Kamera und Objektiv sind jetzt schon zu den treuen Begleitern geworden und alle Bekannten haben die Flucht ergriffen? Hoffentlich nicht, denn jetzt wird es spannend und die Kreativität ist gefragt! Basierend auf den Kenntnissen aus dem Bereich Ausrüstung geht’s jetzt ans Eingemachte: Die teure Ausrüstung macht noch keinen guten Fotografen und deshalb trennt sich die Spreu sehr schnell vom Weizen. Eine kleine theoretische Übung gibt’s gleich als Hausaufgabe: Pferdezeitschriften, Bücher, Kalender etc. zur Hand und einfach einmal Augen auf, welche Ansicht am besten gefällt und warum sie wohl so prägnant ins Auge sticht.
Welche Hilfsmittel haben der Mann oder die Frau hinter der Kamera wohl genutzt, um dem Betrachter das Wichtige nahe zu bringen?
Einige Beispiele:
– das Spiel mit der Blende: 2,8 zeigt nur einen kleinen Teil scharf und lässt den Rest im Bild „verschwimmen“. Blende 5,6 lässt bei einer Frontalaufnahme eines Pferdes nicht nur die Augen gut erkennen, sondern auch die Nüstern, die sich näher am Objektiv befinden und ebenso den Widerrist im hinteren Bereich.
– sog. „Close-Ups“ richten den Blick des Betrachters gezielt auf einen Teilbereich der Gesamtansicht.
– Der goldene Schnitt: Ein Pferd steht an einem bestimmten Platz einer Weide, dazu in besonderer und zufälliger Konstellation ein Baum und ein Regenbogen bringt Spannung ins Bild.
[relatedposts type=’manu‘ ids=’5422,5424′]
Wichtigste Grundregel: Stress vermeiden!
Ein sauberes Pferd, ordentliche und evtl. farblich passende Kleidung setzen wir jetzt einfach voraus. Mensch und Tier haben gute Laune und auch der Akteur hinter der Kamera ist locker und flockig bei der Sache. Nichts ist bei Situationsaufnahmen tödlicher als folgende Aussagen:
– „Lächeln, aber bitte flott!“
– „Wie steht denn dein Gaul schon wieder?“
– „Kannst Du ihn nicht endlich still halten?“
Als Fotograf dürfen Sie das „Fotomodell“ nicht missbrauchen. Zeigen Sie Höflichkeit im Miteinander – nicht nur dem Pferd gegenüber. Gute Fototermine gelingen nur, wenn die Stimmung entspannt und kreativ in Bewegung bleibt. Einfacher gesagt als getan – falls Sie einmal einen Todpunkt erleben, bitte kleine Lockerungsübungen einbauen:
– eine Kaffee- oder Teepause
– reden Sie über Ausrüstung und Reitstil, soweit Sie Fachkenntnisse besitzen
– das Pferd ein paar Minuten grasen lassen und den Druck aus der Situation herausnehmen.
Was Sie immer zur Hand haben sollten:
– ein Taschentuch zum Abwischen von Schleim aus den Nüstern, Schaum am Gebiss oder
Entfernen von Staub im Fell.
– ein kleines Diktiergerät mit verschiedenen Geräuschaufnahmen
– eine Tasche mit Karotten als Leckerlis
– Ersatzfilme, Ersatzbatterien etc.
– ein kleiner Notizblock für Eintragungen über Lichtverhältnisse, Pferdenamen, Details etc.
Auch hier wieder als erstes: Auswahl des Standorts
Fotografieren Sie niemals ohne sich vorher Gedanken über den Bildaufbau zu machen. Fotografie ist zum größten Teil Technik und zwar die Technik des harmonischen und gleichzeitig ansprechenden Bildaufbaus. Dies kann sehr unterschiedlich ausfallen.
– am einfachsten ist wieder die helle Hauswand, das mit Holz verkleidete Tor, die gleichmäßig gewachsene Hecke.
– Blauer Himmel ist ebenfalls hervorragend, aber nicht so einfach zu verwirklichen, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Schöne Situationsaufnahmen auf einem Hügel lohnen den Anstieg (Blau als Hintergrund!)
Vorsicht Falle: Was wächst dem Pferd aus dem Kopf?
