Selbsteinschätzung Reiter – Psychotest: Wie gut reiten Sie wirklich?

Reiterin mit PferdOh Gott, schau dir die Sabine an! Die kann einfach nicht reiten. Jemand müsste ihr mal sagen, dass sie viel mehr treiben muss.“ Vom Reiterstübchen aus haben die Stallprofis freien Blick auf sämtliche Underdogs. Anfänger, Freizeitreiter, Himmel, die sollten mal in die Dressurstunde, wie der Gaul den Kopf hochreißt! „Bringt auch nichts, da ist jede Stunde rausgeschmissenes Geld!“

Niemand weiß, dass die Lästerer selber regelmäßig an ihre Grenzen stoßen. Sie sagen und denken aber, dass es bei ihnen am „Material“ liege: Beauty hat einfach Probleme mit der Anlehnung und Filou hält sich immer im Rücken fest. An den Reiterinnen kann’s nicht liegen, die sind ja Stallprofis. Anders bei Sabine. Die hat keine Ahnung.

Warum nur schätzen so viele Reiter die eigenen Fähigkeiten falsch ein? Und warum suhlen sie sich so gern im Unvermögen anderer?

„Reiten ist ein zeit- und geldaufwändiges Hobby,“, erklärt die Sportpsychologin und Mentaltrainerin Dr. Inga Wolframm. „Wer es betreibt, nimmt es nicht auf die leichte Schulter, sondern definiert die eigene Identität darüber.“ So sagen die meisten Pferdefreunde sehr schnell von sich „Ich bin Reiter!“, während sport- und musikbegeisterte Menschen nur als hautberufliche Profis so weit gehen, sich als „Musiker“ oder „Fußballer“ zu bezeichnen.
„Es ist ein Urbedürfnis des Menschen, dass er gut sein will in den Dingen, worüber er sich definiert“, erklärt Wolframm. „Wenn ich nicht zu dem tauge, was mich ausmacht, hat gleich das ganze Leben keinen Sinn mehr.“

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Das ist der Grund, weshalb Reiter untereinander nicht oder nur selten nach Hilfe fragen, ungern alternativen Sichtweisen akzeptieren und über Fehler und Ängste der anderen lachen. Inga Wolframm arbeitet an der niederländischen Fachhochschule Van Hall Larenstein in Wageningen, wo die Bachelorstudiengänge “Pferde, Freizeit & Sport” und “Equine Business & Economics” angeboten werden. Ihre Doktorarbeit schrieb die 36-Jährige über psychologische Komponenten im Reitsport. Heraus kam: Turnierreiter sind stark auf sich selbst bezogen, nehmen ungern einen Rat an und neigen zur Unverträglichkeit mit Artgenossen. Anders sieht es bei den so genannten Freizeitreitern aus, die sich nicht über Turniererfolge definieren. Sie sind aufgeschlossener gegenüber alternativen Trainingsmethoden und vertragen sich besser mit ihren Stallkollegen.

Erfolge steigen manchen Reitern also sprichwörtlich zu Kopf. Dabei haben viele Schleifensammler eigentlich gar keinen Grund zum Protzen. Christoph Hess, ehemaliger Leiter der Abteilung Ausbildung bei der FN, wundert sich immer wieder über schwache Reiter, die auf einem starken Pferd in die Platzierung galoppieren: „Der Reiter reagiert vor einem Sprung völlig falsch, das Pferd aber springt trotzdem und lässt den Reiter dabei noch gut aussehen. Danach geht der Reiter aus der Prüfung und denkt, was für ein Held er doch sei.“

In anderen Sportarten, wo der Athlet auf sich allein gestellt ist, erhält er direkt die Quittung für seine Leistung. Hess selbst probierte vor kurzem das Golfen aus und wunderte sich darüber, wie ausladend falsch der Ball flog, nur weil er wenige Millimeter danebengezielt hatte. Das rettende gute Pferd aber muss häufig auch noch als Sündenbock herhalten. In Seminaren erzählen 80 bis 90 Prozent aller Teilnehmer Christoph Hess, dass ihr Pferd Probleme habe. Der überwiegende Rest stößt ins gegenteilige Horn und klagt darüber, was für ein untalentierter schlechter Reiter man doch sei. Nur ganz wenige schätzen ihre Fähigkeiten wirklich richtig sein.

