Pferde aufbauen nach der Winterpause oder einer Krankheit

dsc_2122Der Winter hat vielen Reitern und Pferden eine zermürbende Zwangspause beschert. Wer weder Reithalle, noch Bewegungsstall oder Führanlage zur Verfügung hatte, muss jetzt das Training besonders behutsam angehen.

„Zunächst sollte der Pferdebesitzer ein System entwickeln“, sagt der Pferdewirtschaftsmeister und Leiter der Reitschule Johannenhof in Heist, Johannes Beck-Broichsitter. „Er sollte sich klarmachen, wohin er will und in welcher Zeit er das schaffen möchte.“ Auf keinen Fall dürfe der Reiter Panik bekommen, weil das angestrebte Ziel – etwa ein Reitkurs oder ein Wanderritt – bereits in sechs Wochen stattfindet. „Nehmen Sie sich Zeit und arbeiten Sie gezielt“, rät Beck-Broichsitter.

Regeln aus dem Galoppsport

Als Anhaltspunkt für die Dauer eines Aufbautrainings empfiehlt der FEI-Tierarzt und wiederholte Mannschaftstierarzt der deutschen Vielseitigkeits-Equipe, Dr. Martin Hinrichsen, folgende Daumenregel aus dem Galoppsport: Ein Tag Ruhe bedeutet zwei Tage Aufbautraining. Warmblüter verlieren ihre Fitness bei einer Pause von unter einem Monat nicht so stark. War die Pause länger, so verringern sich Kondition und muskuläre Stärke aber auch bei ihnen enorm. „Dieser Verlust muss erst wieder ausgeglichen werden, bevor das Pferd vermehrt beansprucht wird“, sagt Hinrichsen. „Für jeden weiteren Monat Pause muss man mindestens einen Monat Training anrechnen.“ Wie lange ein Pferd braucht, bis es wieder fit ist, hängt auch von anderen Faktoren ab, wie etwa dem Alter oder den Haltungsbedingungen. Ob es sich in ihrem konkreten Fall eher um Tage oder um Wochen, vielleicht sogar um Monate handelt, können Sie sich anhand der in Kasten 5 dargestellten Faktoren abschätzen.

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Als möglichen Trainingsplan, natürlich abhängig vom Pferd, empfiehlt Johannes Beck-Broichsitter folgendes: Dreimal pro Woche gezieltes Gymnastizieren (Dressur). Zweimal leichtere Arbeit, einmal Longieren mit anschließender leichter Arbeit unter dem Sattel, ein Ruhetag. Die Dressureinheiten sollten insgesamt etwa 60 Minuten dauern. Davon sind die ersten 20 Minuten Schrittreiten im Gelände. Anschließend folgen 10 Minuten lösende Arbeit in der Halle oder auf dem Reitplatz. Dazu gehören Leichttraben und Galoppieren auf Zirkel und ganzer Bahn, Schenkelweichen, Trab-Galopp-Übergänge und je nach Ausbildungsstand erste Seitengänge.

Anschließend folgt eine „Auswertphase“, in der probeweise einige Lektionen oder Aufgaben geritten werden können, um den Ausbildungs- und Konditionsstand des Pferdes zu überprüfen. Diese sollte jedoch acht bis zehn Minuten nicht überschreiten. In den ersten ein bis zwei Wochen nach der Pause spielt die Arbeits- oder Auswertphase keine große Rolle. Mit der Zeit wird sie aber immer wichtiger für die Konditionierung. Nach der Arbeitsphase macht es Sinn, einen vernünftigen Übergang zur Ruhephase zu schaffen, das so genannte „warm down“. Durch eine 5- bis 10-minütige lockere Trab- und Galoppphase mit anschließendem Schrittreiten entspannt das Pferd geistig und körperlich, Laktat wird abgebaut und die Körpertemperatur heruntergefahren. Danach lässt man die Stunde am hingegebenen Zügel weitere 10 bis 15 Minuten ausklingen, bis das Pferd trocken und abgekühlt ist. Hat alles geklappt, so kann man im Verlauf des Trainings die Arbeitsphase intensivieren, indem man die Anforderungen erhöht. Zulegen, wieder einfangen und gezielte Arbeit an den Seitengängen sind mögliche Zielsetzungen.

Achtung: Nicht überfordern!