Manche gute Idee stirbt auf dem Leuchttisch eines Fotolabors beim ersten Sichten oder beim Erhalt der Fotografien in Fachlaborqualität: „Mein Gott, die Astgabel hinter dem Pferd sieht aus wie ein Hirschgeweih!“ Das Pferd blickt in die Kamera, die Ohren sind nach vorne gerichtet, sogar ein Reflex im Augapfel verfeinert das gute Bild. Doch was war mit dem Hintergrund? Alles eigentlich perfekt und doch daneben. Auf dem Computerbildschirm sah es gar nicht so schlimm aus, doch das Hochglanzfoto lässt keinerlei Wünsche mehr offen – komplett daneben!
Das Fatale an der Pferdefotografie ist zumeist der Umstand, innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde das Richtige tun zu müssen, denn ein Pferd wartet nicht… Üben Sie den Rundumblick und zwar diesmal hauptsächlich nach vorne gerichtet. Nichts darf Ihnen entgehen – Fotografie, die bedacht ausgeführt wird, strengt bei weitem mehr an, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag.
Vorsicht durch Umsicht
Unfallverhütung steht an erster Stelle – keine Situationen herbei führen, die für Pferd und Reiter gefährlich werden können. Hinter der Kamera stehen Ihnen viel mehr Möglichkeiten zur Verfügung, Menschen zu manipulieren, als Sie glauben. Jeder will sich von seiner schönsten Seite zeigen und es liegt in Ihrer Verantwortung, zu erkennen, wenn sich ein Reiter z.B. massiv überschätzt. Lassen Sie deshalb alle Situationen erst einmal ohne Kamera herbeiführen und beobachten Sie Pferd und Reiter, ob Ihnen Dinge auffallen, die eine Wiederholung verbieten.
Keine Frage: Verletzte oder kranke Pferde gehören niemals vor das Objektiv, sondern stets in die Hand eines sensiblen Betreuers und warten dort geduldig auf gesunde Tage!
Aufgabe: Was tun? Pferd und Reiter haben keine zündende Idee
Meistens warten alle etwas unsicher darauf, was denn der hinter der Kamera wohl bald fotografieren wird. Nutzen Sie die Gunst der Stunde und machen Sie sich im Vorfeld bereits Gedanken, welches Thema Sie heute angehen möchten. Viele Situationen aus dem Alltag des Pferdelebens locken für gute Aufnahmen:
– Details beim Putzen von Hufe auskratzen, Bürste reinigen, Augen säubern bis hin zum Schweif bürsten.
– Satteln und Trensen: Steigbügellänge verändern, Zäumung anlegen, Kandarenkette ordnen, Zügel sortieren, Sattel richtig auflegen, Gurten u.v.m.
– Schmusebilder jeglicher Art
– Ansichten zusammen mit Hunden in jeglicher Variation
Aufgabe: Endlich auf dem Pferd
Lockern Sie bitte immer wieder die Situation auf und legen die Kamera zur Seite. Nichts ist für einen Menschen schlimmer, als ständig in ein reflektierendes Glas zu blicken und daneben ein zugekniffenes Auge zu sehen.
Ein Satz hat sich immer wieder bewährt: „Reiten macht Spaß oder?“ Ein Lachen ist die Quittung für diese Bemerkung, die zumeist zum Nachdenken anregt. „Wie war das letzte Turnier? Hat sich das neue Pferd im Offenstall gut eingelebt oder welcher Sattel hat den Härtetest überstanden?“ Nehmen Sie Kontakt auf zum Gegenüber – jedes Gespräch lohnt sich und das Gegenüber vergisst dabei, dass es ja eigentlich fotografiert werden soll.
Währenddessen haben Sie beide von vorne im Portrait erwischt, eine schöne Ansicht von hinten ist Ihnen gelungen und das fotografierte Detail beim Blick zum Pferd ist überhaupt nicht aufgefallen.
Immer wieder beliebt: Die Ansicht „Von hinten“
Die Auswahl des Bildhintergrundes entscheidet hier über die gute Bildwirkung – Blende 4 ist die Ausgangseinstellung an der Kamera – der Focus liegt entweder auf dem Auge des Pferdes oder des Reiters. Jetzt wird es spannend: Die Aufgabe besteht darin, dass Pferd und Reiter sich beide zum Fotografen umdrehen, der sich exakt einige Meter hinter der Hinterhand des Pferdes befindet. Richtig gut ist die Ansicht erst dann, wenn Mensch und Tier zum gleichen Zeitpunkt in die Kamera blicken – es klappt mit ein bisschen Übung – nur zu!
