Der „Aktivstall Gut Osterloh“ füllt eine echte Marktlücke. Die Reitanlage in Sankt Wolfgang ist speziell auf Turnierreiter ausgelegt: es gibt eine großzügige, helle Reithalle, einen Dressur- und einen Springplatz. Verschiedene Reitlehrer kommen regelmäßig zum qualifizierten Unterricht. Und dennoch: Alle 22 Pferde stehen zusammen im Laufstall.
„Anfangs ist bei den Turnierreitern natürlich eine Hemmschwelle da“, weiß Andrea Ott die Betreiberin von Gut Osterloh. „Sie überlegen sich sehr lange, ob sie ihr Pferd zu uns stellen sollen.“ Sind die Turnierreiter aber erst einmal heimisch, kommen keine Klagen. Die gängigen Vorurteile, die über Gruppenhaltung in Umlauf sind, bestätigen sich nicht. Kleinere Bisse und Schlagverletzungen gibt es zwar hin und wieder, vor allem in der Eingewöhnungsphase. „Dafür haben wir keine Probleme mit haltungsbedingtem Husten, Koliken oder Sehnenverletzungen“, sagt Ott. „Diese haltungsbedingten Krankheiten treten bei Offenstallpferden kaum auf, weil sie immer frische Luft haben, über den ganzen Tag verteilt fressen und ihr Bewegungsapparat trainiert ist.“
Pflege mit Pferdestaubsauger und Handfön
Langes Winterfell und ein schmuddeliges Äußeres seien ebenfalls kein Thema. Andrea Ott hat beobachtet: „Natürlich sind die Pferde manchmal richtig schmutzig vom Wälzen. Aber das Problem hat man bei einer Boxenhaltung mit Weidegang auch. Mit einem Pferdestaubsauger ist es kein Problem die Pferde schnell sauber zu bekommen. “ Auf den letzten Turnieren im November hätten die Pferde zwar schon ein leichtes Winterfell, trotzdem waren sie sowohl in Dressur als auch Springen erfolgreich. Schwitzt ein Tier nach dem Training, wird es, bis Atmung und Puls wieder normal sind Schritt geritten, und wenn nötig, danach mit einem starken Handfön trocken geblasen. „Der ist kostengünstiger als ein Solarium und wärmt das Pferd nicht so künstlich auf“, weiß Andrea Ott.
Gebaut wurde der Aktivstall von der Firma HIT. Firmeninhaber Thorsten Hinrichs bestätigt, dass immer mehr traditionelle Reitanlagen zur Laufstallhaltung tendieren. „In unseren Anfangsjahren um 2001 haben die ersten Idealisten was mit uns gemacht“, erinnert er sich. „2003 kamen dann viele landwirtschaftliche Betriebe dazu. Sie erkannten als erste den Laufstall als Weg der Zukunft. Moderne Landwirte sind Unternehmer, keine dummen Bauern. Wer seinen Betrieb klug bewirtschaften und ganz vorne mitmachen will, muss über neue Systeme und Techniken immer informiert sein.“ 2005 kamen dann die ersten Anfragen von neuen Reitanlagen, die auf der grünen Wiese entstehen sollten. „Solche Betriebe hätten früher durchwegs Boxen gebaut mit einem kleinen Offenstall dran. Heute bauen sie einen großen Offenstall mit wenigen Boxen dran“, sagt Hinrichs.
Georg Fink, der in Aufkirchen das Ingenieurbüro für Reitanlagen „Fink Planung“ betreibt und am Pferdezentrum Stadl Paura sowie der olympischen Reitanlage München-Riem mitgebaut hat, erkennt ebenfalls ein immer größeres Interesse an der natürlichen Haltungsform. „Der Trend geht nicht nur bei Freizeitpferden in Richtung Gruppenhaltung“, sagt er. „Mittlerweile gibt es schon zunehmend Pferde, die bis Klasse S in Dressur und Springen gehen, die so leben. Ich war in den 80-er Jahren sicher einer der ersten LK 2-Reiter, der seine Springpferde in der Gruppe gehalten hat. Heute sind es deutlich mehr, aber immer noch viel zu wenig.“
Die Hälfte an Arbeit
Für den Betriebsleiter bedeute ein Laufstall weniger Arbeit, mehr Verantwortung und erhöhten Kontrollaufwand, sagt Fink. Die Investitionskosten pro Pferd seien etwas geringer, als bei der Einzelaufstallung, der Flächenverbrauch jedoch größer.
