Die Cowboys dieser Ära hatten ihre Rituale und ihre eigenen ungeschriebenen Gesetze: ohne Sattel und Pferd war der Cowboy ein Niemand; eine Kuh zu melken war unter seiner Würde; ein geliehenes Pferd durfte er nicht treten und nicht peitschen; begegneten sich zwei fremde Cowboys zu Pferd auf einem Trail, durften sie nicht die Richtung ändern, sie machten sich sonst verdächtig; stieg ein Cowboy vom Pferd, stieg auch der andere ab, damit man auf gleicher Augenhöhe war; Handschlaggeschäfte wurden absolut eingehalten; berührte ein Cowboy den Hut eines anderen, ob Freund oder Fremder, war das ein Zeichen größter Respektlosigkeit und Anlass, den „six shooter“ zu ziehen. Strenge Regel war, die Waffe abzulegen, wenn man das Haus eines Anderen betrat. Später wurde diese ungeschriebene Regel Gesetz. So mussten Fremde, wenn sie in die Cowtowns kamen, ihre Waffen hinterlegen.
Diese Beispiele ließen sich endlos fortsetzen. Die meist texanischen Cowboys waren aber auch oft Opfer ihrer Gutgläubigkeit und Naivität, wenn sie Spielern oder gerissenen Städtern in die Hände fielen – oder abgebrühten Bordellmädchen. Um die Jahrhundertwende gab es im ganzen Westen etwa 50.000 dieser Damen.
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„Hi Ma’m“ …
Einen Brauch, der heute noch im Westen üblich ist, registriert ein Nichteingeweihter mit Verwunderung. Wenn ein Rancher oder Cowboy ein ihm unbekanntes Paar begrüßt, wird zuerst der Mann mit Handschlag begrüßt, dann die Frau – jedoch nur mit einem Kopfnicken, mit dem Zeigefinger an die Hutkrempe und mit einem „Hi Ma’m“. Für den Europäer ein mehr als seltsames Ritual, das sich nur aus dem Wertesystem der „good old days“ erklären lässt. Hatte ein Cowboy damals vor über hundert Jahren eine Frau, so war sie meist ein Mädchen aus dem Bordell. Ein „ehrbarer“ Mann aber gibt dieser „Dame“ nicht die Hand.
… oder: Die Dollarnote
Ein anderer Brauch ist die Sache mit der Dollarnote im Hut. Viele Cowboys haben auch heute noch im Schweißband ihres Hutes eine Dollarnote eingelegt, längs gefaltet. Ein alter Brauch aus der Zeit, als der Cowboy nicht sicher sein konnte, ob er den Abend noch erlebt. Sollte ihn das Schicksal ereilen, sei es durch Indianer oder Desperados, wild gewordene Rinder oder den Biss einer Klapperschlange, wusste der „undertaker“, der Bestatter, dass der Dollar im Hut für ihn bestimmt ist und er seinen Job nicht umsonst tut.
Der alte Code
In einem Leserbrief an das Magazin „American Cowboy“ beginnt der Schreiber mit den Zeilen „Warum braucht Amerika den Cowboy?“ und gibt sogleich auch die Antwort: „Weil es dieser spirit ist, der uns so macht wie wir sind – er macht uns zu Amerikanern.“ Die amerikanische Gesellschaft hat diesen „spirit“, im Westen wie im Osten, ohne dass ihr immer bewusst ist, welche Wurzeln ihr Zusammenleben geprägt haben. Es ist der „Code of the West“, jener Kodex einst ungeschriebener Gesetze und Regeln aus der Zeit des Alten Westens, als noch kein Stacheldraht die Prärien und Plains durchzog, jener Code, der überall „on the range“ respektiert wurde, so Ramon F. Adams in seinem „The Cowhand and His Code of Ethics“.
Dieser Kodex ist eine seltsame Mischung aus Nächstenhilfe und oft brutaler „Rechtsprechung“, aus Fairness, Gefälligkeit und Gewalt. Es ist die Widersprüchlichkeit des Kodex, der das Leben damals so regelte, dass jeder sich auf ihn berufen konnte, weil die Regeln jede Auslegung zuließen. Der Kodex ist zunächst ein moralischer Leitfaden, appelliert an das Gute im Menschen, andererseits sanktioniert er jedoch genau gegenteiliges Handeln.