Schnappschüsse! Beispiel: Flehmende Pferde
Ein Helfer ist in dieser Situation unabdingbar und sollte wieder die gleiche gute Laune wie der angehende Kameraspezialist mitbringen. Beginnen Sie damit, einen Hengst zum Flehmen zu bringen. Dies ist weitaus einfacher als eine Stute oder einen Wallach zu animieren.
Der Geruch einer Stute an der Hand des Helfers reicht zumeist schon aus. Bei schwierigeren Fällen greifen Sie ruhig einmal unter die eigene Achsel und lassen Sie den Pferdeherrn Ihren Körpergeruch wahrnehmen. Hengste reagieren sehr sensibel auf Gerüche und flehmen zumeist einige Sekunden lang. Das Spiel ihrer Augen dabei ist ebenfalls beeindruckend und verspricht gelungene Ansichten.
Wenn Sie Ihre Stute „begeistern“ möchten, dürfen Sie tief in die kreative Trickkiste greifen und experimentieren, welcher Geruch die Lady begeistern könnte. Es gibt hier keinen Richtwert und jedes Pferd reagiert ebenso unterschiedlich wie der zugehörige Besitzer.
Achten Sie auf die Eitelkeit von Pferd und Reiter
Kennen Sie Schnappschüsse von Ihnen, die Ihnen so überhaupt nicht gefallen? Willkommen im Club der Leidgeprüften! Deshalb Augen auf, welches die Schokoladenseite von Pferd und Reiter ist.
Es verbietet sich von selbst, Reiter in ungeschickten Situationen abzulichten, sich über Missgeschicke zu freuen und Boulevard-Reporter zu spielen. Ebenso untersagt ist es, kurze ungestüme Bewegungen zu fotografieren und sich dann darüber lustig zu machen – die Macht des Fotografen ist unbegrenzt, aber sehr schnell im Keller, wenn er sich daneben benimmt. Sehr leicht gelingt es, in bestimmten Bewegungssequenzen zu zeigen, was reiterlich so gar nicht angesagt ist.
Achten Sie deshalb bereits vor dem Termin darauf, sich bestimmte Bewegungsabläufe beim Tier einzuprägen und die unschönen Sequenzen einfach nicht zu fotografieren. Falls ein Pferd z.B. im hohen Alter sehr schmal zu werden beginnt, fotografieren Sie es bitte nur schräg von vorne – außer der Besitzer wünscht explizit die Seitenansicht.
Ebenso vorgehen bei stark überbauten Pferden oder Tieren mit extremen Gebäudemängeln – jeder liebt seinen Vierbeiner und möchte ihn jeweils auch nur von der schönsten Seite sehen. Ebenso bitte z.B. bei Ekzempferden – es gibt immer eine Mähnenseite, die nicht so stark erkennen lässt, dass der sensible Einhufer im Sommer stark scheuert.
Schöne Übung zwischendurch: Gegenstände in Szene setzen
Sie haben gerade kein Pferd „zur Hand“ und auch die Reiter müssen noch anderweitig arbeiten? Kein Problem – die Sonne scheint und viele Details warten nur darauf, von Ihnen entdeckt zu werden.
– verschiedene Trensen hängen fotogen an der Wand
– Halfter, ob schmutzig oder sauber, sprechen von glücklichen Pferden
– Eine Gerte an der Wand wirft einen ungewöhnlichen Schatten
– Ein Pferd blickt aus seiner Außenbox und gähnt
– Eine Fensterscheibe spiegelt einen Pferdekopf und weckt kreative Geister.
Der richtige Moment: Power is nothing without control!
Draufdrücken kann jeder – nur schade ums Bildmaterial, wenn am Ende so wenig wirklich gute Bilder entstanden sind. Deshalb: Sofort ein wenig Disziplin walten lassen. Spielen Sie mit der Situation und üben Sie, so oft Sie können. Jeder Ablauf hat seine eigene Dynamik und der Witz dabei ist: Es ist immer gleich wie bei einem guten Film – Vorgeschichte, Hauptteil, der leider bei den Pferden sehr kurz ist und oft blitzschnell abläuft und Abklingen der Aktion.
Als „Situations-Junkie“ muss der Fotograf genau im richtigen Moment abdrücken und die schönste Ansicht „einfrieren“ – erst dann hat er sein Tagesziel erreicht und begeisterte Fotomodells!