Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland einzelne Wildbahnen, in denen sich „Wildpferde“ erhielten und fortpflanzten. Dabei handelte es sich um verwilderte Hauspferde. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es fünf solcher Wildbahnen in Westfalen. Den nahezu vollständigen Niedergang der Wildpferde brachten die Markenteilungen zwischen 1840 und 1850 mit sich, nur die Wildbahn im Merfelder Bruch bei Dülmen in Westfalen konnte bis hinein in unsere Tage erhalten werden.
Zweifellos handelt es sich bei den Dülmener Wildpferden um die älteste Kleinpferderasse Deutschlands; denn schon 1316 werden diese Pferde in einer Urkunde erstmals erwähnt. Damals sicherten sich die Herren Johannes de Lette und Hermann de Merfeld neben dem Jagd- und Fischereirecht auch das Recht an den wilden Pferden. Dass sich bereits im Mittelalter ein solches Recht herausgebildet hatte, lässt den Schluss zu, dass diese kleinen Pferde schon sehr viel länger in diesem Gebiet heimisch waren. Dies wird auch durch Cäsars Geschichtsschreiber bestätigt (55 v. Chr.), als sie ein kleines zottiges Pferd beschrieben, welches in der Lage war, sich schnell fortzubewegen.
Rettung der Rasse
Vor allem dem Herzog Alfred von Croy haben wir es zu verdanken, dass nach der Markenteilung die Dülmener nicht ausgerottet wurden. Er veranlasste um 1850, dass die letzten Wildpferde – eine kleine Herde von etwa 20 Tieren – eingefangen wurden und gab ihnen ein Gehege von zunächst 132 Morgen, das jedoch im Laufe der Zeit wegen der Vermehrung der Pferde mehrmals vergrößert wurde.
Heute umfasst die Wildbahn im Merfelder Bruch ca. 1500 Morgen und bietet 250 bis 300 Pferden Lebensraum und Nahrung. Dülmener Wildpferde sind wegen ihrer außerordentlichen Härte bekannt. Diese Härte resultiert aus der natürlichen Selektion und den Haltungsbedingungen. Obwohl die Wildbahn mit Weide-, Wald-, Heide- und Bruchgelände den Pferden abwechslungsreiche Nahrung bietet, ist das Futterangebot nur mäßig und karg. Hinzu kommt, dass die Wildlinge nur in strengen Wintern ein Zufutter in Form von Heu und Stroh und in neuerer Zeit auch Grassilage erhalten, aber niemals Kraftfutter.
Wildpferde im zoologischen Sinne sind die Dülmener jedoch nicht, da sie alle mehr oder weniger Merkmale der Domestikation erkennen lassen. Zum einen hat es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder Vermischungen mit Kriegs- und Bauernpferden gegeben, zum anderen wurden zur Blutauffrischung wiederholt auch Hengste „fremder Rassen“ eingekreuzt; so unter anderem Welshponys der Sektion A und B. Ab 1944 setzte man jedoch nur noch Hengste ursprünglicher (primitiver) Rassen ein – Mongole, Huzule, Exmoor – und seit 1956 überwiegend Konikhengste aus dem Tarpanrückzüchtungsprogramm in Popielno/Polen oder aber deren Abkömmlinge aus der Wildbahn.
Da in den vergangenen Jahren überwiegend graufalbe Hengste als Beschäler Verwendung fanden, kristallisiert sich ein klar umrissenes Zuchtziel heraus: Das neue Bild der Herde soll einer Wildpferdeherde gleichen; d. h. es haben sich zwei Hauptfarben herausgebildet. Man unterscheidet zwischen dem Tarpan–Typ (mausgraue Falben) und dem Przewalski–Typ (gelbbraune Falben). Daneben gibt es dunkel- und schwarzbraune Pferde, die alle den charakteristischen Aalstrich, z.T. auch Schulterkreuz und Wildzeichnung an den Extremitäten aufweisen.
Der Alltag der Dülmener
Bis auf den gesteuerten Einsatz der Deckhengste sind die Wildlinge ganz sich selbst überlassen und müssen mit Geburt und Krankheit alleine fertig werden. Nur einmal im Jahr wird die urtümliche Idylle des Merfelder Bruches nachhaltig gestört; nämlich dann, wenn am letzten Samstag im Mai die einjährigen Hengstfohlen im Rahmen eines Volksfestes mit tausenden von Zuschauern eingefangen und versteigert werden.
Stuten verlassen heute so gut wie nie die Wildbahn. Sie sterben dort wo sie auch geboren wurden. Nach dem Jährlingsfang werden die Deckhengste in die Herde entlassen, um für den Fortbestand dieser alten Rasse zu sorgen. Anders als in einer von Menschenhand unbeeinflussten Wildpferdeherde ist der Hengst nicht uneingeschränkter Herrscher über seinen Harem. Da die Deckperiode nur von Ende Mai bis September währt – so ist gewährleistet, dass die Fohlen nicht zu spät im Jahr fallen – gelingt es dem Beschäler selten und meist nie ganz, die Herde seinem Willen zu unterwerfen. Die Leitstuten verteidigen mit Drohgebärden und wenn es sein muss, auch mit Hufen und Zähnen ihre angestammten Rechte. Nur in der Zeit der Rosse unterwerfen sie sich dem Deckhengst.