Manch einer stellt sein Licht auch unter den Scheffel

Auch die Selbstunterschätzung einiger Pferdeleute ist ein Problem. Mit ihrer negativen Grundeinstellung fehlt es ihnen an Selbstvertrauen und Ausstrahlung. Dann ist ein feinfühliger aber starker Ausbilder gefragt. „Einem Reiter, der ständig an sich zweifelt, stelle ich Aufgaben, die er auch erfüllen kann“, sagt Hess. „Mit der Zeit wird der Reiter sich dann immer mehr zutrauen.“ Besserwisserische Stallprofis hingegen bringt der Ausbilder auch mal in Situationen, in denen sie etwas ehrfürchtiger werden. Dabei sei es wichtig, nicht das Pferd, sondern den Reiter stark zu fordern. Anstatt dem Angeber also das Hindernis drei Loch höher zu stellen – was eine Strafe fürs Pferd wäre ­– baut Hess zum Beispiel die Distanzen zwischen den Sprüngen schwieriger oder fragt Dressurreiter nach Lektionen, an denen sie zu knabbern haben.

Auch Caroline Raimondi, Dressurausbilderin aus Bonstetten in der Schweiz, macht diese Unterschiede zwischen ihren Schülern. Einige Alleskönner suchten sich bereits einen neuen Reitlehrer, weil Raimondi ihnen während des Unterrichts ständig Fragen stellte, die sie nicht beantworten konnten. „Wer sich überschätzt, soll ruhig merken, dass er nicht alles weiß“, findet die die 35-Jährige. „Diejenigen, die sich selber überschätzen, werden bei mir relativ schnell aber diskret auf den Boden zurückgeholt, weil Unwissenheit oft der Grund für eine zu hohe Selbsteinschätzung ist. Schüler die zu mir kommen und sagen, sie können nichts oder sich andauernd als miese Reiter hinstellen, werden durch meinen Unterricht merken, dass es gar nicht so schwierig ist, wie sie meinen. Es ist mir sehr wichtig dass Pferd und Reiter den Reitplatz mit einem positiven und schönen Gefühl verlassen können.“

Und wie lernt man nun, sich selbst richtig einzuschätzen?

Durch das Beobachten anderer Reiter funktioniert es schon mal nicht. Schon gar nicht, wenn man sich in dem Moment in einer Konkurrenzsituation befindet. Dann nämlich sieht man beim anderen all die kleinen und großen Dinge, die er anders oder besser macht und verliert den Blick auf das eigene Können. In diese Bredouille kommen sogar die eingangs genannten Stallprofis – auch wenn sie es niemals zugeben würden –, wenn sie sich auf einem Turnier-Abreiteplatz befinden. „Daheim sind sie die großen Fische im kleinen Tümpel. Auf Turnier sind sie kleine Fische im großen Meer“, erklärt Sportpsychologin Inga Wolframm. „Sie schielen nur nach den anderen und richten damit ihren eigenen Referenzrahmen völlig falsch aus.“ Das Ergebnis: Die Reiter versuchen das positive Bild eines anderen nachzuahmen, eine Haltung einzunehmen oder eine Bewegung auszuführen, die sie nie zuvor geübt haben – und scheitern.

Viel besser, als andere zu imitieren, ist, sich selbst genau anzusehen und wahrzunehmen. Am besten funktioniert das über Videoaufnahmen vom eigenen Reiten. Solche Bilder zerstören oft positive oder negative Illusionen. Bei Wolframms Coachings sind manche Reiter sehr angenehm überrascht von dem Bild, das sie zu Pferd abgeben. Andere würden am liebsten schreiend den Raum verlassen.

