Die atypische Weidemyopathie kommt ausschließlich bei Weidepferden vor. Die Fälle treten im Herbst, aber zum Teil auch im Frühjahr auf; vor allem nach einem plötzlichen Kälteeinbruch und ersten Nachtfrösten. Warum es einen Zusammenhang gibt, wurde wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt. Besonders gefährdet scheinen zudem Weiden mit starkem Verbiss oder mit Baumbestand zu sein oder solche, die am Waldrand liegen und durchaus seit mehreren Jahren als Pferdeweide genutzt werden. Sie sind feucht und schattig und im Herbst von Blättern unterschiedlichster Bäume belegt. Betroffene Pferde werden meist Tag und Nacht dort gehalten und gar nicht oder nur wenig zugefüttert. Wohl gute Voraussetzungen dafür, dass Pferde auch mal ein Futterangebot nutzen, das normalerweise nicht zum Bevorzugten gehört.
Erkranken die Tiere, zeigen sie häufig Anzeichen wie einen steifen Gang, Muskelzittern, Koordinationsstörungen, Kolik, Schweißausbruch, schnelle Atmung und dunklen Urin (verursacht durch den Muskelfarbstoff Myoglobin von zerfallenen Muskelfasern). In letzter Konsequenz kommt es zum Festliegen der Tiere, weil deren gesamte Muskulatur zerstört wird. Die Krankheit tritt sehr plötzlich auf und nimmt einen raschen Verlauf über einen Zeitraum von etwa 24 Stunden. Selbst bei sofort eingeleiteter Therapie liegt die Sterberate noch bei 90 Prozent. Bekannt ist das Krankheitsbild erst seit 1984. Seither gab es jährlich zahlreiche Todesfälle in mehreren europäischen Ländern. In Deutschland waren vor allem die Bundesländer Sachsen und Thüringen betroffen.
Vergiftung durch Hypoglycin A in Ahornsamen
Wie die British Equine Veterinary Association und mehrere US-Amerikanische Wissenschaftler herausfanden, sind die Samen des Eschen-Ahorns eine mögliche Ursache für die atypische Weidemyopathie. Endgültig geklärt sind alle Auslösefaktoren aber noch nicht. Sicher ist: Die Krankheit ist auf eine toxisch bedingte Störung des Muskelstoffwechsels zurückzuführen. Schuld an der Vergiftung ist das Toxin Hypoglycin A, das in verschiedenen Ahornsamen vorkommt, vor allem aber im Eschen-Ahorn, eine aus Nordamerika schon lange eingeführte Baumart. Erkennbar an den untypischen Ahornblättern, sie sehen mehr nach Eschen Blättern aus. Die Samen tragen kleine Nüsschen mit zwei langen „Propeller“-Flügeln. Aber auch im Samen des bei uns in den Mittelgebirgen weitverbreiteten Berg-Ahorn wurde der Stoff nachgewiesen; offenbar ist er nicht im üblichen Feld- und Spitz-Ahorn enthalten.
Das Hypoglycin A blockiert den Fettstoffwechsel von Muskelfasern und schränkt dadurch die Arbeit sämtlicher Muskeln ein, auch die der Atem- und Herzmuskulatur. Zudem werden die Nieren stark geschädigt. Laut der Veterinärmedizinischen Universität Wien liegt die tolerierbare Dosis für ein Pferd zwischen minimal 26 mg/kg/Tag (entspricht etwa 165 Samen) und maximal 373 mg/kg/Tag (entspricht ca. 8000 Samen). Ein Ahornbaum trägt etwa 500.000 Samen.
Das Gute: Die Ahorn Samen werden normalerweise von Pferden nicht gefressen. Ist die Weide aber nur spärlich bewachsen und das Futterangebot gering, so sinkt die Hemmschwelle.
Vorbeugen und behandeln
Stehen Ahornbäume auf der Koppel, so empfiehlt es sich, diese mit einem weiträumigen Zaun abzuzäunen, um die Aufnahme der herabfallenden Samen einzuschränken. Eine endgültige Lösung ist dies jedoch nicht, da durch den Wind weiterhin Samen auf die Weide geweht werden können. Wichtig ist in solchen Fällen, dass immer genügend artgerechtes Futter zur Verfügung steht, sodass die Pferde nicht in Versuchung kommen, die eigentlich unattraktiven Samen zu fressen. Um das Risiko für eine Erkrankung ihrer Tiere weiterhin zu minimieren, sollten Pferdebesitzer ihre Tiere im Herbst möglichst nicht auf überweideten Koppeln halten und wenn notwendig viel Heu als zusätzliches Futter anbieten. Auch eine Begrenzung des Weidezugangs im Herbst auf mehrere Stunden am Tag und die Tiere nachts in den Stall zu holen, wird empfohlen.
Bei allen auftretenden Symptomen, die zunächst vielleicht für eine andere Erkrankung sprechen, z.B. Kolik, muss speziell im Herbst immer auch an die Möglichkeit einer atypischen Weidemyopathie gedacht werden. Die Veterinärmedizinische Universität Wien rät: Pferdebesitzer sollten auf die typischen Kennzeichen achten und beim Auftreten erster Anzeichen umgehend den Veterinär kontaktieren. Der Tierarzt stellt dann eine Diagnose anhand einer Blut- und Harnuntersuchung und verabreicht bei einem positiven Befund Kortison, Antibiotika und Schmerzmittel. Ein Erfolg tritt leider nur in wenigen Fällen ein.