Pferde Integrieren in eine neue Herde

445713_web_r_b_by_karl-heinz-laube_pixelio-deDie Unterschiede zwischen Offenstall- und Boxenhaltung betreffen vor allem zwei zentrale Faktoren

1. Das Wetter

In der Box ist Ihr Pferd weitgehend von Witterungseinflüssen abgeschirmt. Temperaturunterschiede werden aufgefangen und abgemildert, Niederschläge und Wind wirken allenfalls bei Ausritten oder anderen Aufenthalten im Freien kurzfristig ein. Folge: Das eigentlich enorm leistungsfähige körpereigene Temperaturregulationssystem dieses Pferdes ist nicht belastbar, weil es nie gebraucht wird.

2. Die Gesellschaft

In der Box ist Ihr Pferd von seinen Artgenossen abgeschirmt. Allein der Sichtkontakt durch die Gitter, gemeinsame Ausritte oder Unterricht in der Gruppe reichen nicht aus, um dem Pferd die Bildung sozialer Kontakte zu ermöglichen und es im Umgang mit vierbeinigen Kollegen zu üben. Folge: Dem in der Box isolierten Pferd ist es nicht möglich, seine natürlichen Verhaltensweisen und seine soziale Kompetenz angemessen zu entwickeln.

Beide Faktoren müssen ausreichend bedacht werden und für beide Aspekte der Haltungsveränderung gibt es Möglichkeiten, Versäumtes nachzuholen oder das Pferd angemessen vorzubereiten.

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Heißkalte Angelegenheit

Pferde sind unglaublich anpassungsfähig: Sie bevölkern Gegenden mit völlig unterschiedlichen klimatischen Bedingungen, die sich vor allem in extremen Unterschieden der Temperatur und der Niederschlagsmenge zeigen. Entwicklungsgeschichtlich gesehen ein Steppenbewohner, hat unser Pferd mit der Zeit Gegenden erobert, in denen die Temperatur bis weit unter den Gefrierpunkt zurückgeht (an die minus 50 Grad Celsius), aber auch Gebiete, in denen es extrem heiß werden kann (bis plus 50 Grad Celsius). Gemessen daran sind die bei uns in Mitteleuropa herrschenden Temperaturen und Temperaturwechsel völlig harmlos und von jedem gesunden Pferd ohne weiteres zu verkraften.

Während wir Menschen uns nur innerhalb einer relativ eng begrenzten Temperaturspanne wohl fühlen, haben unsere Pferde einen weitaus weiteren Neutraltemperaturbereich. Erst bei vergleichsweise hohen oder entsprechend niedrigen Temperaturen müssen sie aktiv daran arbeiten, ihre Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Allerdings brauchen die damit befassten Mechanismen Übung und eben die fehlt dem Boxenpferd.

Vom Boxen- zum Laufstall-Pferd

Die beste Zeit für eine Umstellung ist das späte Frühjahr. In dieser Zeit liegen die Temperaturen im mittleren Bereich, Fröste sind nicht mehr zu erwarten und die Zeit der Frühjahrsregen ist ebenfalls vorbei. Witterungseinflüsse, die das bislang abgeschirmt gehaltene Pferd überfordern könnten, treten nun nicht mehr auf. Wird das Pferd im späten Frühjahr in den Offenstall umgestellt, hat er mehrere Monate Zeit, sich umzugewöhnen. Mit den ersten kühlen Herbstnächten wird die Bildung eines gut isolierenden Winterfells angeregt.

Und so gehen Sie vor: Ihr „Boxen-Pferd“ erhält zuerst täglich Freigang auf einem Auslauf, der möglichst über einen Windschutz und eine gute Drainage verfügt. Ist es kalt und nass, bleibt er eben nur kurz draußen, bei Sonnenschein und Windstille darf er auch bei niedrigen Temperaturen länger raus. Beobachten Sie ihren Vierbeiner: Friert er oder nicht? Bei Unterkühlung stehen die Pferde mit gekrümmtem Rücken, stellen die Haare auf und zittern, bei ausreichender Wärme stehen sie dagegen entspannt da. Steigern Sie den täglichen Aufenthalt an der frischen Luft, lassen Sie Ihren Vierbeiner in einer lauen Mainacht, nach entsprechender Gewöhnung auch dauerhaft rund um die Uhr draußen.