Für Caroline Raimondi sind Selbstdisziplin und Demut der beste Weg zur Erkenntnis. „Stellt man seine Arbeit in den Dienst der Pferde, so wird man zwangsläufig mit Grenzen, Unwissenheit und Unsicherheit konfrontiert. Jeder der behauptet, dass ihm das nicht passiert, ist nicht ehrlich und überschätzt sich vermutlich“, sagt sie. „Ich glaube es ist die Einstellung zum Leben die es ausmacht. Bei mir funktioniert vieles über mein Bauchgefühl, ich spüre sofort ob es sich gut oder nicht gut anfühlt, und diese Gefühle nehme ich sehr ernst.“ Oder mit den Worten von Bent Branderup, eines von Raimondis großen Vorbildern: „Schulen Sie Ihre Persönlichkeit auf allen Ebenen. Leben Sie Ihr Ich aus, lernen Sie, sich selbst zu sein und es zu genießen. Ihre Lebensphilosophie ist sehr entscheidend für alles was Sie tun. Verspannte, verbissene, nervöse Negativdenker werden vielleicht dem Zuschauer etwas vorgaukeln können. Pferde kann man aber im Sinne von Losgelassenheit, Eleganz, Ruhe und Ausstrahlung nicht täuschen.“

Viel Lesen führt zum Erfolg!

Wichtig ist auch ein großes theoretisches Wissen. Wer viel liest, mit seinem Pferd Kurse besucht und auch bei anderen Reitweisen reinguckt, merkt schnell, dass es noch vieles gibt, was er nicht wusste. Aber auch das Gegenteil ist der Fall: „Man merkt auch, was man alles bereits weiß“ verspricht Caroline Raimondi.

Hilfreich sind außerdem zahlreiche Kurse, die nicht direkt mit dem Pferd zu tun haben, wie Yoga, autogenes Training, progressive Muskelentspannung oder – mit Pferd – Feldenkrais und Alexandertechnik. „Dadurch bekommt man ein besseres Gefühl dafür, wie gerade man eigentlich auf dem Pferd sitzt, ob man mit den Beinen klammert, die Schultern hochzieht oder die Hände eindreht“, weiß Inga Wolframm. Auch Gespräche mit Mentaltrainern und Sportpsychologen können hilfreich sein.

Erfolge im Sinne eines Turniersiegs tragen nach Meinung von Caroline Raimondi nicht zur Verbesserung der Selbsteinschätzung bei. „Hat man Erfolge zu Hause mit seinem Pferd starke Verbesserungen, dann darf man sicherlich schon etwas Stolz sein, aber niemals übermütig werden. Bleibt man auf dem Boden, gibt man sich mit kleinen Fortschritten zufrieden und gesteht man sich seine Schwächen ein, landet man immer seltener auf der Nase.“

Wer ehrlich zu sich selbst ist, sich mit den eigenen Gefühlen auseinandersetzt und seine Ziele nicht zu hoch ansetzt, wird für seine Mühen belohnt. „Je realistischer die Selbsteinschätzung, desto besser wird der Reiter“, glaubt Christoph Hess. Wer sich trotz allem unsicher fühlt, stellt sein Licht lieber unter den Scheffel als auf einen Thron. Denn Selbstüberschätzung führt im Zweifelsfall nicht nur zu Arroganz, sondern kann im Umgang mit Pferden auch lebensgefährlich werden.

Test:

1. Konnten Sie sich im letzten Jahr mit ihrem Pferd verbessern?

a) Natürlich, und wie!
b) Wir hatten uns ein realistisches Ziel gesetzt und dieses auch erreicht.
c) Nein, wir kämpfen immer noch mit unseren alten Problemen.

