Wunderpferde der Geschichte: Bukephalos, Vizir und der niedergemetzelte Athos

Unsere Geschichtsbücher würden sich anderes lesen, wäre Dschingis-Khan ein Fußgänger gewesen. „Auf dem Rücken der Pferde liegt unsere Geschichte. Nie ging ein Tier so völlig im Dienste des Menschen auf, wie das Pferd. (…) Sein Rücken wurde zum Thron des Herrn der Welt“, schreibt Hans-Heinrich Isenbart in „Das Königreich des Pferdes“. Reitervölker eroberten die Welt, Pferde brachten die Menschheitsgeschichte auf Trab. Sie brachten ihre Reiter in die Schlacht, trugen sie zu Sieg und Niederlage, schleppten sie bis ans Ende der Welt und ans Ende ihrer Kräfte, erbrachten im Dienste des Menschen unvorstellbare Leistungen und zahlten mit Blut und Tod für diesen Dienst. Der Dank? „Nie sind Sanftmut und Gehorsam, nie die Ergebenheit so ausgenutzt, so schlecht gelohnt worden, wie Menschen sie den Pferden lohnten“, schreibt Isenbart weiter und ergänzt: „Nie aber ist größerer Ruhm, ist gleiche Verherrlichung einem Tier zuteil geworden.“

Bukephalos, der Ochsenkopf: Eine Stadt für das bekannteste Pferd der Antike

Von Alexander dem Großen heißt es, sein Wunsch nach großen Eroberungen sei zum ersten Mal erwacht, als es ihm als Halbwüchsigem gelungen war, einen ungebärdigen Junghengst zu reiten. Das Tier hatte noch niemanden auf seinem Rücken geduldet – Alexander erkannte, dass sich der Hengst vor dem Schatten von Pferd und Reiter fürchtete, drehte ihn so, dass er den Schatten nicht sehen konnte und konnte das Tier problemlos reiten. Sein Vater bezahlte für den Hengst einen horrenden Preis, der dem Monatssold von 1.500 Soldaten entsprach.

Die Investition lohnte sich: Bukephalos, der „Ochsenkopf“, war Alexander beinahe dreißig Jahre lang ein treuer Begleiter in Schlachten und Feldzügen. Der Hengst, der bald als Wunderpferd galt und angeblich sprechen konnte, trug seinen Reiter von seiner griechischen Heimat Pella über Damaskus, Babylon und Samarkand bis an die Grenze Nordindiens. In der Schlacht am Hydaspes, Alexanders letzter und verlustreichster Schlacht, verlor der Feldherr schießlich auch sein Pferd: Bukephalos soll im Fluss ertrunken sein.

Ihm zu Ehren gründete Alexander auf dem Schlachtfeld die Stadt Alexandreia Bukephalos, das heutige Jhemal in Pakistan. Er ließ für den Hengst, der ihn über so viele Jahre und Kilometer zuverlässig getragen hatte, ein Mausoleum errichten und beerdigte ihn prunkvoll. Wie Bukephalos aussah, woher er stammte und warum Alexander ihn „Ochsenkopf“ nannte, ist nicht bekannt. Vermutet wird, dass das berühmteste Pferd der Antike von einem Berberhengst und einer thessalischen Stute abstammte.

Von Paris nach Paris: Vizir, ein Schimmelreiter und ein langer Umweg

1804 erhielt Napoleon Bonaparte den arabischen Schimmelhengst „Le Vizir“ als Geschenk des türkischen Sultans. Napoleon soll ein begeisterter Schimmelreiter gewesen sein und die weißen Pferde stets andersfarbigen vorgezogen haben. Darüber hinaus soll er auch ein sehr schlechter Reiter gewesen sein; es heißt, er habe zu Pferd eine miserable Figur gemacht. Doch „trotz seines oft unverantwortlich fahrlässigen Sitzes war er ein ausdauernder und vor allem schneller Reiter“ (Barbara Bartos-Höppner, „Auf dem Rücken der Pferde“).

