Tölt bei Gangpferden: Wie reitet man ihn richtig?

In Perfektion dargeboten, bietet Tölt ein ästhetisches Bild, das auf einzigartige Weise Harmonie und Rasanz, Lebenslust und Kraft in sich vereint. Der Reiter scheint auf dem sich voller Energie und Stolz bewegenden Pferd förmlich zu schweben. Nicht nur optisch reißt der Tölt den Zuschauer mit, sondern auch der Reiter selbst erliegt binnen kurzem der Faszination dieser einzigartigen Gangart. Selbst hartnäckige Großpferdereiter steigen nach ihrem „ersten Mal“ mit einem selig verklärten Lächeln aus dem Sattel und sind oft rettungslos vom Töltvirus infiziert.

Schnell die Verkaufsanzeigen studiert und da lächeln sie einem dutzendweise entgegen: Die allesamt leicht zu töltenden Gangpferde, die, glaubt man den Rassebeschreibungen und Anzeigen, quasi von Geburt an mit einem Töltknopf ausgestattet sind. Einmal kurz drücken, und da ist er, der Tölt. Bald steht so ein Wunderpferd im Stall und dann, spätestens nach vier Wochen ist er vorbei, der Traum vom Schweben. Was, bitteschön, soll den das für eine Gangart sein, die da watschelnd und eiernd dargeboten wird? Tölt jedenfalls ist es nicht.

Knopfdrucktölter

Man muss also doch nicht „nur den Nippel durch die Lasche ziehen“! Warum scheitern so viele Reiter (zunächst) an dieser Gangart, obwohl doch Tölt der Inbegriff der Leichtigkeit zu sein scheint?

Stellen Sie sich vor, Sie reiten Schritt. Deutlich hören sie die Hufe Ihres Pferdes im Viertakt auffußen, spüren Sie den typischen Rhythmus durch Ihren Körper schwingen. Jetzt beschleunigen Sie nach und nach. Was passiert? Ihr dreigängig veranlagtes Pferd wird sich nur bis zu einer bestimmten Geschwindigkeit im Schritt beschleunigen lassen, ohne den Takt zu verändern. Wird es dem Pferd zu schnell, springt es irgendwann im Trab an – alles ändert sich. Aus dem Viertakt wird ein Zweitakt, aus der gelaufenen Gangart mit ständigem Bodenkontakt wird eine gesprungene mit eingebauter Schwebephase. Auch beim Übergang in den Galopp bewegt sich das Pferd von einem Moment auf den anderen plötzlich völlig anders, der Reiter muss sich diesem veränderten Bewegungsmuster anpassen.

Anders das töltende Gangpferd: Es kann ohne für den Reiter deutlich zu erkennende Änderung der Art und Weise, wie es seine Beine bewegt, wie es auffußt, stufenlos die Geschwindigkeit im Tölt ändern und zwar, je nach Veranlagung, vom langsamen Schritt-  bis zum Galopptempo. Tölt und Schritt sind nur bei genauer Analyse zu unterscheiden: Beide Gangarten weisen laterale und diagonale Zweibeinstützen auf, die Dreibeinstütze des Schritts wird aber beim Übergang zum Tölt zugunsten einer Einbeinstütze aufgegeben – was für den Reiter aber kaum zu spüren ist. Und dann wird stufenlos beschleunigt, beim wirklich begabten und weit ausgebildeten Gangpferd bis zur Galoppgeschwindigkeit.

