Jungpferde als Reitpferd vorbereiten

Während eines USA-Aufenthalts hatte der Westerntrainer und Jungpferdeausbilder Bernd Hackl ein Erlebnis der besonderen Art: Junge Mustangs, die bis vor kurzem frei durch die Prärie gestreift waren und noch nie mit Menschen zu tun hatten, zeigten sich bei ihrer Ausbildung gelehriger und ruhiger als jedes seiner bisherigen Berittpferde. „Nie habe ich so wenig Ärger und Gegenwehr erlebt“, schwärmt Hackl. „Diese Mustangs hatten eben keine schlechten Erfahrungen mit Menschen.“ Dabei gehe es nicht um Tierquälerei, sondern um alltägliche Reaktionen, die bereits in den ersten Tagen eines Pferdelebens umkonditioniert werden. „Bei einem neugeborenen Fohlen muss man nur niesen und es galoppiert weg. Der Mensch trainiert dem Pferd diese Leichtigkeit ab. Das führt dazu, dass sich die Pferde auf uns einstellen, anstatt wir auf sie.“

Mensch als Kratzbaum

Auf diese Weise lernen Pferde tausend Verhaltensweisen, die es im Umgang und beim Reiten abstumpfen lassen: Am Putzplatz weichen sie nicht mehr, wenn der Besitzer sie wegschieben will. Beim Führen überholen sie denjenigen, der eigentlich ihr Leittier sein sollte. Sie laufen nicht durch Pfützen, reagieren nicht auf Körpersignale und jucken sich an ihrem Menschen wie an einem Kratzbaum. „Warum sollte so ein Pferd dann plötzlich als Dreijähriger der Hand nachgeben oder über eine Plane laufen?“, sagt Bernd Hackl.

Dazu kommt, dass viele Besitzer ihre Jungpferde auf den Beritt beim Profi vorbereiten wollen, um Zeit und Geld zu sparen. Also wird munter gesattelt, gezäumt, longiert und aufgesessen. „Ich habe ihm das Wichtigste schon beigebracht. Sie müssen ihn nur noch verfeinern“, hört auch der Pferdewirtschaftsmeister und Trainer B Westernreiten Ralph Edmond Knittel häufig von Kunden, die ein Jungpferd zum Anreiten bringen. In diesen Fällen kämpft er meistens mit nervösen oder phlegmatischen Tieren, die beim Longieren nach innen laufen, beim Aufsitzen den Rücken verspannen und bereits stumpf im Maul und am Schenkel sind. „Dann kostet die Ausbildung doppelt so viel Zeit, weil ich den Pferden all diese Dinge wieder abgewöhnen muss“, sagt Knittel. „90 Prozent aller Ausbildungs-Probleme hat der Besitzer des Pferdes verschuldet, weil er Geld sparen wollte.“

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Am liebsten nimmt er Jungpferde zu einem Zeitpunkt in Beritt, wo sie schon Sattel und Trense kennen, aber weder geritten, noch longiert wurden. Im Zweifelsfall lieber ganz roh, als verdorben. Diesen „Rohdiamanten abzuschleifen“, ist für Knittel jedes Mal wieder ein besonderes Erlebnis. Denn: „Ein Junger ist wahnsinnig neugierig, lernwillig und schnell für neue Aufgaben zu gewinnen.“

Grünes Pferd, erfahrener Reiter

Bernd Hackl findet sogar: „Jungpferde sind weniger nervös als ältere Pferde mit schlechten Erfahrungen. Klar gucken die sich Neues mit riesigen Augen an. Aber ein erfahrener Ausbilder kann ihnen Sicherheit geben.“ Für eine gelungene Mensch-Pferd-Beziehung legt er deshalb den Maßstab an „Grünes Pferd, erfahrener Reiter. Erfahrenes Pferd, grüner Reiter.“

Erfahrung braucht es vor allem, um zu unterscheiden, ob ein Jungpferd das natürliche Verhalten eines Heranwachsenden an den Tag legt, oder sich durch falsche Behandlung langsam aber sicher zum Problempferd entwickelt. Denn auch Pferde kommen in die Pubertät. „Pubertät ist bei Mensch und Pferd gleichermaßen hormonell bedingt“, sagt Dr. Klaus Zeeb, Fachtierarzt für Verhaltenskunde. „Durch die Veränderung des Hormonspiegels wird das Verhalten unausgewogen, gewissermaßen flegelhaft. Im natürlichen Herdenverband wird das durch die Mutterstute und den Hengst entsprechend gesteuert. Außerdem erziehen sich die Fohlen und Jungpferde untereinander.“

Kaum ein Pferd in menschlicher Obhut wächst in einem solchen Herdenverband auf. Manche werden gar zusammen mit ihrer Mutter in Einzelhaft gehalten. „Man muss jungen Pferden die Gelegenheit geben, gleichermaßen mit dem Sozialverband Pferd als auch mit dem Sozialverband Pferd-Mensch zurechtzukommen. Da werden häufig Fehler gemacht, indem das eine oder das andere überwiegt“, sagt Dr. Zeeb.

