Stimmhilfe: Beim Reiten oftmals überschätzt

Ein Pferd versteht nicht Worte, wie der Mensch, sondern Laute“, sagt der Freiburger Tierarzt und Verhaltensforscher Prof. Dr. Klaus Zeeb. „Es lernt, die Bedeutung dieser Laute in die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd zu integrieren. Wenn Kommandos sich immer wieder wiederholen, werden sie vom Pferd in ihrer Bedeutung erkannt.“ Es lernt also: Spricht mein Mensch diesen Laut, so will er, dass ich rückwärts gehe.

Geringes Sprachverständnis

Aussagekräftige Studien darüber, wie viele Worte ein Pferd sich merken kann, gibt es nicht. „Ich benutze je nach Pferd zwischen 20 und 50 Stimmkommandos“, sagt die Barock- und Tellington-Ausbilderin Barbara Heilmeyer vom Fasanenhof in Bruchsal. Dabei sei aber die Körpersprache die dominierende Sprache, denn sie kommt der Natur des Pferdes besser entgegen. Als Fluchttier besitzt es selbst kaum akustische Laute. Mit Wiehern, Schnauben und Prusten ist sein Repertoire schon fast aufgebraucht. Nicht einmal einen Schmerzlaut hat die Evolution ihm mitgegeben – als Vorbeugung, um nicht von Fressfeinden gefunden zu werden und die ganze Herde zu verraten. Selbst bei Geburten und schweren Knochenbrüchen geben Pferde deshalb nur ein leise grunzendes Stöhnen von sich.

Clicker statt Worte

Auf eine andere Art trainiert auch Christiane Müller von der Villa Kunterbunt in Neureichenau ihre Pferde. Anstelle eines Belohnungswortes benutzt sie jedoch einen Clicker – dieser ist emotionsloser, schneller und präziser als die menschliche Stimme und fungiert bei der Kommunikation mit dem Pferd quasi als Sprachübersetzer.

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„Niemals wird der Mensch wirklich Equus sprechen und das Pferd auch nicht Homo Sapiens“, ist Müller sicher, „und doch müssen wir miteinander kommunizieren können. Viel zu oft ist die Kommunikation zwischen Pferd und Mensch durch unklare Körpersprache und Hilfengebung, zu viele und uneindeutige Stimmsignale, überhaupt das ständige Geplapper des Menschen verwaschen und für das Pferd völlig diffus. Der Clicker setzt ein einzigartiges Marker-Signal, das dem Pferd mitteilt: Das, was du gerade in dem Moment tust, ist richtig!“ Mehr kann der Clicker allerdings nicht sagen. Ein Kommando wie „Heb dein Bein an!“ oder „Jetzt antraben!“ muss immer noch auf herkömmliche Weise gegeben werden – also durch taktile, visuelle oder akustische Reize.

Unterschiedliche Gehirnstruktur

Christiane Müller sieht die Ursache für das mensch-pferdische Sprachproblem in den unterschiedlich strukturierten Gehirnen der beiden Spezies: „Pferde haben kein Sprachzentrum wie wir. Deshalb halte ich unsere menschliche Sprache als ungeeignet fürs Pferd. Sie liegt nicht in seiner Natur.“ Und das obwohl Pferde ein weitaus besseres Hörvermögen als wir Menschen haben.

Mit diesem Hintergrund ist es schon beinahe unglaublich, dass Pferde überhaupt auf Menschenworte reagieren. „Deshalb ist es wichtig, dass der Reiter kein Dauergeschwätz, sondern klare, immer gleich ausgesprochene Kommandos von sich gibt“, sagt Verhaltensforscher Zeeb. „Man muss sich dabei frei machen von seinen eigenen Stimmungen und Emotionen, sonst verliert das Kommando seine Bedeutung.“ Ein aufgeregtes, schrilles „Halt! Stopp! Hilfe!“ hat also eine völlig andere Wirkung als ein beruhigendes, lang gezogenes „Haaaaalt!“.

