Dressurreiten mit Haflinger, Tinker und Co: Robustpferde individuell trainieren!

Sie sind eher klein, knubbelig und kurzbeinig und entsprechen im Allgemeinen so gar nicht dem Idealbild eines Dressurpferdes. Rassen wie zum Beispiel Haflinger, Fjordpferde oder Tinker. Einst gezüchtet als anspruchslose und trittsichere Zug- und Tragtiere, die ohne besonderen Witterungsschutz auch ganzjährig auf der Weide gehalten werden konnten, haben sie im Laufe der Jahre jedoch auch Einzug gehalten in die Reitschulen und Reitbetriebe und sind aufgrund ihres meist genügsamen und ausgeglichenen Charakters besonders bei Freizeitreitern beliebt. Bei vielen Vertretern solcher Robustpferde wird in dressurmäßige Ausbildung tatsächlich nichts oder nur wenig investiert – und viele Ausbilder haben leider auch keine große Lust, sich diesen Pferden ernsthaft zu widmen. Dabei gilt auch hier: Dressurarbeit kommt jedem gerittenen Pferd zugute! Und sie kann auch jedes Pferd – zumindest innerhalb seiner individuellen Grenzen – verbessern und gesund erhalten.

Die meisten solcher Pferde mögen dabei zwar nach wie vor „Wald- und Wiesenpferde“ bleiben (was ja nichts Schlechtes ist!), aber sie werden durchlässiger, angenehmer zu reiten und dadurch selber unter dem Reiter zufriedener. Manche schaffen auch den Sprung ins Viereck oder über kleinere Hindernisse und bereiten ihren Reitern auf E- und A-Niveau viel Freude. Und einige wenige offenbaren im Verlauf der Arbeit gar versteckte Talente. So gibt es durchaus den ein oder anderen Haflinger oder Fjordi, der erfolgreich in M- oder gar S-Dressur unterwegs ist. So war ein – inzwischen „verrentetes“ – M-platziertes Dülmener Wildpferd auf vielen Shows und Messen mit seiner tollen Piaffe- und Passagetour Publikumsliebling. Und so  schaffte sogar ein Tinker, eigentlich der Inbegriff des eher schwerfälligen Freitzeitpferdes, den Sprung in die Platzierungsränge von Dressur- und Fahrprüfungen.
Matthias Bouten, ehemals Chefbereiter bei Isabell Werth und selbst bis Grand Prix erfolgreich, sagt über den St.-Georg platzierten den Haflinger Lutz: „Er ist ein absolut nervenstarker und verlässlicher Kerl. Sehr lektionssicher und für einen Haflinger mit einem guten Schwung ausgestattet. Im Unterschied zu Warmblütern lässt er sich durch nichts aus der Ruhe bringen – kann dagegen aber auch schon mal sehr stur sein.“

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Wer die Robusten unter den Pferden trainiert, muss sich darüber im klaren sein, dass die meisten früher an ihre Grenzen stoßen als für sportliche Nutzung gezüchtete Pferderassen. Über diese Grenzen hinausgehen zu wollen, wäre dem Pferd gegenüber ungerecht. Träumt man also von einer Dressurkarriere, sollte man sich bei der Pferdesuche für ein entsprechend talentiertes Warmblut entscheiden. Wer sein Herz dagegen an ein Robustpferd verschenkt hat und sich und sein Pferd trotzdem verbessern möchte, kann ja einfach mal schauen, wie weit er mit seinem Liebling kommt. Die kritische Auseinandersetzung mit den körperlichen Gegebenheiten des Pferdes muss dabei obenan stehen:

Bewegungen

Viele Robuste verfügen aufgrund ihres gedrungenen Körperbaus über eher stampfende, erdgebundene Bewegungen, die sich selten in große, raumgreifende und federnde verändern lassen. Kleine Verbesserungen sind jedoch möglich. Wichtig dabei ist, wie bei anderen Pferden auch, immer wieder das Vorwärts-Abwärts-Reiten, um Pferderücken und Psyche zur Entspannung zu bringen und die Dehnungsbereitschaft zu erhalten beziehungsweise zu fördern. Auf diese Weise kommt nicht nur der Rücken hoch, sondern auch der Widerrist, was sich wiederum positiv auf die Gangqualität auswirkt. Je mehr sich der Widerrist hebt, desto freier kann ein Pferd, auch ein Robustpferd, aus der Schulter und damit mit den Vorderbeinen arbeiten und zu einem leichtfüßigeren Gangbild kommen.
Vorwärts-Abwärts allein genügt aber nicht, um ein Robustpferd zu gymnastizieren.