Taktverschiebungen sind häufig

Zwischen den Gangarten Schritt, Trab und Galopp gibt es also beim Wechsel stets einen deutlichen Schnitt, einen Moment, in dem sich das Bewegungsmuster des Pferdes radikal ändert. Kein Reiter, selbst der blutigste Anfänger, würde die Gangarten Schritt, Trab und Galopp durcheinander werfen, und zwar unabhängig von der jeweiligen Geschwindigkeit. Auch beim vier- und fünfgängig veranlagten Pferd finden wir natürlich klar getrennte Gangarten mit deutlich unterscheidbarem Takt, doch sind vor allem im Tölt oft sogenannte Taktverschiebungen entweder in Richtung Trab oder in Richtung Pass sehr häufig. Nicht jedes Gangpferd findet leicht in den Trab, bei manchen ist der Galopp sehr gelaufen oder der Schritt passig. Die „Grenzen“ zwischen den Gangarten scheinen oft ein wenig zu verschwimmen. Die individuelle Anatomie und Gangveranlagung des Pferdes spielt da eine große Rolle, aber auch das reiterliche Geschick und Einfühlungsvermögen.

Für den Reiter von dreigängigen Pferden ist es oft eine große Umstellung zu realisieren, dass wirklich jedes Gangpferd ganz individuell geritten werden will und muss, will man saubere, klar getrennte Gänge. Kurz: Das Reiten von Gangpferde im Allgemeinen, das Töltreiten im Besonderen fordert den Reiter nicht weniger, sondern mehr.

In der Reitpraxis bleibt das Phänomen „Tölt“ deshalb oft auch ein auf lange Sicht eher flüchtiges Gut, dem der Reiter sich mit mehr Erfahrung, Können und Wissen immer mehr annähert. Jedes Pferd fordert ihn jeden Tag immer wieder neu, seine Hilfengebung anzupassen, der aktuellen Befindlichkeit nachzuspüren, hier ein wenig zu entlasten, wo er gestern noch belastet hat, dort mehr zu stützen, heute sanfte Schlangenlinien zu reiten und Morgen aber auf keinen Fall das Pferd durch Schlangenlinien zu stören … Es gibt einfach kein Patentrezept für Tölt, schon gar keinen Töltknopf, jedes Pferd verlangt nach einer neu zusammengestellten und ausgewogenen „Zutatenliste“. Die oft gehört Mär vom „Zügelfäuste einfach ein bisschen höher, ein wenig zuppeln und dabei treiben und schon töltet er!“ ist genau das: Eine Mär!

Gangverteilung

Die individuelle Gangverteilung seines Pferdes muss der Reiter kennen um zu wissen, wie es geritten werden muss und welche Gangarten es überhaupt gehen kann, wo der Ausbildung aber auch Grenzen gesetzt sind. Man definiert heute beim Islandpferd sieben Typen, jeder mit anderer Veranlagung und Gewichtung der Grund- und Spezialgangarten. Sieben Typen, die erkannt und ihrer Veranlagung entsprechend ausgebildet werden wollen, und hinzu kommen die unvermeidlichen persönlichen Unterschiede.

Dreigänger oder Trotter geht keinen Tölt und entspricht damit am ehesten einem typischen Nicht-Gangpferd.

Der durchbrochene Traber, auch Trailpferd oder Langläufer genannt, geht die Grundgangarten sicher, den Tölt allerdings nur in recht hoher Geschwindigkeit.

Der klassische Viergänger heißt so – das liegt auf der Hand – weil er über die drei Grundgangarten plus Tölt verfügt. Die sichere Beherrschung der drei Grundgangarten und ausgesprochene Begabung für die Gangart Tölt macht reine Viergänger zu begehrten und oft weit förderbaren Turnierpferden.

Den Naturtölter gibt es quasi in verschiedenen „Geschmacksrichtungen“: Manche gehen außer Schritt, Galopp und Tölt auch Trab, andere zeigen nur Schritt, Galopp und Tölt und wieder andere gehen Schritt, Galopp, Tölt und Pass. Für sie alle gilt: Es sind wahre Naturtalente in Sachen Tölt! Damit kommen sie Reitern entgegen, die nicht oder noch nicht über genügend Erfahrung verfügen, den Tölt eines anders veranlagten Pferdes herauszukitzeln. Übrigens: Gerade der Begriff des „Naturtölters“ sorgt oft für Verwirrung: Der Laie versteht darunter jedes Pferd, das genetisch über eine Veranlagung zum Tölt verfügt, der Fachmann allerdings will darunter den eben beschriebenen Typ verstanden wissen. Also: Nicht jedes von Natur aus töltende Pferd ist auch ein Naturtölter!