Laut Thorsten Hinrichs muss man pro Pferd hundert Stunden im Jahr aufwenden, um es von der Box auf die Koppel und zurück zu führen. „Pferde in Gruppenhaltung machen dem Betriebsleiter etwa die Hälfte an Arbeit, schätzt er. Dieselbe Rechnung stellt Volker Willenberg auf, der mit seiner Lebensgefährtin im bayerischen Aystetten die Laufstallanlage „Haldenhof“ betreibt „Es gibt Berechnungen, die sagen, dass ein Mitarbeiter an einem Acht-Stunden-Tag 25 bis 30 Boxenpferde betreuen kann. Unser Mitarbeiter schafft 40 bis 50 Pferde in zwei getrennten Offenstall-Gruppen.“ Geringere Investitionskosten sieht er jedoch nicht. Vor allem deshalb, weil er es nicht verantworten will, billige Arbeitskräfte einzustellen. „Ein Mitarbeiter, der zwischen 20 Pferden im Auslauf arbeitet, darf kein Hilfsarbeiter sein. Er braucht das nötige Know-How, um sich und die Pferde nicht zu gefährden“, sagt Willenberg. Dieser Preis schlägt sich auch auf die Einstellgebühren nieder: ein Platz in der Haldenhof-Pferde-WG kostet 335 Euro pro Monat.
Sigrid Koch von der Laufstall-Arbeitsgemeinschaft (LAG) findet das völlig in Ordnung. „Ich habe nie verstanden, weshalb ein Offenstallplatz weniger kosten soll, als eine Box“, sagt die Verfechterin für Pferde-Freiheit. „Bei einem Laufstall hat man viel mehr Flächenkosten. Die benötigte Quadratmeteranzahl pro Pferd ist sehr viel höher: mindestens 6 qm Liegefläche plus 50 qm Auslauffläche. Ein Boxenpferd hat höchstens 12 bis 16 qm Platz.“
Auch eine Arbeitsersparnis sieht Koch nicht. Um beispielsweise die Pferdeäpfel einer Nacht abzusammeln, müsse man wesentlich längere Wegstrecken zurücklegen als beim Misten einer Box. Dazu kommen Beobachtungs- und Kontrollzeiten, um herauszufinden, ob ein bestimmtes Pferd nun kolikt oder nicht.
Volker Willenberg zählt noch weitere Arbeiten auf, die es bei einem Boxenstall nicht gibt: Zum Beispiel das winterliche Schneeräumen im Auslaufbereich. „Vor zwei Jahren war das bei uns eine Katastrophe. Wir mussten täglich mit dem Radlader beide Außenbereiche räumen. Das war die zwei- bis dreifache Arbeit als im Sommer.“
Tägliche Kontrollgänge
Wer sich als Betriebsleiter für eine Gruppenhaltung entscheidet, muss ein besonderes Gespür für das Verhalten der Pferde haben. Er muss ständig die Rangordnung im Blick haben, neue Pferde professionell integrieren und in dieser Zeit auch noch ein Therapeut für die Pferdebesitzer sein, die meistens Angst haben, dass ihrem Liebling etwas passiert. „Solche Phasen hat ein Boxenstall in keiner Weise“, sagt Thorsten Hinrichs.
In den meisten Ställen haben sich die Betreiber bestimmte Rituale ausgedacht, um den Gesundheitszustand ihrer Pferdegemeinschaft zu überprüfen. Sigrid Koch zum Beispiel schaut morgens immer als erstes, ob alle Pferde Stroh in Schweif oder Mähne haben. „Daran erkenne ich, ob sie sich nachts zum Schlafen hingelegt haben. Erst ein Pferd, das liegend schläft, ist wirklich integriert.“ Im Haldenhof von Volker Willenberg gibt es ein für alle Pferdebesitzer einsehbares Stalltagebuch. Die Mitarbeiter machen zweimal täglich Kontrollgänge, fühlen die Beine aller Pferde ab und tragen die Zeit des Koppelgangs und den Futterverbrauch ein.
Integration neuer Pferde braucht Geduld
Die schwierigste aller Aufgaben für den Betriebsleiter ist die Eingewöhnung eines neuen Pferdes in die Gruppe. Auf Gut Osterloh gibt es einen angrenzenden Integrationsoffenstall und im Haldenhof spezielle Integrationsboxen, von denen aus der Neuzugang bereits Sicht- und Schnupperkontakt aufnehmen kann, bevor er in die Gruppe kommt. Ist es dann so weit, braucht man Geduld und Einfühlungsvermögen „Der Betriebsleiter muss unbedingt merken, wie lange er ein neues Pferd anfangs zur Herde stellen darf, und wann es eine Pause braucht“, sagt Andrea Ott. Ein ehemaliges Rennpferd, das vorher nur in der Box ohne direkten Sozialkontakt gehalten wurde, brauchte volle drei Monate, bis es verstand, dass man besser verschwindet, wenn der Herdenchef die Ohren anlegt. „Jetzt ist er seit drei Jahren hier, ist ein prima Reitpferd, versteht die Sprache der Pferde und ist nicht mehr so trübsinnig wie zuvor in der Box.“
Wer wie Volker Willenberg 40 bis 50 Pensionspferde beherbergt, für den sind Integrationen bald an der Tagesordnung. „Im Durchschnitt bleibt ein Pferd vier bis fünf Jahre bei uns“, sagt er. „Es dauert etwa vier Wochen, es zu integrieren. Bei vierzig Pferden heißt das, dass etwa alle vier Wochen eine Integration ansteht.“
Georg Fink wünscht sich für die Zukunft mehr Laufställe für Deutschland. „Dann ginge es den Pferden deutlich besser“, sagt er. In der den natürlichen Bedürfnissen angepassten Haltung gebe es nachweislich weniger Verletzungen (auch im Sport), weniger Tierarztkosten, weniger Aufwand in der Pferde-Ausbildung, mehr Lebensqualität für Pferde und eine wesentlich längere Nutzungsdauer. Wichtig sei dabei jedoch, nicht eine x-beliebige Scheune mit einem Elektrodraht einzuzäunen, sondern ein durchdachtes System zu planen und zu bauen. Dabei sei es oft ganz einfach möglich, Altgebäude mit einzubeziehen.
