Kastration (von lateinisch „castrare“ = entnehmen) bezeichnet die operative Entfernung der Hoden (= männliche Geschlechts- bzw. Keimdrüsen). Landläufig wird diese Operation auch „Verschneidung“ oder „Legen“ genannt. Das deutsche Tierschutzgesetz erlaubt nach § 6 (5) die Entnahme dieser Fortpflanzungsorgane. Männliche Pferde werden kastriert, um ihr Sexualverhalten auszuschalten. Kastration reduziert die männlichen Sexualhormone (sog. Testosterone), es vermindert sich dadurch die Libido (Geschlechtstrieb). Das Sexualverlangen des Kastraten (= Wallach) lässt im besten Fall stark nach bzw. ist nach einiger Zeit so gut wie nicht mehr vorhanden.
Gleiches trifft auf die ganz natürliche Aggressionsbereitschaft zu, weshalb kastrierte Pferde – vereinfacht formuliert – insgesamt im Verhalten und im Umgang mit Artgenossen sowie mit Menschen unproblematischer („fügsamer“) sind. Der Testosteronspiegel sinkt etwa innerhalb von acht Stunden nach der Keimdrüsenentfernung rapide ab. Trotzdem tritt die Wirkung bei manchen Pferden nicht sofort, sondern erst im Laufe von Wochen oder gar Monaten ein. Hier spielen eben nicht nur rein hormonelle, sondern genetische und lernbedingte Effekte eine Rolle. Lernbedingte Effekte resultieren aus der sog. Maskulinisierung, die (salopp formuliert) ein Verhaltensmuster im Gehirn darstellt. Es setzt sich z. B. nahezu unauslöschlich fest, wenn zur Kastration anstehende Junghengste auch nur ein enziges Mal vor dem Kastriertwerden „Deckerfolg“ hatten. Damit ist der erste (wesentliche) Schritt zur hirnmäßigen Maskulinisierung getan, der auch den späteren Wallach durchaus noch „motivieren“ kann, Stuten (wenigstens) andeutungsweise zu decken.
Genetik und Maskulinisierung erklären auch, warum selbst früh kastrierte Pferde geschlechtsspezifische Verhaltensweisen wie Imponiergehabe und Deckverhalten gegenüber anderen Pferden zeigen. Die Ausprägung vieler geschlechtsspezifischer Verhaltensmuster beruht (besonders bei spät kastrierten Pferden) eben auf der angesprochenen „Maskulinisierung“ des Gehirns. Das aber ist leider viel zu wenig bekannt. In jedem Fall sollte verhindert werden, dass männliche Jährlinge mehr oder weniger erfolgreich Stuten decken.
[relatedposts type=’manu‘ ids=’5376,5562,5628,5648′]
Man bedenke: Der aktuelle Testosteronspiegel ist nur in wenigen Verhaltensbereichen allein ausschlaggebend. Zu berücksichtigen ist auch: Eine Kastration ersetzt keinesfalls die wichtige Sozialisation, eine behutsame Gruppenintegration oder Erziehung und verhaltensgerechte Haltung des Pferdes. Sie erspart, wenn erst einmal Probleme aufgetreten sind, auch keine konsequente Verhaltenstherapie.
Tangiert Kastration die Leistung?
Allerdings werden Grundtemperament, rassetypischer und individueller Kerncharakter sowie Gangveranlagung und Leistungsfähigkeit durch eine Kastration nicht nennenswert verändert. Zwar neigen Wallache durch die veränderte Stoffwechsellage eher zum Fettansatz und ab einem gewissen Übergewicht auch zur Entwicklung eines entsprechenden Kräfte schonenden Phlegmas, doch lässt sich dieses Problem durch sachgerechte Fütterung leicht vermeiden. Unzutreffend ist zudem die Annahme, dass „Leistung“ geschlechtsspezifisch sei: Ein Hengst ist nicht wegen seines Geschlechtstriebs leistungsfähiger als ein Wallach. Verbreitet ist der Gedanke, dass Hengste z. B. als Dressurpferde geeigneter seien als Wallache. Die Tatsache allein, dass Hengste hormongesteuert aufgeregt piaffieren oder sich schon mal im stolzen Mitteltrab auf der Weide präsentieren, sagt absolut nichts über die (eben im Normalfall nicht durch Hormone gesteuerte!) Leistung und Leistungsbereitschaft unter einem Reiter aus. Im Gegenteil: Erfolgreiche Ausbildung und sportliche Förderung von Hengsten setzen überdurchschnittlich hohe Reit- und Haltungs-Erfahrung, vor allem genügend Geduld und Toleranz, aber auch situationsabhängige Konsequenz – bei angepasstem Respekt vor der männlichen Spezies – voraus.
