Lahmheiten erkennen durch die Pegasus-Bewegungsanalyse

Reg Mulder ist mittlerweile Inhaber der Firma „Pegasus-Messsystem“. Der 47-jährige Holländer aus Zeegse ist mit seinem Gerät in seiner Heimat, aber auch in der Bundesrepublik unterwegs. Seine Ziele: Tierkliniken und Privatpersonen, Turnier- und Freizeitreiter. Reg Mulder: „Das Pferd wird mit Hilfe von Gamaschen mit sechs Sensoren ausgestattet. Ein Sensor wiegt vierundfünfzig Gramm und verfügt über Beschleunigungsmesser über drei Achsen. Er speichert alle Bewegungen, die ausgeführt werden; also Höhe, Weite sowie seitliche Bewegung. Zusätzlich kann ein GPS eingesetzt werden. So werden Geschwindigkeit und durchschnittliche Schrittlänge aufgezeichnet. Nach der Aufzeichnung werden die Daten in den Computer ausgelesen, um ausgewertet zu werden. Die Bewegungsanalyse kann also auch problemlos in freier Natur bei einem Ausritt stattfinden.“

Für die Pferde ist die Bewegungsanalyse kein großes Ding, für sie ist die Angelegenheit ziemlich stressfrei. Zwei, drei etwas staksigen Schritte, dann hat sich das Pferd auch an die Gamaschen am Sprunggelenk gewöhnt und kann sich in gewohnter Umgebung so bewegen, wie es sich auch sonst bewegt. Ein Dressurpferd kann Dressurlektionen laufen, ein Springpferd einen Parcours absolvieren und ein Reiningpferd Sliding Stopps machen. Normalerweise zeichnet Reg Mulder zwanzig bis dreißig Minuten Bewegung auf. Das Gerät hat Kapazität für sechs Stunden. „So lange brauchen wir in der Regel nicht, um aussagekräftige Informationen zu bekommen. Nach gut zwanzig Minuten kann man über die Bewegungsmuster eines Pferdes schon eine Menge auswerten“, so der Fachmann.

Datenanalyse ist notwendig

Die Bewegungskurven, die nach der Datenübertragung auf dem PC sichtbar werden, erschließen sich nicht von selbst. Es ist ein wenig so, wie beim Betrachten von Ultraschallbildern. Was für den Arzt eindeutig der Herzschlag des Ungeborenen ist, sieht für den Laien aus wie ein Tiefdruckgebiet auf der Wetterkarte. „Man braucht Erfahrung, um die Daten auswerten zu können“, gesteht Reg Mulder. „Das Gerät liefert mir keine Diagnose, sondern lediglich Daten, die ausgewertet werden müssen. Ich bekomme durch die Analyse Informationen, aber keine Antworten.“

Antworten erhält Reg Mulder durch die Interpretation der Daten. Es ist seine Aufgabe, mit Pferdebesitzer, Trainern und Fachleuten zusammen zu schauen: Woher rühren die Auffälligkeiten? Dazu braucht es Fachwissen und Erfahrung. Reg Mulder erklärt stets geduldig und lässt seinen Kunden Zeit zu verstehen und Rückschlüsse zu ziehen. „Das Pferd XY fußt eindeutig hinten links später auf. Mit dem Auge nicht zu erkennen. Es handelt sich um eine Verzögerung von 5%. Das sind bei einem Schritt von 1,2 Sekunden 0,06 Sekunden und im Trab 0,03 Sekunden. Nun ist die Frage, woher kommt diese Verzögerung?“ Bei der Beantwortung dieser Frage arbeitet Reg Mulder eng mit den Pferdebesitzern zusammen und kooperiert mit Fachleuten wie Tierärzten, Physiotherapeuten, Hufschmieden und Osteopathen.

Über zweihundert Messungen hat Reg Mulder bereits durchgeführt, an völlig verschiedenen Pferden, aus völlig verschiedenen Gründen. Unter seinen Kunden waren Besitzer von Ponys, Warmblütern und Arabern. Er wurde zu Distanz-, Western- und Freizeitreitern gerufen. Reg Mulder kann von Pferden berichten, die nach der Sattelanpassung minimale Taktunreinheiten zeigten oder dem Reiter nach der Hufbearbeitung das Gefühl vermittelten „Da ist irgendetwas anders“. Zu sehen ist in solchen Fällen oftmals (noch) nichts. Aber die Auswertung am PC bringt auch minimale Änderungen ans Tageslicht.

Rundumblick

Einmal im Monat bietet Reg Mulder mit seinem Gerät in der Tierklinik in Wolvega seine Dienste an. Dann hilft die Bewegungsanalyse Lahmheiten zu lokalisieren. Mulder: „Ein Tierarzt, ja jeder Mensch hat nur zwei Augen, und er kann ein Pferd nur aus einer Perfektive, also von einer Seite sehen; von vorne, hinten, von rechts oder von links. Mit Hilfe der Sensoren bekommen wir sechs Augen und einen Rundumblick.“ Gemeinsam mit den Tierärzten nimmt er die Kurven am PC unter die Lupe, wertet aus und hilft bei der Ursachenforschung. Dabei bedauert er, dass meistens keine Vergleichsdaten vorliegen. „Hätten wir die Bewegungskurven des Pferdes vorliegen, wie es sich normalerweise bewegt, wäre die Suche nach der Ursache wesentlich einfacher.“