Planung eines Laufstalls
Bei der Planung muss darauf geachtet werden, die Funktionsbereiche getrennt anzulegen, damit die Pferde zum Laufen „gezwungen“ werden. Das heißt, Liegebereich, Schattenbereich, Raufutter, Kraftfutter, Tränke, Koppelzugang sollten weit von einander entfernt liegen. Der Auslaufbereich sollte möglichst durch Raumteiler strukturiert sein. Um Verletzungen zu vermeiden hat ein guter Laufstall immer zwei Eingänge für jeden Raumbereich, keine spitzen Winkel, abgerundete Gebäudekanten, rutschsichere, griffige Böden, eine ausreichende Beleuchtung in allen Bereichen und überall Schrauben statt Nägel.
Einheitliche, rechtsverbindliche Vorgaben für den Flächenbedarf des Auslaufs gibt es keine, alle Literaturangaben haben nur Empfehlungscharakter. Die LAG empfiehlt einen Platz von mindestens 25, besser 50 qm Auslauf pro Pferd. Die meisten Baubehörden gehen ebenfalls von 50 qm aus.
Ariane Kohls, bei der Firma HIT für Vertrieb und Presse zuständig, sagt: „Bei einem gut durchdachten System ist aber die Verletzungsgefahr sehr gering. Unsere Futterstände sind so gebaut, dass nichts scharfkantig ist. Die Zäune sind aus Stahlrohr, unser Kombizaun besteht aus einem gespannten Zaunband, das nicht durchhängen kann.“ Für gefährlich hält sie Laufstallsysteme, die als Einbahnstraße gebaut sind. Auf diese Art sollen sich die Pferde noch mehr bewegen. „So etwas kann für rangniedere Pferde gefährlich werden“, sagt Kohls. „Stattdessen haben wir überall im Laufbereich Holzstämme ‚in den Weg’ gelegt. Die Pferde müssen auf ihrem Weg zur Tränke um sie herumlaufen, ein rangniederes Tier kann aber im Notfall darüber springen.“ Auch wenn jeder Aktivstall gemeinsam mit dem Betreiber neu geplant wird, ist die Fütterung meist komplett automatisiert. Die Heufütterung läuft über Portionsraufen, an denen das einzelne Pferd an einem Chip erkannt und sein Futter individuell dosiert wird. Am Kraftfutterautomat kann man außerdem verschiedene Futterarten wählen.
So ein System kommt nicht nur dem Verdauungsapparat der Pferde zugute, sondern stillt auch die natürlichen Bedürfnisse der Betriebsleiter. „Ein großer Vorteil der automatischen Fütterung ist für Gut Osterloh-Chefin Andrea Ott nämlich ein menschlicher: „Ich muss morgens nicht zum Füttern aufstehen, da die Pferde ihr Futter selber abholen können!“
Begriffsklärung
Die Laufstall-Arbeitsgemeinschaft (LAG) unterscheidet zwischen Offenställen und Laufställen. Ein Offenstall ist eine Haltungsform, in der mehrere Pferde als Gruppe leben. Es gibt einen Innen- und einen Außenbereich, möglichst mit direktem Weidezugang. Gefüttert und getränkt wird im Stall. Der Laufstall hebt sich dadurch vom Offenstall ab, dass die Pferde durch getrennte Funktionsbereiche zum Laufen gezwungen werden. So sollen Futter und Tränke im Außenbereich liegend, weit von einander entfernt sein. Der Stall selber dient nur mehr als Rückzugs- und Ruheraum. Noch mehr laufen Pferde im Bewegungsstall, von der LAG definiert als Laufstall mit computergesteuerter Fütterung mit mindestens 10 Einzelgaben am Tag und der Summe der einfachen Wegstrecken zwischen den einzelnen Funktionsbereichen (Kraftfutter, Raufutter, Ruheraum, Tränke) von mindestens 100 Metern.
„Aktivstall“ ist ein Markenname, den die Firma HIT für Ihre Bewegungsställe gewählt hat.