Bei der Fütterung müssen Sie ab sofort den Einfluss des Wetters mit einkalkulieren. Bei Kälte darf es ein bisschen mehr sein, vor allem viel Heu guter Qualität kurbelt die innere Heizung an. Ein warmes Mash gibt zusätzlich Wärme von innen, sollte es doch einmal zu kalt und nass sein. Den Fellwechsel können Sie über geeignete Fütterung und eine gewisse reiterliche Schonung forcieren.

Tierisch viel Gesellschaft

Die Gewöhnung an tierische Gesellschaft ist die zweite große Hürde, die Ihr potentieller Naturbursche nehmen muss. Pferde leben in Gemeinschaften, die das Zusammenleben zum Vorteil aller durch ausgeklügelte Regeln und Gesetze ordnen. In freier Wildbahn finden wir Familienverbände, die aus einem Hengst, seinen Stuten und deren weiblichen Nachkommen bestehen, aber auch Junggesellenverbände, in denen Hengste ohne eigenen „Harem“ zusammen leben. Lediglich vertriebene Althengste bleiben oft für sich.

Grundsätzlich ist das Zusammenleben mit Artgenossen die natürlichste Sache der Welt, wenn bestimmte Voraussetzungen gewährleistet sind: Ausreichend Platz, ein gutes Management, eine sinnvolle Zusammenstellung der Gruppen und soziale Kompetenz bei allen Herdenmitgliedern.

Allerdings setzt dieses gemeinsame Leben voraus, dass alle Mitglieder über entsprechende Fähigkeiten verfügen: Ebenso gute aktive (also das Aussenden von Signalen) wie passive kommunikative Fähigkeiten (also das Verstehen von Signalen) und ein voll entwickeltes arttypisches Verhaltensinventar. All dies lernt ein Pferd normalerweise, während es in der Herde aufwächst, es verbessert, vertieft und erhält diese Kenntnisse während seines ganzen Lebens. Genau hier liegt für viele Boxenpferde der Knackpunkt. Nicht alle lange isoliert gehaltenen Pferde lassen sich nachträglich in eine Herdengemeinschaft integrieren und folglich artgerecht halten. Gute Karten haben Sie, wenn Ihr Pferd relativ jung ist, es bisher regelmäßig Kontakt mit anderen Pferden hatte, etwa beim Weidegang oder beim Freilaufen in der Reitbahn, Sie häufig beim Reiten, Putzen oder anderen Aktivitäten in Gesellschaft anderer Pferde unterwegs waren. Schwieriger wird es, wenn Ihr Pferd schon älter ist, es bislang noch nie oder zumindest schon lange nicht mehr freien Kontakt mit anderen Pferden aufnehmen konnte und es sehr isoliert, also in einer Innenbox ohne Fenster o.ä. gehalten wurde.

Schritt für Schritt

Ihnen steht eine ganze Reihe an Möglichkeiten zur Verfügung, Ihr Pferd allmählich mit Artgenossen vertrauter zu machen. Putzen, Spaziergänge, Ausritte, Reitstunden: Von nun an immer in Gesellschaft! Falls möglich, mit häufig wechselnden Kollegen, denn je mehr Erfahrung Ihr Vierbeiner sammelt, desto besser. Bevor Ihr Pferd in seine neue Gruppe integriert wird, sollte es auf diese Weise möglichst viele Kollegen kennengelernt haben.

Eine provisorische Box innerhalb des Offenstalls oder auf der Weide nimmt den Neuling für ein paar Tage auf. Jetzt kann er mit seinen Kollegen Sicht- und Schnupperkontakt aufnehmen und gefahrlos das Leben in der Herde kennenlernen. Wo möglich und sinnvoll, sollten lieber mehrere Pferde auf einmal in die Herde aufgenommen werden anstatt mit zeitlichem Abstand hintereinander: So gibt es nur einmal Tumult, nur einmal die schlicht unvermeidlichen Rangauseinandersetzungen, bis wieder Ruhe einkehrt, anstatt über einen längeren Zeitraum. Auch „verteilt“ sich die Unruhe auf mehrere Pferde.

Es kommt in den ersten Momenten, Stunden oder Tagen unweigerlich zu Auseinandersetzungen, da geht kaum ein Weg dran vorbei. Kann Ihr Pferd ausweichen, können sich alle auf langen Wegen austoben, reduziert sich die Gefahr ernster Folgen. Meist wirkt das Gequieke und Gezanke schlimmer als es ist. Sozial kompetente Pferde in einem ausreichend dimensionierten Stall ohne tote Winkel werden sich schnell einig, auch wenn das mit einigem Aufruhr verbunden ist.

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