Deshalb rät er jedem Pferdebesitzer zu einer Bewegungsanalyse, wenn er mit seinem Pferd zufrieden ist. „So gewinne ich Aussagen über die Bewegung des Pferdes, wenn alles in Ordnung zu sein scheint. Diese Aussagen kann ich dann mit dem Analysebild vergleichen, dass ich zum Beispiel aufzeichne, wenn das Pferd einen anderen Sattel trägt oder gerade physiotherapeutisch behandelt wurde. Dieser Vergleich erleichtert die Auswertung der Daten ungemein. Ich habe objektiv vergleichbare Daten.“

Die objektiv vergleichbaren Daten sind für Reg Mulder ein Grund, warum er glaubt, dass die Pegasus-Bewegungsanalyse auch im Rahmen von Ankaufsuntersuchungen für Pferdeverkäufer und Tierärzte interessant sein könnte: „Die Bewegungsanalyse liefert objektive Daten, die jederzeit einsehbar sind. Lahmt ein Pferd einige Wochen nach der Ankaufsuntersuchung, habe ich objektive Daten, die belegen, wie sich das Pferd bei der Ankaufsuntersuchung bewegt hat.“ Überhaupt wünscht sich Reg Mulder, dass eine regelmäßige Gangbildanalyse so selbstverständlich wird wie die regelmäßige Sattelkontrolle oder der regelmäßige Zahnarztbesuch. „Wenn ich auffällige Bewegungsveränderungen sehen mit dem bloßen Auge kann, dann ist es meist schon schlimm und nicht selten besteht das Problem des Pferdes schon längere Zeit. Je frühzeitiger ich ein Problem erkenne, desto schneller und einfacher lässt es sich meist beheben“, weiß er.

Die Daten sind objektiv

Reg Mulder selbst ist passionierter Distanzreiter. Seine Pferde starten über einhundertdreißig Kilometer Distanzen, und das sehr erfolgreich. Im letzten Jahr startete sein Araberhengst zweimal über einhundertsechzig Kilometer, wobei er einen Sieg einbrachte. Sein Wallach ist in der Juniorenklasse das beste Pferd der Niederlande in der Klasse über vierzig und achtzig Kilometer. Reg Mulder schickt seine Pferde regelmäßig mit Sensoren an den Beinen ins Training. „So gewinne ich Informationen über den tatsächlichen Trainingszustand meiner Pferde. Wann werden die Tritte kürzer, wann verlässt das Pferd die Kraft? Welche Trainingsmethoden bringen tatsächlich eine Leistungssteigerung, welche vielleicht sogar Rückschritte? Mit Hilfe der Analyse kann ich mir ein genaues Bild machen. Vor allem sind die Daten fest, objektiv und wiederholbar. Sie werden nicht durch subjektives Erinnern verfälscht.“
Diese Möglichkeit bietet das Gerät nicht nur für den Distanzsport. Reg Mulder würde gerne eine Art Datenbank schaffen, in der alle Bewegungsabläufe der Pferde im „großen Sport“ gespeichert sind. Dies würde Untersuchungen und Aussagen über den Trainingszustand der vierbeinigen Spitzensportler erleichtern.

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser

Reg Mulders Lieblingsthema ist „Trainingskontrolle“. Er beobachtet: „Viele Reiter trainieren mit ihren Pferden einfach wild drauf los, ohne zu fragen oder gar zu kontrollieren, ob sie mit ihren Trainingsmethoden überhaupt das erreichen, was sie erreichen wollen. Meiner Meinung nach muss ein Springpferd im Training nicht nur ständig einen Parcours springen. Es ist vielmehr wichtig, gezielt sein schwächeres Hinterbein zu kräftigen, mit dem es ja vor manchen Sprüngen abspringen muss. Das ist so, als müssten wir beim Weit- oder Hochsprung mit unserem schwächeren Bein abspringen. Ich behaupte: Das bekommen die wenigsten Menschen ohne gezieltes Training hin. Aber von unseren Pferden verlangen wir es, ohne uns große Gedanken zu machen.“
Ähnliches gilt für die Dressur: Fehlt einem Pferd die Kraft für bestimmte Lektionen, zum Beispiel für den Außengalopp, dann hilft gezieltes Krafttraining und nicht das stumpfe Wiederholen der Lektion. Für Dressurreiter hat Reg Mulder einen Geheimtipp: Mit Hilfe der Bewegungsaufzeichnungen die Kürmusik erstellen lassen. So könnten mit Hilfe passender Musik die Stärken und Schwächen eines Pferdes noch intensiver berücksichtigt werden; die Musik wirklich auf die Bewegungen des Pferdes maßgeschneidert werden.

INFO

Die Basistechnik der Pegasus-Bewegungsanalyse stammt aus der Humanmedizin. Menschen mit künstlichem Hüft- oder Kniegelenken müssen das Gehen neu lernen; und zwar so, dass die künstlichen Gelenke möglich lange halten. So werden sie mit Sensoren ausgestattet, die jede ihrer Bewegung aufzeichnen. Am PC können die Bewegungen sichtbar gemacht werden und helfen den Betroffenen, ihre Bewegungsmuster zu erkennen und zu schulen.

Die Entwickler dieses Systems, Diana und Hodgins sind passionierte Pferdemenschen. Und so war die Idee schnell geboren:  Was dem Menschen hilft, kann auch Pferden hilfreich sein. 2009 lernten sie den leidenschaftlichen Distanzreiter Reg Mulder kennen. Das Team entwickelte im Laufe der Zeit Sensoren, die mit Hilfe von Gamaschen an allen vier Pferdebeinen befestigt werden können. Ferner ist es seit kurzem möglich, zwei weitere Sensoren am Sprunggelenk zu fixieren und auch den Reiter mit Sensoren auszustatten.

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