Körperlinien

Besondere Beachtung brauchen der kurze, meist breite Rücken und der ebenfalls oft kurze Hals. Intensive Gymnastizierung auf gebogenen Linien und in Seitwärtsbewegungen und Seitengängen zur Verbesserung der lateralen Beweglichkeit der Hals- und Rückenmuskulatur sollten ganz oben auf dem Trainingsprogramm stehen. Als Zug- und Lastentier gehören zwar Lektionen wie Schulterherein, Travers oder Renvers normalerweise nicht zum Anforderungsprofil von Haflinger & Co., doch lässt sich gerade auch mit solchen Übungen die Geschmeidigkeit erarbeiten sowie nebenbei auch noch die Schub- und Tragkraft der Hinterhand verbessern.

Der kurze Hals vieler Robustpferde stellt für die Dressurarbeit nicht nur eine spezielle Herausforderung dar, er muss auch ein wenig differenzierter betrachtet werden, wenn es um die Kopf-Hals-Einstellung in der Arbeit und auf einem möglichen Turnier geht. Im Training darf ein Pferd mit einem sehr kurzem Hals ruhig einmal ein wenig zu tief und vorübergehend sogar mal etwas hinter die Senkrechte geraten, Hauptsache, der Hals ist gerundet und das Pferd rollt sich weder ein, noch legt es sich auf die Hand und wird von ihr auch nicht zurückgezogen. Bei extrem kurzen Hälsen passiert es nämlich sonst schnell, dass sich das Pferd eine Art Pseudoaufrichtung angewöhnt und sich, statt mit Hilfe seiner oberen Halsmuskulatur in Selbsthaltung zu tragen, bei festem Rücken auf dem Unterhals abstützt. Bei kurzen Hälsen wird dies vom Reiter oft übersehen und mit Aufrichtung verwechselt.

Das Genick als höchster Punkt ist natürlich trotzdem das Ziel, sollte aber vor allem anfangs nicht zu oft und auch nicht zu lange (manchmal reichen  wenige Minuten) verlangt werden.

Schub- und Tragkraft

Für ein Dressurpferd wichtig sind die Förderung und Verbesserung von Schub- und Tragkraft. Während letztere vielen Robustpferderassen quasi schon in die Wiege gelegt wurde, hapert’s meist mit der Schubkraft. Die eigene Körpermasse in weiten Schritten, Tritten oder Sprüngen vorwärts zu bewegen war für die Lasten- und Zugtiere eben nicht ursprüngliches Zuchtziel, Zugkraft war da gefragter. Trotzdem lässt sich auch hier über entsprechendes Training einiges verbessern. Reiten über Bodenricks (niedrigste Einstellung) fördert das aktive Untertreten bzw. -springen und damit die Schubkraft, antreten Lassen die Tragkraft. Deshalb darf – in Grenzen – die Handarbeit, also die Touchierarbeit vom Boden aus, ebenso zum Trainingsprogramm eines Robusten gehören wie zu einem aufstrebenden Warmblüter. Dabei geht es nicht darum, einem Robustpferd ein prüfungsreifes Piaffieren beizubringen (das es auf einem Turnier vermutlich sowieso nie brauchen wird), sondern lediglich darum, über halbe Tritte seine Hinterbeine ’schnell‘ zu machen, es zu mehr Hankenbeugung aufzufordern und somit zu erhöhter Lastaufnahme zu bringen. Wenn es dabei irgendwann gut piaffiert und vielleicht sogar passagiert – umso besser. Auch dadurch lässt sich die Bewegungsqualität ein wenig verbessern.

Kurze Beine

Modisch orientierte Reiterinnen wissen es aus eigener Erfahrung: Aus kurzen Beinen lassen sich nun mal keine langen Beine machen; aber: Mit dem richtigen Sporttraining und dem entsprechenden Outfit können auch kurze Beine länger wirken. Nun bringen bei einem kurzen Pferdebein gedeckte Bandagenfarben eher weniger, ein gezieltes sportliches Training kann aber sehr wohl zu einer optischen Verlängerung der Extremitäten führen. Zum einen können auch Robustpferde durch korrektes Training in Verbindung mit leistungsgerechter Fütterung insgesamt etwas athletischer werden. Zum anderen führt die Gymnastizierung nach den Prinzipien der Ausbildungsskala zu einem durchlässigeren und sich auch geschmeidiger und damit eleganter durch den Körper bewegenden Pferd. Wo der untrainierte Weidebauch verschwindet und trainierter Bauchmuskulatur Platz macht, wo die Kruppe nicht mehr ganz so ausladend ist und die Bewegungen leichtfüßiger werden, da erscheinen die Beine dann auch gleich länger. Deshalb: (Dressur-)Ausbildung lohnt sich immer!

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