Auch sollte niemals ein und dasselbe Kommando mehrere Bedeutungen haben. Barbara Heilmeyer verwehrt sich vor allem gegen häufiges Schnalzen. „Viele Reiter gebrauchen es universell zum Antreten, zum Hufe geben, zum schneller Gehen, zum Rückwärtstreten und zum Angaloppieren. So etwas wirkt auf das Pferd abstumpfend, da es unverständlich ist“, sagt die Ausbilderin. Gleiches gelte für Zwei- und Dreiwortsätze, die mit dem gleichen Wort beginnen: „Komm, gib Huf!“ oder „Komm, geh rückwärts!“ ist schwieriger für das Pferd als „Huf!“ und „Rückwärts!“

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Holzrücker sind Stimm-Experten

Anders sieht das bei Freiheitsdressuren und bei Holzrückepferden aus. Letztere können sogar auf mehrere hundert Meter Distanz Richtungswechsel auf Zuruf vornehmen. Alle Jahre wieder treffen sich die besten von ihnen zur „Internationalen Meisterschaft im Holzrücken mit Pferden“. Bei der Prüfung „Arbeiten auf Zuruf/Stimme“ müssen die Pferde in einer vorgegebenen Reihenfolge durch einen Parcours mit Holzbrücke, Wasser, Sichtblenden aus Reisig und anderen Hindernissen gelenkt werden. Um den „Gehorsam und das Vertrauen der Pferde in den Menschen unter Beweis zu stellen“ ist als Hilfsmittel nur die Stimme erlaubt. Jedes Aufnehmen der Leinen bringt Strafpunkte.

Körpersprache dominiert

Die hauptsächliche Kommunikation, sagt Barbara Heilmeyer, laufe beim Pferd über andere Signale als die Sprache. Manchmal sogar über solche, die der Besitzer selbst nicht wahrnimmt. „Wenn ich das bekannte Kommando ‚Rückwärts!’ gebe, dabei aber ‚vorwärts!’ denke, wird das Pferd vorwärts gehen. Wenn ich im Sattel so einsitze, dass ich das Signal ‚vorwärts!’ gebe, sage aber ‚Rückwärts!’, so wird es meiner Körpersprache folgen.“

Das erklärt auch, warum einige gehörlose Menschen trotz fehlender Sprache wunderbare Reiter und Pferdebesitzer sind. Es gibt sogar Fälle, wo Gehörlose ein Pferd bis zur hohen Schule ausgebildet haben. Die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Gilbeau unterhält in Osnabrück das „Voltiwerk – Stätte für therapeutisches Reiten“ und kennt einige Gehörlose, die genauso gut reiten wie hörende und sprechende Menschen.

Ohne Stimme geht es, ohne Körpersprache nicht, findet Gilbeau. Als Beispiel nennt sie eine Szene, die sich vor kurzem in ihrer Reithalle ereignete: Eine Reiterin longierte ihr Pferd und wollte vom Trab aus angaloppieren. „Sie sagte ‚Galopp!’, doch sonst änderte sie nichts. Die Körpersprache war passiv, die Betonung fehlte völlig. Daraufhin sagte sie es immer wieder: ‚Galopp. Galopp. Galopp.’, und das Pferd dachte nur: ‚Du mich auch.’“

Sprache macht dem Menschen Laune

Ob das Pferd nun einen Satz versteht oder nicht – manchmal fühlen wir Reiter uns einfach besser, wenn wir etwas zu sagen haben. Darin sind sich alle Ausbilder einig. Und diese psychische Komponente ist nicht zu unterschätzen. „Wenn ich so klar zum Pferd spreche, hilft mir das, meine eigenen Gedanken zu sortieren“, sagt Barbara Heilmeyer. „Dann bin ich mir viel bewusster darüber, wie viele Schritte ich noch nach rechts machen will oder wie viele Galoppsprünge ich bis zum Absprung habe.“

Der Profitrainer und Erfinder der Dual-Aktivierung, Michael Geitner, war vor zehn Jahren noch der Meinung, Pferde könnten sich niemals mehr als fünf bis sieben Kommandos merken. Heute, 4000 Trainingspferde später, geht er vor einem Lehrgang in die Stallgasse und motiviert seine Schulpferde. „Leute, heute will ich einen guten Job von euch haben“, sagt er zu seinen vierbeinigen Mitarbeitern. „Man kann auch mal einen schlechten Tag haben, aber ich will, dass ihr euch anstrengt.“

Wer es gemeinsam mit seinem Pferd schaffe, die Wahrnehmung für einander zu bewahren, dem wird das sensible Tier auch zuhören, ist Geitner sicher. „Pferde können sich auf verschiedene Arten der Kommunikation einstellen. Wer gut mit ihnen umgeht und ohne großes Ego trainiert, kann mit ihnen alles erreichen – egal ob er dabei spricht oder nicht.“

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