Bester Zeitpunkt der Kastration?
Narkose und Kastrations-OP sind bei jedem Pferd nie ganz ohne Risiko. Minimiert wird das Risiko zunächst immer durch einen guten Gesundheitsstatus und optimale Wurmprophylaxe sowie durch OP in einer Pferdeklinik. Dazu ist grundsätzlich in jedem Fall zu raten, aber z. B. stets nahezu zwingend bei einseitigem Hodenhochstand („Klopphengst“). Komplikationen (insbesondere bei älteren Hengsten möglich) sind in einer Klinik durchweg erheblich besser beherrschbar. Das Wichtigste ist (egal ob auf der heimischen Weide, in der Box oder in der Klink), dass der Operateur in sauberer Umgebung, in einer ruhigen, für ihn sicheren, nicht hektischen Atmosphäre sachgerecht arbeiten kann.
Was die beste Jahreszeit für eine Kastration angeht, so ist zum zeitigen Frühjahr zu raten, wenn sich noch keine oder sehr wenig Fliegenbrut entwickelt hat. Vorteil ist, dass operierte Pferde zu dieser Jahreszeit bereits angeweidet werden und durch freie Bewegung auf der Weide an frischer Luft der Heilungsprozess enorm beschleunigt wird. Der weitgehend fliegenfreie Spätherbst ist zwar auch als Zeitraum geeignet, doch sind witterungsbedingte (örtlich und haltungstechnisch unterschiedliche) längere Stallverweilzeiten für den Heilungsprozess eher ungünstig. Ausgleichen kann man dies durch sehr penible Einstreupflege und täglich intensive Wundhygiene. Dies alles setzt aber ein erzogenes Pferd voraus!
Hinsichtlich des Alters der zu kastrierenden Hengste gehen die Meinungen auseinander. Aus biologischer Sicht ist es sinnvoll, bereits im Jährlingsalter zu kastrieren, was nach den Erfahrungen des Verfassers auch die wenigsten Komplikationen mit sich bringt. Insbesondere einjährige Junghengste im Stadium der frühen Geschlechtsreife, bei denen aber die „Maskulinisierung“ des Gehirns noch nicht durch erfolgreiche Deckerfahrung (!) geprägt wurde, versprechen sehr leistungswillige, gut zu sozialisierende („gruppentaugliche“) Pferde zu werden. Hinzu kommt, dass sich bei früh kastrierten Pferden insbesondere die typischen Hengsthälse (u. a. mit unerwünschter Ganaschenenge bei vielen Rassen, besonders aber bei Naturrassen wie Isländern oder Norwegischen Fjordpferden) gar nicht erst oder nur geringgradig entwickeln.
Für eine generelle späte Kastration, etwa erst im Alter von drei Jahren oder gar später, spricht nichts. In Einzelfällen der (haltungsbedingten!) Unterentwicklung männlicher Fohlen kann es sich allerdings empfehlen, erst mit zwei Jahren zu kastrieren.
Stets spreche man diese OP rechtzeitig mit der Klinik bzw. dem behandelnden Tierarzt ab. Sind Transporte erforderlich, dürfte ein sorgsames Verladetraining etliche Wochen vorher obligatorisch sein. Leider zeigt die Praxis, dass dies häufig total vernachlässigt wird und erst am OP-Tag „überfallmäßg“ der Junghengst mit vereinten Kräften in den Anhänger bugsiert wird, den er fortan – auch als Wallach – nur noch als „Zwangsjacke“ ansehen wird. Wer z. B. auch diese Mühen scheut, sollte nicht züchten!