In vielen Ställen wird das Raufutter gerne rationiert, als ob man Goldstaub füttert. Schimmeliges Heu landet allzu oft in der Box statt auf dem Mist. Oder das Heu wird durch Silage ersetzt, die einfacher herzustellen und zu lagern, aber leider für Pferde grundsätzlich nicht geeignet ist. Weidegang findet oft nur portioniert statt, weil zu wenig Flächen zur Verfügung stehen. Artenverarmung und das Ansiedeln von Leistungspflanzen sind oft die Folge. Diese sind aber eher für Milch- und Mastvieh geeignet, nicht für Pferde.
Dazu kommt der Besitzer, der gerne von sich aufs Pferd schließt: Ich esse drei Mahlzeiten am Tag, also bekommt mein Pferd drei Mahlzeiten am Tag.
Viel Energie bei wenig Arbeit macht Pferde krank
Den meisten Pferden wird durch die heutige Fütterung, unter den gegebenen Haltungsbedingungen, sehr viel mehr Energie gefüttert als sie verbrauchen. Insbesondere der Anteil an leicht verdaulicher Energie durch Zucker, Stärke, Eiweiß und Fett aus Kraftfutter ist bei Weitem zu hoch, während gleichzeitig oft der Anteil an langsam verdaulicher Energie durch Heu zu gering gehalten wird.
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Zum Vergleich: ein Warmblüter mit 600 Kilogramm Körpergewicht hat einen täglichen Grundenergiebedarf von etwa 80 Mega Joule (MJ). Ein Kilo Heu von durchschnittlicher Qualität enthält etwa acht MJ verdauliche Energie. Gebe ich meinem Warmblüter jetzt zehn Kilogramm Heu, so ist der Tagesbedarf problemlos gedeckt. Jetzt gilt die Faustregel, dass ein Pferd etwa zwei Kilo Heu pro 100 Kilogramm Körpergewicht bekommen sollte. Damit hätte der Warmblüter schon etwa 96 MJ an Energie täglich zur Verfügung. Die überschüssigen 16 MJ können jetzt für entsprechende Arbeitsleistung verwendet werden.
Arbeit wird weit überschätzt
Reite ich eine Stunde Schritt, so hat mein Pferd dadurch einen Mehrverbrauch an Energie von etwa 1,3 MJ – Schritt reiten ist keine Arbeit für das Pferd!
Bei einer normalen Gymnastikstunde von 60 Minuten, die aus Schritt, Trab und leichtem Galopp besteht, steigt der Verbrauch auf etwa 12,5 MJ. Auch das ist noch problemlos durch die Energieversorgung mit Heu gedeckt. Erst wenn man mit dem Pferd eine Stunde – wirklich 60 Minuten! – durchgehend schnell trabt, galoppiert und einige Trainingssprünge macht, steigt der Energieverbrauch auf etwa 31 MJ und übersteigt damit die Energiebereitstellung durch die normale Heuration. Wird das Pferd wirklich täglich so gearbeitet, dann sollte man anfangen, über die zusätzliche, schnelle Energiebereitstellung durch Kraftfutter nachzudenken.
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Übersetzt heißt das: Die meisten Pferde fressen zu reichlich und arbeiten aber dafür zu wenig. Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Verfettung (EMS), Hufrehe, Pseudo-Cushing, Sommerekzem, Kryptopyrrolurie und viele andere sind die unschöne Folge. Hier muss der Pferdebesitzer dann tief in die Tasche greifen, um solche Erkrankungen wieder zu therapieren.
Dabei fällt immer wieder auf, dass es den meisten Besitzern unglaublich schwer fällt, die Fütterung auf eine artgerechte Versorgung umzustellen. Und das ist scheinbar vor allem ein „Frauenproblem“: erläutert man männlichen Pferdebesitzern den Zusammenhang zwischen der Fütterung und der Erkrankung, sind sie meist schnell bereit, die Fütterung umzustellen und freuen sich, dass die Haltung ihres Pferdes in Zukunft auch noch günstiger wird.