Am 9. Mai 1812 brach Napoleon auf Vizirs Rücken nach Litauen und von dort zu seinem fatalen Russlandfeldzug auf. Am 24. Juni überquerte er mit mehr als einer halben Million Mann und einer knappen Viertel Million Pferden die Memel und drang ins Innere Russlands vor. Am 14. September zog er in das brennende Moskau ein; die schlechte Versorgungslage und der Wintereinbruch zwangen ihn zur Umkehr. Mehr als 350.000 von Napoleons Gefolgsleuten und rund 167.000 Pferde ließen auf dem Feldzug ihr Leben.

Napoleon und sein Reitpferd überlebten. Vizir trug seinen Reiter zurück nach Paris, wo die beiden am 19. Dezember 1812 wieder eintrafen. In acht Monaten hatten Pferd und Reiter mehr als sechstausend Kilometer zurückgelegt. Vizir überlebte nicht nur den Feldzug, sondern auch seinen Reiter: Der Schimmel begleitete Napoleon ins Exil auf St. Helena, wo er fünf Jahre nach seinem Herrn starb. Danach wurde er nach Frankreich zurückgebracht und steht heute ausgestopft im Hôtel des Invalides in Paris.

Wien-Berlin in knapp drei Tagen: Athos und der „Metzelritt“

1892 kam es zu einem Wettstreit zwischen der deutschen und der österreichischen Kavallerie. Abgesehen von der stattlichen Siegerprämie ging es dabei vor allem um die Ehre, die leistungsfähigeren Pferde und Reiter zu haben, und darum, die einst verfeindeten und nun im Kriegsfall verbündeten Heere zusammenzuschweißen. Die Offiziere sollten auch ihr Pferdewissen und ihr reiterliches Können unter Beweis stellen, daher blieb ihnen die Wahl der Route, des Reittempos und der Ruhezeiten überlassen.

Mehr als zweihundert Reiter gingen bei dem Ritt an den Start. Die Wiener ritten nach Berlin, die Preußen nach Wien, wobei die Österreicher leicht im Vorteil waren: Sie ritten erst im schwierigen, dann im leichteren Gelände. Es wurde Tag und Nacht geritten, bis an die Grenzen der Erschöpfung und weit darüber hinaus. Getrieben von Ehrgeiz und Siegeswillen ritten etliche Reiter ihre Pferde zuschanden.

Auch der österreichische Oberleutnant Wilhelm Graf Starhemberg trieb sein neunjähriges, englisch-ungarisches Halbblut „Athos“ zu Höchstleistungen an. Mit insgesamt nur elf Stunden Pause bewältigte Athos die rund 570 Kilometer lange Strecke in einer Gesamtzeit von 71 Stunden und 26 Minuten. Im wahrsten Sinn des Wortes lief der Wallach sich für seinen Reiter tot: Er starb wenige Tage nach dem Rennen an den Folgen des enormen Kraftakts. Die Zweitplatzierte, die Stute „Lippspringe“, brach bereits im Ziel zusammen und starb nach zwei Tagen ebenfalls. Fünfundzwanzig Pferde aus dem Teilnehmerfeld waren innerhalb einer Woche tot.

Die englische Presse bezeichnete den Wien-Berlin-Ritt damals als Metzelei, die durch die hohen Preisgelder (20.000 Mark für den Sieger) noch zusätzlich angeheizt wurde. „Der Rekord, den wir jetzt überblickn, thut beim Lesen weh“, hieß es im Rittbericht von 1892.

Der Kavallerieritt Wien-Berlin war der traurige Beginn des Distanzreitens in Deutschland. Heute werden Distanzpferde auf Langstreckenritten engmaschigen Tierkontrollen unterzogen und müssen auch am Folgetag ihre Reittauglichkeit unter Beweis stellen. Athos hilft das nichts mehr – der zähe, aufopferungsvolle Halbblüter ist heute nicht mehr als eine Fußnote in der langen gemeinsamen Geschichte von Mensch und Pferd.

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