Ethik der Fairness
Oberstes Gesetz war, sein Manneswort zu halten. So warf der Vormann einer Ranch in Montana einen Cowboy hinaus, weil er einer Prostituierten nicht den zugesagten Freierlohn gezahlt hatte. In Geldangelegenheiten vertrauten die meisten Cowboys einander, Geldgeschäfte wurden per Handschlag besiegelt. Ein Cowboy aus North Dakota gab die Hälfte seines Lohns, den er für das Graben von Löchern für Zaunpfähle erhalten hatte, zurück, weil er ein Loch nicht tief genug gegraben hatte. Wenn die Löhne ausgezahlt werden sollten, konnten die Rancher die Säcke mit dem Geld offen liegen lassen, ohne dass man sie anrührte, bis die Männer sich ihren Lohn abholten. Viehkäufer erwarben per Handschlag ganze Herden, ohne ein einziges Vieh gesehen zu haben.
Einer sollte dem anderen helfen, wo es nötig war, sich aber nicht in dessen private Angelegenheiten einmischen oder nach seiner Vergangenheit fragen. Gastfreundschaft für den vorbeiziehenden Cowboy war oberste Verpflichtung. In Texas hatte ein Rancher zwei Cowboys auf Arbeitssuche zu essen gegeben und verlangte anschließend 50 Cent. Die Cowboys brannten daraufhin ob dieser Verletzung des Codes einem der Stiere des Ranchers die Botschaft „meals – 50 cts“ in die Flanke, damit jeder sehen konnte, dass der Rancher diesen Code gebrochen hatte und Schmach über ihn kam.
Das Pferd war eines Mannes wichtigster und unantastbarer Besitz, was die Schlinge für den Pferdedieb bedeutete. Es war wichtig, einen guten Namen zu haben und zu verteidigen. Wer den Code brach, den traf mindestens Verachtung und Spott.
Code der Gewalt
Dieser Kodex funktionierte gut, weil er einfach war. Wenn gegen den Kodex verstoßen wurde und es zu Meinungsverschiedenheiten oder Streit kam, wurde der Code jedoch aus der jeweiligen Sicht neu definiert, dann ging Gewalt vor Recht. Beides lag sehr nahe beieinander. Der Kodex des Westens und die Gewalt, die ihn entwickeln half, existierten nicht nur in einer unentwirrbaren Symbiose, sondern bildeten zusammen die Hauptquelle für die Legenden, die den leichtgläubigen „Easternern“ in Groschenromanen erzählt wurden.
Wohl trug der Cowboy des Alten Westens eine Waffe, aber nur um sich und die Herde vor Bären, Pumas, Wegelagerern und Indianern zu schützen oder um Warnsignale geben zu können. Die Roman- und Filmversion vom Cowboy als Revolverhelden ist eine erfundene Figur, die erst mit der Einzäunung der Plains Wahrheitsgehalt bekam. Mit Ende der open range sahen die Cowboys ihre Existenz gefährdet, wurden arbeitslos, viele schlossen sich räubernden Banden an. In den späten 1890er Jahren war der „Kodex des Westens“ endgültig außer Kraft gesetzt.
Als durch Joseph F. Glidden’s Erfindung des Stacheldrahts die Siedler und Rancher ihr Farm- und Weideland einzuzäunen begannen, und Vieh- und Pferdediebstahl an der Tagesordnung war, bildeten sich im Westen immer mehr Vigilanz-Komitees zur Selbstjustiz. In deren Namen wurden Vieh- und Pferdediebe, Posträuber und Zaunschneider am nächsten Baum aufgehängt, oft zu Recht, oft aber auch auf bloßen Verdacht hin. Häufig waren Mitglieder solcher Komitees von Rinderbaronen gedungene Killer, die verharmlost Viehdetektive oder Viehinspektoren genannt wurden. Die Rinderbarone ließen Herden im Wert von Millionen Dollars auf der Range weiden, zu deren Schutz professionelle „gunmen“ ihre schmutzige Arbeit verrichteten. Einer der berüchtigsten Detektive war Tom Horn, der für 500 Dollar jeden Viehdieb erschoss. Er endete 1903 in Cheyenne am Galgen.