Häufigster Fehler beim aufbauenden Training im Frühjahr: Zu viel wollen und das auch noch zu schnell. Achten Sie bei der Arbeit darauf, Ihr Pferd nicht zu überfordern. „Es ist wichtig, dass Sie sich Zeit nehmen und die Leistungen Ihres Pferdes allmählich steigern“, sagt Beck-Broichsitter. „Es kann jedem mal passieren, dass er zu viel fordert. Aber das sollte die Ausnahme sein. Kennt man sein Pferd und kann sich gut hineinfühlen, merkt man sehr schnell, dass etwas nicht stimmt. Ob es zum Beispiel Muskelkater hat, erkennen Sie an seinen klammen Bewegungen. Sind hier die ersten Schritte nicht wie gewohnt, stimmt etwas nicht. Manchmal kann man schon beim Putzen oder Satteln sehen, dass das Pferd quengelig schaut und keine Lust auf Reiten hat. Läuft ihr Pferd einen Tag harmonisch und am nächsten klamm, dann haben Sie wahrscheinlich etwas falsch gemacht.“

Taktfehler, Zähneknirschen, Kopfschlagen, mit der Zunge spielen, sich einrollen und der Verlust des Vorwärtsdranges sind weitere Zeichen von Unwohlsein und Erschöpfung. „Die Kunst beim Aufbautraining ist, das Pferd nicht zu viel und nicht zu wenig zu belasten“, sagt die staatlich anerkannte Physiotherapeutin und Osteopathin für Pferde, Helle Katrine Kleven. „Wenn das Pferd schon nach 15 Minuten mit so etwas anfängt, reite ich eben zunächst nur 10 Minuten lang.“

Schwierig wird das Training besonders dann, wenn die Pause krankheitsbedingt nötig war, oder schon vor der Winterpause eine unterschwellige Lahmheit vorhanden war. Dann nämlich hat das Pferd längere Zeit eine Schonhaltung eingenommen, sich festgemacht und diverse Blockaden im Körper entwickelt. Selbst wenn die primäre Verletzung ausgeheilt ist, werden solche Blockaden zur nächsten Baustelle.

Therapeutische Begleitung

„Verletzungen an den Extremitäten sind oft an die Wirbelsäule gekoppelt. Sie ist der Stamm des Bewegungsapparates“, sagt Kleven. „Manchmal liegt die Ursache eines Problems im Hals, das Symptom aber zeigt sich im Huf.“ Deshalb sollten krankheitsbedingte Pausierer während ihres Aufbautrainings grundsätzlich physiotherapeutisch und osteopathisch begleitet werden. Auch nach einer Winterpause ohne Krankheit kann der regelmäßige Physio-Check sinnvoll sein – als Vorbeugung und Frühwarnsystem. Kleven: „Ich zeige den Leuten auch, was sie selber machen können und auf welche Warnzeichen sie achten sollen.“ So lernen die Pferdebesitzer neben diversen Übungen auch, die Schmerzsprache ihrer Pferde zu deuten. Hebt ein Pferd auf Druck an einer bestimmten Stelle beispielsweise Kopf oder Schweif, schlägt oder tritt weg, so hat es ein Problem. Die Therapeutin selber stellte beim Training ihres eigenen Pferdes nach 14 Tagen anhand der verspannten Hinterhand-Muskulatur fest, dass sie die Belastung zu hoch angesetzt hatte.

Bei Hochleistungspferden wird die Fitness sehr aufwändig durch Laktatwertmessung überprüft. Dazu wird fünf Minuten nach der Belastung eine Blutprobe genommen und untersucht. Sinkt er im Laufe des Trainings immer mehr, so verbessert sich die Fitness. Freizeitreiter haben diese Möglichkeit eher selten. Dr. Martin Hinrichsen rät, stattdessen die Herz- und Atemfrequenz zu messen. „Die Überwachung der Herzfrequenz ist eine einfache und reativ gute Methode, mögliche Veränderungen in der Fitness eines Pferdes zu kontrollieren“, sagt er.

Den Puls können Sie an der Gesichtsarterie an der Ganaschen-Unterkante oder an der Digitalarterie der Beine auf Höhe der Gleichbeine messen. Nach Belastung ist der Puls des Pferdes stärker und dadurch auch deutlich fühlbar. Wer sich damit dennoch unsicher fühlt, kann auch ein Stethoskop zu Hilfe nehmen und das Herz direkt abhören. Noch einfacher geht es mit einem Herzfrequenzmesser für Pferde.

Die Herzfrequenz überwachen

„Interessant ist die Herzfrequenzmessung über einen längeren Trainingszeitraum zur Beurteilung der Veränderung der Fitness“, sagt Hinrichsen. Dabei sei zu beachten, dass jedes Pferd seine eigenen Ruhewerte und seine maximale Herzfrequenz hat und somit alle Angaben (siehe unten) nur Näherungswerte sind. Hinrichsen hält es außerdem für wahrscheinlich, dass Pferde, ähnlich wie Menschen, im Alter eine niedrigere Herzfrequenz haben. Pro Lebensjahr verringert sie sich um einen Schlag in der Minute. Das bedeutet: Ältere Pferde verrichten die gleiche Arbeit bei einer höheren Herzfrequenz. Besonders sinnvoll ist die Überwachung der Herzfrequenz übrigens beim Intervalltraining. So können Sie bestimmen, wie lange die Ruhepause nach der Belastung sein muss. Erst bei 100 Schlägen in der Minute geht’s weiter.