Die Herde gliedert sich in einzelne Sippen; dies sind Familienverbände einer Stamm-Stute, deren Töchter und aller Fohlen. Unter den Sippen besteht eine strenge Hierarchie und die Leitstute der Herde entstammt in den meisten Fällen auch der ranghöchsten Familie. Die Leitstute ist es, die den Tagesablauf der gesamten Herde bestimmt; sie wählt die Weide- und Ruheplätze und es ist ihr Privileg, als erste die Tränke aufzusuchen.
Einsatz und Verwendung
Die Dülmener Pferde sind ebenso wie der Lebensraum aus dem sie stammen heute hochgradig gefährdet. Extensiv genutzte historische Kulturlandschaften, wie Heiden, Magerrasen, Bruch- und Feuchtgrünlandflächen sind in der modernen Landwirtschaft nicht mehr rentabel zu bewirtschaften und können nur durch Förderprogramme des Naturschutzes erhalten und gepflegt werden. Dülmener Pferde werden deshalb heute gezielt in Naturschutzgebieten eingesetzt, um die letzten halboffenen Weidelandschaften Deutschlands für die Nachwelt zu erhalten. In der Landschaftspflege werden derzeit vier größere Herden mit insgesamt etwa 50 Tieren eingesetzt.
Unter den Dülmenern findet man ansprechende Kinder- und Erwachsenenpferde mit ausdrucksvollen Köpfen, guter Haltung, harmonischem Körperbau und guten Gängen. Dülmener sind besonders ausgeglichen, intelligent und lernfreudig; sehr gute Futterverwerter, überaus hart, robust und sehr ausdauernd; sehr langlebig und bis ins hohe Alter fruchtbar. Die Dülmener sind ein vielseitiges Kleinpferd für die ganze Familie, gleichermaßen gut geeignet als Kutsch- und Reitpferd (Gewichtsträger). Heute werden die Dülmener auch zum Voltigieren und zum therapeutischen Reiten mit großem Erfolg eingesetzt. Darüber hinaus gehen diese kleinen Pferde auch mühelos über größere Distanzen und werden im Fahrsport eingesetzt.
Wie die meisten Robust- und Primitivpferderassen ist auch das Dülmener Wildpferd spätreif, das heißt, dass der Dülmener nicht vor dem dritten Lebensjahr eingefahren und nicht vor dem vierten Lebensjahr in Beritt genommen werden soll. Die Erfahrung zeigt, dass sonst Schäden am Knochen- und Bewegungsapparat nahezu vorprogrammiert sind.
Zucht und Reinerhaltung der Rasse
Im Jahr 1988 formierte sich ein kleiner Kreis engagierter Züchter und Freunde und erstellte Eintragungs- und Zuchtrichtlinien für die Dülmener Pferde. Die seit 1988 bestehende Interessengemeinschaft des Dülmener Wildpferdes e. V. hat sich zur Aufgabe gemacht, die Zucht und Reinerhaltung dieser alten Rasse sowie deren Verbreitung und Einsatz im Reit- und Fahrsport zu unterstützen. Eigenschaften wie Robustheit, Leichtfuttrigkeit, hohe Fruchtbarkeit und Langlebigkeit sollen in der Zucht eine zentrale Rolle spielen.
Die Herde in der Wildbahn umfasst etwa 360 Tiere aus verschiedenen Altersgruppen. Der geschätzte Gesamtbestand außerhalb der Wildbahn liegt bei 80 bis 90 Zuchtstuten, 23 Zuchthengsten und 15 Fohlen. Damit summiert sich der Gesamtbestand der Dülmener weltweit auf derzeit 485 Tiere, damit werden sie in der Roten Liste in Kategorie I extrem gefährdet geführt.
Rassebeschreibung
Aufgrund der Zweiteilung der Rasse nach Tieren in der Wildbahn und Tieren außerhalb der Wildbahn, wird mit zwei verschiedenen Rassebezeichnungen gearbeitet:
- Dülmener Wildpferd:
Als Dülmener Wildpferd werden alle Kleinpferde, die im Merfelder Bruch geboren werden und dort leben (Wildpferdebahn), oder aus ihr veräußert werden bezeichnet. - Dülmener:
Als Dülmener werden alle Kleinpferde die außerhalb der Wildbahn gezogen werde bezeichnet.
Zuchtzielbeschreibung
Rasse: | Dülmener (Wildpferd) |
Herkunft: | Deutschland, Merfelder Bruch bei Dülmen |
Größe: | 125 cm – 135 cm |
Farben: | Falben in allen Variationen; alle mit Wildzeichnung; weiße Abzeichen sind nicht erwünscht |
Gebäude – Kopf: | mittelgroß; ausdrucksvoll; breite Stirn; gerader bis leicht konkaver Nasenrücken; große, intelligente Augen; kleine Ohren |
Gebäude – Hals: | genügend lang; leicht gewölbt; gut aufgesetzt; Unterhals wird toleriert |