Nach dem Imprinttraining auf die Koppel

Die behutsame Erziehung durch den Menschen beginne deshalb schon beim Fohlen. Es müsse lernen, geputzt zu werden, alle vier Beine zu geben, gehalftert und angebunden zu werden. Um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und gleichzeitig als ranghöher akzeptiert zu werden, unterzieht Bernd Hackl jedes Neugeborene in seinem Stall dem so genannten Imprinttraining. Dabei wird das Fohlen in den ersten Stunden nach seiner Geburt abgerieben und überall berührt. „Ich stecke ihm auch die Finger ins Maul und in die Ohren und hebe die Beine hoch“, sagt Hackl. Danach kämen alle Fohlen vertrauensvoll zu ihm, sobald er die Weide betritt. Erst wenn sie Jährlinge sind, macht Hackl den nächsten Schritt: „Vier Wochen lang übe ich jeden Tag zehn bis 15 Minuten lang führen, Hufegeben und spielerische Bodenarbeit.“ Klappt das, so kommt das Pferd zurück auf die Koppel. Erst als Zweijähriges geht die Arbeit weiter. Dann nämlich wird es weitere vier Wochen lang „ausgesackt“ – also mit verschiedenen Gegenständen am ganzen Körper berührt – an der Hand gearbeitet und vom Boden aus gefahren. Auch mit einer Decke oder dem Sattel auf seinem Rücken macht es erste Erfahrungen. Danach geht’s für ein weiteres Jahr zurück auf die Koppel.

Seine Quarterhorses und Haflinger reitet Hackl dreijährig zum ersten Mal. Bei spätreifen Arabern verschiebt er die gesamte Prozedur ein bis zwei Jahre nach hinten. Einen „Bügeltritt“, also ein erstes Steigbügeltreten des Reiters wie in der klassischen Reiterei, macht der Westerntrainer nicht. Stattdessen arbeitet er mit den Pferden in der Nähe eines Zauns, setzt sich darauf und steigt dann einfach von dort in den Sattel.

Jungpferde nicht überfordern!

Durch ihre Neugier und ihr natürliches Interesse an Leistung bieten viele junge Pferde dem Reiter mehr an, als sie eigentlich leisten können. Deshalb besteht eine große Gefahr, sie zu überfordern. „Manche Leute haben Pferde, die bereits 200 Prozent Leistung anbieten und das reicht ihnen immer noch nicht“, sagt Bernd Hackl. „Diese Pferde werden irgendwann lethargisch oder stinkig. Später kommen Sie dann als schlachtreife Problempferde zu mir zur Korrektur.“

Überforderung hat psychische und physische Auslöser. Hektik und Leistungsdruck schaden genauso wie körperliche Schwerstarbeit. Deshalb achtet Hackl darauf, dass seine Jungpferde beim Reiten nie ins Schwitzen geraten. Stattdessen geht er zwischendrin mit ihnen an den nahe gelegenen Bach zum Plantschen, macht Stangen-, und Bodenarbeit. Neben verschiedenen körperlichen Symptomen sei es ein typisches Anzeichen für Überforderung, wenn Jungpferde nach dem Training unnatürlich lange und intensiv trinken. „Das kommt dem Verhalten eines gestressten Fohlens nahe, das bei seiner Mutter saugt“, sagt der Trainer. „Bei solchen Pferden fahre ich den Trainingsdruck herunter. Trinken sie nur kurz und relaxed, so ist es in Ordnung.“

Ralph Edmond Knittel erkennt Überforderung unter anderem an einem einfachen Trick: Widersetzt sich ein Pferd während des Trainings plötzlich, so hört er vier bis fünf Minuten lang auf. Anschließend verlangt er dasselbe noch einmal. Bietet das Pferd dann seine Mitarbeit an, so war es vorhin einfach überfordert.

Nicht am Beritt sparen!