Das Ende des Codes – Das Ende des Westens
In den 1890er Jahren entbrannten im ganzen Westen diverse Weidekriege wie der in Johnson County 1891/92 in Wyoming, der dem Cowboy das Image des schießwütigen Desperados einbrachte. So wurden Schießereien zum spektakulären Ausdrucksmittel des Westens, sie hatten jedoch mit dem Alten Westen nichts gemein. Spätestens in diesen Jahren gehörten der Cowboy und der „Code of the West“ in ihrer ursprünglichen historischen Einordnung der Vergangenheit an. 1893 verkündete der Historiker Frederic Jackson Turner in seinem Vortrag „The Significance of the Frontier in American History“, der dann zu einem der berühmtesten Dokumente der amerikanischen Geschichte wurde, das Ende der „frontier“ und damit der Pionierzeit Amerikas. 1894 drehte Thomas A. Edison mit den Wildwest-Show-Sujets von Buffalo Bill die ersten richtigen Filme. John Ford, der als der größte Western-Macher gilt und mit John Wayne die Kultfigur des Westens schuf, wurde in diesem Jahr 1894 geboren. So ist hier auch die große Zäsur: Das Ende des Westens – der Beginn des Western.
Hollywood-Cowboy
Das aufstrebende Hollywood entwarf ein makelloses Bild von den Cowboys des Westens – Männer von Charakter eben, die geradeaus und aufrecht gehen, galant zu Frauen und nett zu Kindern sind, aber auch ohne Erbarmen gegenüber Leuten, die das Gesetz missachten. Movie-Cowboys wie Hopalong Cassidy, Tom Mix oder etwas später Roy Rogers verherrlichten den Cowboy als edlen Bewahrer des Guten. Von Gene Autry, dem großen „singing cowboy movie star“ der 1930er und 40er Jahre stammen die „Ten Commandments of the Code“, die sich wie die zehn Gebote lesen:
1. A Cowboy never takes unfair advantage.
2. A Cowboy never betrays a trust.
3. A Cowboy always tells the truth.
4. A Cowboy is kind to small children, to old folks and to animals.
5. A Cowboy is free from racial and religious prejudice.
6. A Cowboy is helpful, when anyone’s in trouble he lends a hand.
7. A Cowboy is a good worker.
8. A Cowboy is clean about his person, in thought, word and deed.
9. A Cowboy respects womanhood, his parents, the law of his country.
10. A Cowboy is a patriot.
Oder: die Texas Ranger, die 1835 mit Beginn der Unabhängigen Republik Texas gegründet wurden, hatten ab den 1930er Jahren ihren eigenen “Deputy Ranger Oath”:
1. Be alert
2. Be obedient
3. Defent the weak
4. Never desert a friend
5. Never take a unfair advantage
6. Be neat
7. Be truthful
8. Uphold justice
9. Live cleanly
10. Have faith in God.
Eine der originellsten, modernen Versionen des Codes stammt von Jane und Michael Stern in dem 1993 erschienenen „Way out West“:
1. Reite nie an jemandem vorbei, ohne „Howdy“ zu sagen.
2. Winke keinem Mann auf seinem Pferd, es kann das Pferd erschrecken, und der Mann wird denken, du bist ein Idiot. Ein Nicken ist der geeignete Gruß.
3. Wenn du an jemandem vorbeigehst, dreh dich nicht nach ihm um. Es bedeutet, du traust ihm nicht.
4. Wenn du eines Anderen Pferd ohne seine Erlaubnis reitest, ist das genauso schlimm, als wenn du mit seiner Frau ins Bett gehst. Und schlage niemals des Anderen Pferd.
5. Schieße niemals auf einen unbewaffneten Mann. Und überhaupt, schieße nie auf eine Frau.
6. Sei immer gut gelaunt, auch wenn es dir schlecht geht. Nur Drückeberger und Angsthasen jammern immer.
7. Sei immer couragiert und verachte jeden Feigling.
8. Helfe immer dem Anderen in Not, auch einem Fremden oder einem Feind.
9. Wenn du nach einem Wochenend-Trinkgelage aus dem Town reitest, schieße mit deinem six shooter wild in der Luft herum, schreie wie verrückt und reite so schnell du kannst. Das ist dann ein „hurrahing a town“.
10. Ein Pferdedieb darf sofort gehängt werden.
11. Ziehe niemals eines anderen Mannes Cowboy-Hut auf.
12. Wecke niemals einen Anderen, indem du ihn schüttelst oder berührst. Er könnte aufwachen und dich sofort erschießen.
13. Richtige Cowboys sind bescheiden und zurückhaltend. Ein Cowboy redet nicht viel, er spart sich seinen Atem zum Atmen auf.
14. Gleich wie erschöpft und hungrig du bist nach einem langen Tag im Sattel, kümmere dich immer zuerst um dein Pferd, gib ihm Futter, bevor du selbst isst.
15. Verfluche alles, was du willst, aber nur unter Männern, Pferden und Rindern.
Das Buch „Mythos Cowboy“ von E. Hank Klotz können Sie hier bestellen.