeder geglückten Übung kontraproduktiv für den Lernvorgang ist. Darüber hinaus führt es dazu, dass Ihr Hund totunglücklich wird, wenn Ihnen die Leckerlies einmal ausgehen. Nicole Brinkmann empfiehlt daher: Nicht nach jedem Erfolg mit Futter belohnen, sondern nur jedes dritte oder vierte Mal. „Dann aber mit etwas ganz Attraktivem wie zum Beispiel einer Fleisch- oder Leberwurst.“ Im Wissenschafts-Jargon heißt das Ganze dann „Variable Konditionierung“.

Die Ausbilderin rät davon ab, die Belohnung zum Hund hinunter zu werfen. Dabei besteht die Möglichkeit, dass das Futter von seiner Schnauze abprallt und unter den Pferdebauch fällt, was ein hohes Verletzungsrisiko für den hinterherspringenden Hund birgt. Außerdem sollten Sie Hund und Pferd niemals auf derselben Seite belohnen, um Futterneid zu vermeiden. Am besten gewöhnen Sie das Pferd an die Futtergabe rechts und den Hund links.

So funktioniert das „Ansteigen lassen“ am Reiterbein: Bringen Sie zunächst Ihr Pferd in Stillstand. Spreizen Sie Ihr linkes Bein leicht ab, dem Hund entgegen. Dann reichen Sie Ihre „Futterhand“ in seine Richtung und geben das Kommando „Hopp!“. Im besten Fall haben Sie das Ganze schon vorher vom Fahrrad aus geübt und Ihr Hund weiß, wo er mit seinen Pfoten hin muss. Normalerweise wird er aber immer das Reiterbein wählen und nicht den Pferdebauch. Brinkmann: „Er will ja eigentlich zum Menschen und nicht zum Pferd.“

Tipp: Sie können sich besser auf den Hund konzentrieren, wenn ein Helfer während des Ansteigens das Pferd am Zügel hält. Dadurch können Sie auch besser Ihr Bein abspreizen und sich (bei kleinen Hunden) mehr in den Steigbügel lehnen.

7. Seitenwechsel von links nach rechts

Auf dem Ausritt wird es später zahlreiche Situationen geben, in denen der Hund die Seite wechseln muss, zum Beispiel um bei der Begegnung mit einem Fahrzeug auf die PKW-abgewandte Seite zu gelangen. Üben Sie das Kommando „Wechsel“ zunächst vom Fahrrad aus ein. Später steigen Sie aufs Pferd um. In beiden Fällen funktioniert es so:

Sie selbst halten den Hund an einer etwa zwei Meter langen Schleppleine (ohne Schlaufen und Ringe wegen der Gefahr des Hängenbleibens). Eine zweite Leine bekommt ein Helfer in die Hand. Nun muss der Hund hinten um das Pferd herumlaufen und sich dort auf Höhe Ihres rechten Beins positionieren. Geben Sie ihm dabei mit ihrer linken „Futterhand“ die Richtung vor. „Erst wen er anfängt zu begreifen und der Hand folgt, spreche ich das akustische Signal aus“, erklärt Nicole Brinkmann. Wer das Kommando vorher gibt, ohne dass der Hund es kennt, wird keinen schnellen Lernerfolg erzielen. Bestätigen Sie den Hund mit viel Lob, wenn er die Übung ausführt, ohne dass der Helfer einschreiten muss. Ignorieren Sie eventuelle Fehler. Wiederholen Sie eine funktionierende Übung und schütten danach den „Superjackpot“ in Form einer Fleischwurst aus. Das gilt für jedes Training.

8. Sitz aus der Distanz

Stellen Sie sich vor, ihr Pferd scheut vor einem Traktor und der Hund springt bei jedem Satz hinterher, weil er gelernt hat, am Reiterbein zu bleiben. In solchen Fällen muss er auf das Kommando „Sitz!“ hin auch dann an Ort und Stelle bleiben, wenn das Pferd sich entfernt. Das übt man am besten auf dem Reitplatz. Auch im Alltag, zum Beispiel beim Joggen mit dem Hund, können Sie ihn ins Sitz bringen und sich selbst von ihm entfernen.

WEITERE INFOS:

Geeignete Rassen

Prinzipiell ist jede Rasse als Reitbegleithund geeignet, da Hunde, genau wie Menschen und Pferde, Individuen sind. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass jede Zuchtrichtung ihre Vor- und Nachteile hat. Hütehundrassen wie Border Collies und Australian Shepherds sind für den Menschen oft tolle, zugewandte Partner. „Aber sie sind auf Haustiere domestiziert, nicht wie Jagdhunde auf Wildtiere“, gibt Nicole Brinkmann zu bedenken. Durch ihren Hütetrieb kommen sie also eher „auf dumme eigene Ideen“, als Jagdhunde. Diese wiederum gehen eher mitten im Wald stiften, weil sie die Fährte eines Hasen aufgenommen haben. Brinkmann, sie selbst mit Hütehunden arbeitet, sagt: „Meine Hunde dürfen die Pferde noch nicht mal mit den Augen fixieren. Das ist schon eine Belästigung fürs Pferd.“

Davon aber abgesehen eignen sich all diejenigen Hunderassen gut für langgezogene Ausritte, die lauffreudig und wetterfest sind. Dazu gehören auch viele Mischlinge. Für die Arbeit zu Hause auf dem Reitplatz eignen sich außerdem zahlreiche kleinere Rassen, die auf Langstrecken nicht gut mit dem Pferd mithalten können.

Halsband oder Geschirr?

Das ist eine Frage des Ausbildungsstands. Bei jungen Hunden verwendet Nicole Brinkmann eher ein Geschirr, bei erfahrenen Hunden ein Halsband. Wenn die Kommunikation stimmt und das Halsband nicht auf Zug gespannt ist, lässt sich damit besser auf den Hund einwirken als mit dem Geschirr. Oder in der Reitersprache: Das Geschirr ist die Wassertrense, das Halsband die Kandare.

Wichtige Rechtsfragen zum Thema Hund im Pferdestall

Sobald Hund und Pferd im Stall aufeinandertreffen, sind Unfälle vorprogrammiert. Gehen solche Fälle vor Gericht, so verteilen die Richter meistens prozentuale Mitverschuldensanteile auf beide Tierhalter, da immer die sogenannte Tiergefahr eine Rolle spielt. Die Quoten sind vom Ermessen des Richters abhängig. Das gilt sogar dann, wenn ein Hund auf eine Koppel rennt und dort ein Pferd verletzt.

Anders sieht die Sache aus, wenn ein Mensch einen Hund gefährdet oder verletzt. Fährt zum Beispiel der Reitstallbesitzer Ihren Hund mit dem Traktor an oder legt er Rattenköder aus, die von dem Hund gefressen werden, so muss er im Normalfall die entstandenen Tierarztkosten bezahlen. „Im Normalfall“ bedeutet: Hat er entsprechende Vorkehrungen getroffen hat, die ihn von der Schuld ausnehmen, beispielsweise ein generelles Hundeverbot im Stall oder eine Anleinpflicht, so trifft ihn keine Schuld.

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