2. Wie fühlen Sie sich nach einem Ritt mit Ihrem Pferd?

a) Immer super. Ein bisschen wie ein Künstler.
b) Meistens steige ich glücklich ab.
c) Ich bin häufig deprimiert.

3. Welche Aussage trifft auf Ihr Pferd zu?

a) Es hat viele Probleme. Ich habe es nicht leicht mit ihm.
b) Ich bin stolz auf mein Pferd.
c) Wahrscheinlich ist es besser als ich.

4. Wie sieht es mit Ihrem Gefühl aus?

a) Ich reite eher nach Regeln als nach Gefühl.
b) Wenn eine Übung endlich klappt, merke ich das.
c) Ich bin froh, wenn ich den richtigen Galopp spüre.

5. Reiter anderer Reitweisen…

a) … sollten in einem abgelegenen Stalltrakt untergebracht werden.
b) … geben mir Anregungen zum Weiterdenken.
c) … verwirren mich mit ihren Ansichten oft.

6. Wie viele Sachbücher über Pferde besitzen Sie?

a) 0-10
b) 10-20
c) über 20

7. Was würden Sie wohl beim Betrachten eines Videos von ihrem Reiten denken?

a) „Man könnte es als Lehrvideo vervielfältigen.“
b) „Ich habe zwei Fehler und drei schöne Dinge gesehen.“
c) Gar nichts, denn ich würde es mir nicht ansehen.

8. Welche Eigenschaften passen am besten zu Ihnen?

a) ehrgeizig, dominant, erfahren.
b) aufgeschlossen, reflektiert, kritisch.
c) unsicher, nett, besorgt.

9. Wie oft machen Sie Fehler?

a) selten bis nie.
b) kleine Fehler passieren mir ständig. Große immer seltener.
c) viel zu viele. Vielleicht sollte ich nicht reiten.

10. Wie verhalten Sie sich, wenn ein anderer Reiter offensichtlich Fehler macht?

a) ich sage es ihm klipp und klar und gebe ihm die korrekten Anweisungen.
b) bevor ich etwas sage, überlege ich, ob er vielleicht einfach ANDERS reitet.
c) ich halte den Mund. Selber kann ich es auch nicht besser.

Auswertung:

Vorwiegend a):

Sie neigen dazu, sich zu überschätzen. Seien Sie ehrlich zu sich selbst: Verläuft wirklich jeder Ihrer Ritte phantastisch oder reden Sie sich die Arbeit oft schön? Überprüfen Sie auch die Einstellung die Sie Ihrem Pferd gegenüber haben. Vielleicht tragen Sie zum Teil Schuld an seinen Problemen. Denken Sie daran, dass Sie nur weiterkommen, indem Sie auch Ihre eigenen Schwächen eingestehen. Ein Coach, Mentaltrainer oder erfahrener Reitlehrer täte Ihnen gut.

Vorwiegend b):

Sie haben eine ausgewogene Selbsteinschätzung. Ihr Bauchgefühl und ihr gesunder Menschenverstand führen Sie meistens auf die richtige Spur. Wo zwei Lebewesen zusammenkommen, wird es immer Reibungspunkte geben, und das wissen Sie. Weder Sie noch Ihr Pferd sind perfekt, doch Sie können und wissen schon sehr viel. Lassen Sie sich Ihr positives Feeling nicht von Lästertanten und eingefahrenen Traditionalisten kaputtmachen.

Vorwiegend c):

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sind wirklich ein blutiger Anfänger oder Sie unterschätzen sich. Wer sein Licht ständig unter den Scheffel stellt, kommt nicht voran. Sie blockieren sich selbst durch die schlechte Meinung, die Sie von sich haben. Melden Sie sich zu einem Yoga-Kurs an und suchen Sie sich einen guten Reitlehrer, der Ihnen Erfolge vermittelt und Sie wieder aufbaut. Nach außen hin dürfen Sie gerne noch eine Weile untertreiben. Aber innerlich sollten Sie sich geraderücken.

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