Liebe geht durch den Magen
Bei Frauen hingegen wird das Gesicht immer länger und irgendwann kommt dann die klägliche Frage: „Aber was darf ich denn jetzt überhaupt noch füttern?“ Wir Frauen haben leider eine Art mütterliches Gen eingebaut, das uns immer leise zuflüstert: „Nur wenn du dein Kind gut fütterst, bist du eine gute Mutter!“ Und so geht dann die Liebe durch den Magen: Was ich lecker finde und was für mich gut riecht, muss auch gut sein für das Pferd. Und natürlich frisst das Pferd die Banane oder das Müsli ja auch gerne. Die vielen teuren Futtermittel in meinem Stallschrank werden von Herstellern verkauft, die ausschließlich Pferdefutter produzieren. Also müssen sie sich doch damit auskennen, was gut und gesund ist für mein Pferd, oder?
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Also lecker, teuer und vom Fachbetrieb. Das muss doch viel besser sein als so langweiliges Heu jeden Tag! Früher gab es in den Ställen einen ausgebildeten Futtermeister. Dieser war aufgrund seines Fachwissens dafür zuständig, alle Pferde entsprechend Rasse, Einsatz und Alter leistungsgerecht zu füttern. Leider wissen heute viele Stallbetreiber wenig über gesunde und artgerechte Fütterung von Pferden. Gerne hört man dann Aussagen wie „Ach, Kuh, Pferd, ist doch fast dasselbe!“, was insbesondere bei der Raufutterversorgung, die durch den Stall gestellt wird, zu Problemen führt. Dazu kommen das „ Stallmüsli“ oder die vielen Futtermittel, die der Besitzer noch bereitstellt: Erdbeerleckerli, Früchtemüslis, Mineralbonbons in bunten Leckschälchen, probiotische Gesundheitsfutter und Ähnliches tummeln sich hier in den Futterkammern. Vieles davon ist nicht besonders gesund für Pferde, einiges sogar schädlich. Natürlich frisst das Pferd all diese Dinge gerne – ein Kind isst ja auch lieber einen Riegel Schokolade oder eine Portion Pommes als das Vollkornbrot mit Gurke.
Die Dosis macht das Gift
Nun ist nicht jedes Leckerchen gleich eine Katastrophe für das Pferd. Teile ich mir mit meinem gesunden Pferd einmal im Monat eine Banane, so ist das ebenso wenig ein Problem wie wenn ich mir nach einem anstrengend Arbeitstag ein Stück Schokolade gönne. Bekommt es aber täglich eine halbe Stunde lang nonstop Leckerli verabreicht, weil ich begeisterter Fan von Clickertraining bin, dann ist das so, als wenn ich jeden Abend drei Tafeln Schokolade in mich hineinstopfe.
Daher sollte man sich als Pferdehalter bei jeder Fütterung immer kritisch fragen: Braucht mein Pferd das jetzt wirklich? Oder brauche ich das, um das gute Gefühl zu haben, dass ich meinen Liebling gefüttert habe? Soll mein Pferd sich freuen, weil ich zu Besuch komme? Oder bin ich der Leckerlispender? Hat mein Pferd heute so viel Leistung gebracht, dass sein Energiebedarf durch einen Kübel Kraftfutter gedeckt werden muss? Oder reicht eine Möhre als Dankeschön für den entspannten Ausritt? Das Pferd ist ein Pflanzen fressendes Steppentier. Und wenn ich ein fairer Partner für mein Pferd sein will, sollte ich auf seine Ernährungsbedürfnisse Rücksicht nehmen: ihm lieber die Möglichkeit geben, auf einer großen Weide in seiner sozialen Gemeinschaft sein Raufutter am Boden zu suchen oder in einer Paddock-Trail-Anlage von einer Raufutterstation zur nächsten zu spazieren, wo es den ganzen Tag am Heu zupfen kann – anstatt es täglich mit Fastfood vollzustopfen, nur damit es mir gut geht.