Ein generelles Problem in der Ausbildung von jungen Pferden ist laut Knittel die „Zeit-ist-Geld-Mentalität“ vieler Pferdebesitzer. Innerhalb weniger Wochen wollen Sie vom Bereiter ein gut ausgebildetes Turnierpferd zurückbekommen. „Wenn sie sehen, dass jemand anderer schneller ausbildet, wollen sie das auch. Das ist gut für ihre Geldbörse, aber schlecht für die psychische und physische Gesundheit des Tieres.“

Kritisch steht Knittel auch den Bewertungen und Anforderungen auf FN-Turnieren gegenüber. In den Basis-Aufbauprüfungen für Jungpferde werde teilweise zu viel verlangt. „Alle Pferde werden in eine Schablone gepresst, nichts wird mehr individuell beurteilt. Wenn ein Pferd da nicht hineinpasst, wird es als untauglich abgestempelt“, sagt der Pferdewirtschaftsmeister. So schnitten zum Beispiel viele leistungs- und charakterstarke Pferde schlecht ab, weil sie vom Gebäude her noch gar nicht fähig seien, die geforderten raumgreifenden, schwungvollen und aufgerichteten Bewegungen zu zeigen. „Wenn ich bei jungen Pferden ohne Rücksicht auf Verluste Bewegungen im 8er oder 9er-Bereich herausreiten will, verschleißen sie körperlich und geistig sehr schnell.“ Die Redewendung „Nu ma sachte mit den jungen Pferden“, habe also durchaus eine Berechtigung.

Erkannt hat das auch die erste Westernreiter Union Deutschland (EWU). Seit 2007 werden dreijährige Pferde bei keinem Turnier mehr zugelassen. Auch die Bewertung der Jungpferdeprüfungen wurde überarbeitet und der Schwerpunkt auf die Erfüllung der Ausbildungsskala gelegt. „Bislang war es für Züchter, Besitzer und Reiter interessant, junge Pferde in den Futurity-Wettbewerben vorzustellen. Dort konnte man schnell viel Geld machen“,heißt es auf Anfrage in der Pressestelle. „Durch den Anschluß an die FEI und dem damit erhaltenen Stellenwert der Reining werden auch ältere Pferde, die lange fit im Sport gehen können, interessant. Unser Ziel ist, genau das zu fördern und die zu jungen Pferde einfach nicht im Sport zuzulassen“. Mit ihren Änderungen steht die EWU derzeit aber noch alleine da. Die anderen Westernverbände lassen auch Dreijährige Sliding Stops vollführen. Arthrose, chronische Sehnenschäden und Hufrollenentzündung sind die Folge.

Zusammenfassung:

Was Sie gut machen können / Welche Fehler Sie machen können

Richtig Falsch
Fohlen im möglichst naturnahen Herdenverband aufziehen. So lernen Sie die arttypischen Verhaltensweisen Fohlen in Einzelhaft halten
Fohlen und Jungpferden von Anfang an klar machen, wer der Ranghöhere ist Respektlosigkeiten beim Fohlen dulden, weil es doch noch so klein und süß ist
Die wichtigsten Arbeiten im Umgang (Putzen, Führen, Halftern, Hufe geben) bereits im Fohlenalter starten Das Jungpferd schon selber „anreiten“, damit der Bereiter nur noch die Feinarbeit machen muss
„Grünes Pferd, erfahrener Reiter. Erfahrenes Pferd, grüner Reiter“ „Grünes Pferd, grüner Reiter.“
Spätreife Pferde wie Araber erst mit 5 Jahren anreiten. Alle Pferde mit 3 Jahren anreiten.
Gefühlvolles Aussacken: erst Zeigen, dann leichtes, später starkes Berühren mit unbekannten Gegenständen Heftige Konfrontationen: Pferde zu schnell und zu zwingend an unbekannte Gegenstände heranführen
Pferde nicht ins Schwitzen kommen lassen. Zwischendurch die Arbeit durch Spaziergänge und Geschicklichkeitsübungen auflockern Jungpferde überfordern: Hektik und Leistungsdruck schaden ebenso wie körperliche Schwerstarbeit
Dem Jungpferd und seinem Bereiter genügend Zeit für eine solide Grundausbildung geben „Zeit-ist-Geld“-Denken: Andere Bereiter bilden in der halben Zeit aus. Das heißt aber nicht, dass dieses Hau-Ruck-Verfahren auch gut fürs Pferd ist.

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