Unter den Fünfgängern – die alle die Veranlagung für die Gangarten Schritt, Trab, Galopp, Tölt und Pass mitbringen – finden wir sowohl Pferde mit deutlicher Bevorzugung der (lateralen) Gangarten Tölt und Pass als auch andere, die von sich aus eher traben. Nicht nur im Tölt müssen diese Pferde gut ausbalanciert werden, sie verlangen einen feinfühligen, erfahrenen Reiter.

Der Rennpasser ist ein Typ, der aufgrund seiner Veranlagung vor allem für Passprüfungen im Turniersport prädestiniert ist.

Passgänger gehen keinen Trab, keinen Rennpass und von sich aus keinen Tölt, können den Tölt aber durchaus erlernen.

Nicht jedes töltende Pferd ist immer auch ein Naturtölter, nicht jedes Pass gehende automatisch ein Rennpasser. Und der Tölt ist bei jedem der sieben Typen und zahlreichen Untertypen oder Mischformen anders ausgebildet. Bei anderen Gangpferderassen finden wir oft vergleichbare Untertypen, sodass sich insgesamt ein durchaus differenziertes Bild ergibt.

Während der Ausbildung, aber natürlich auch während der sich anschließenden Zeit muss die Veranlagung des Pferdes berücksichtigt werden, nicht nur im Hinblick auf den Tölt. So wäre es etwa völlig falsch, während der Grundausbildung einem Naturtölter ohne oder mit wenig Trab unbedingt das Traben beibringen zu wollen; ebenso wenig darf der natürliche Tölt, den der Naturtölter ja im Übermaß mitbringt, durch lasches, passives Reiten („Der geht ja von selbst!“), womöglich noch dauerhaft ohne Zügelverbindung, in Richtung Pass verschoben werden.

Der reine Tölt

Tölt in seiner Reinform ist sowohl Ziel als auch Voraussetzung für Töltreiten. Der Takt im Tölt kann sowohl in Richtung Trab (Betonung der diagonalen Phasen) als auch in Richtung Pass (Betonung der lateralen Phasen) verschoben sein: Mal von Natur aus, mal während des Warmreitens, mal als sichtbares Zeichen eines Reiterfehlers. Als Ursache für diese beim Islandpferd unerwünschten Taktfehler – die übrigens teilweise bei anderen Gangpferderassen als rassetypisch optimale Form der Spezialgänge ein geachtetes Dasein führen – kommen zahlreiche Faktoren infrage, von der genetischen Veranlagung über Gebäudeeigenschaften, Probleme mit der Ausrüstung, Reiterfehler, ungeeigneter Untergrund wie auch Tagesform und zahlreiche andere. Diese Verschiebungen muss der Reiter erspüren und einordnen können. Wie geht mein Pferd (heute), warum geht es so, wann muss ich mit welchen Mitteln eingreifen und woran merke ich den Erfolg oder Misserfolg meiner Bemühungen? Tölt, das ist eben kein statischer Zustand, dem Tölt wohnt eine ganz eigene Dynamik inne und die fordert den Reiter im besonderen Maße.

Guter Tölt ist vor allem ein Ergebnis des flexiblen Spiels mit dem Gleichgewicht: Dem des Reiters, dem des Pferdes und dem gemeinsamen. Der Gangpferdefreund muss den Traum vom „draufsetzen und lostölten“ nicht aufgeben, ganz im Gegenteil. Gerade indem er an ihm festhält und sich den reinen Tölt zum Ziel macht, wird er ein besserer Reiter. Um dann, irgendwann in der Zukunft, wird er sich mit strahlendem Lächeln auf dem Gesicht, voller Freude und Energie einfach auf sein Pferd setzen und lostölten. Jeden Tag. Und einen Töltknopf wird er nicht mehr brauchen, sich auch nicht mehr wünschen.

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