Auch anhand der Atmung kann die Fitness eines Pferdes gemessen werden, allerdings nur eingeschränkt, da die Atemfrequenz – außer von der Fitness – von vielen weiteren Faktoren abhängig ist, zum Beispiel von der Außentemperatur. Über die Atemluft wird nämlich auch Hitze aus dem Körper abtransportiert. Auch Atemwegserkrankungen wie Asthma und Heustauballergie beeinflussen die gemessenen Werte negativ.

Nicht nur der Körper, auch das Gehirn des Pferdes muss nach der Winterpause wieder fit gemacht werden. Von der Box direkt ins tägliche monotone Hallentraining geht kein Pferd gern. Stattdessen sollte die aufbauende Arbeit auch aus Ritten im Gelände bestehen. Das schult die Aufmerksamkeit, den Gleichgewichtssinn und das Nervenkostüm des Tieres. Reiten durch Kuhlen, im Galopp durch den Wald, auf Wegen wo auch mal ein Ast quer liegt, das ist genau das, was Ihr Pferd jetzt braucht. „Es ist wichtig, dem Pferd neue Eindrücke zu geben“, sagt Beck-Broichsitter. Fahren Sie doch zum Beispiel immer wieder mal in eine andere Reithalle, um es ans Verladen und Reisen zu gewöhnen. „Man muss verschiedene Bereiche von Kopf und Körper beim Pferd ansprechen“, weiß der Pferdewirtschaftsmeister. „Ob das nun durch Reiten auf unebenem Boden im Gelände geschieht, durch Seitengänge in der Halle oder durch das Springen kleinerer Hindernisse.“ Der Phantasie des Reiters sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Was passiert eigentlich beim Aufbautraining?

Das so genannte kardiovaskuläre System, ein Netz aus Blutgefäßen, wird erweitert. In den Muskelfasern bilden sich neue kapillare Netzwerke, die den Muskel stärker mit Sauerstoff versorgen. Die Anzahl der roten Blutkörperchen und die Hämoglobin-Konzentration erhöht sich. Dadurch benötigt das Herz weniger Schläge, um eine bestimmte Belastung auszuhalten.

Im Training ändert sich also weder die Herzruhefrequenz noch die maximale Herzfrequenz des Pferdes. Aber: das Tier erreicht seine maximale Herzfrequenz erst nach vermehrter Arbeit.

Durchschnittliche Herzfrequenz von Pferden, die sich auf ebenem Gelände bewegen (Näherungswerte):

Aktivität Geschwindigkeit in m/min Herzfrequenz in Schläge/min
Stehen 0 25-50
Gehen 125 50-90
Langsames Traben 250 80-130
Schnelles Traben 300 100-150
Canter-Galopp 350 120-160
Galopp 500 150-200

Quelle: Clayton 1991

 

Atemfrequenz eines kleineren, ca. 450 kg schweren Pferdes, das sich auf ebenem Gelände bewegt (Näherungswerte):

Aktivität Atemfrequenz in Atemzüge /min Atemzugvolumen Minutenvolumen in Liter Luft/min
Stehen 20 5 100
Schritt 120 m/min 50 6 300
Trab 240 m/min 80 7 560
Canter-Galopp 360 m/min 100 8 800
Galopp 500 m/min 500 10 1300

Quelle: Clayton 1991

 

Faktoren, die Einfluss auf die Dauer des Aufbautrainings haben (Beispiele):

+

Kurze Winterpause Lange Winterpause
Jüngeres Pferd Älteres Pferd
Bewegungsstall Boxenruhe
Keine frühere Verletzung bekannt,
robustes Pferd
Verletzung vor der Ruhephase, verletzungsanfälliges Pferd
Zeit für zusätzliche Schrittkonditionierung durch Reiter Wenig Zeit fürs Pferd (Beruf, Familie, etc.)
Gute Grundkondition des Pferdes Schlechte Grundkondition des Pferdes
Vorhandensein von Technik, um das Pferd ein 2. Mal am Tag zu bewegen, z.B. Laufband, Führanlage Keine weiteren technischen Möglichkeiten
Abwechslungsreiches Gelände am Stall Kein Geländereiten möglich

Quelle: Dr. Martin Hinrichsen

Info:

  • In Ruhe pumpt das Herz des Pferdes ca. 30 bis 45 Liter Blut durch den Körper. In Arbeit sind es bis zu 240 Liter pro Minute!
  • In Ruhe atmet das Pferd pro Atemzug vier bis sieben Liter Luft ein. Unter starker Belastung sind es bis zu zehn Liter.
  • Die Atemfrequenz im Schritt und Trab ist in der Regel abhängig ist von der Intensität der Arbeit und der Fitness der Pferde. Im Canter und im Galopp hingegen ist sie im Verhältnis 1 : 1 an die Galoppfrequenz gekoppelt.

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