Richtig freispringen – so geht’s!

Ein brauner Haflinger im SprungFrisch vom Schiff kam der Criollo-Wallach Sailor in die Hände von Susanne Hübner. Die kaufte ihn zwar als „angeritten“, stieg aber in den ersten Tagen gleich mehrmals unfreiwillig ab. Eines der Mittel, die die 22-Jährige anwandte, um das Ausbildungsdefizit des Sechsjährigen wettzumachen, war Freispringen.

„In unserem Stall gab es eine Gruppe, die sich jeden Sonntag zum Freispringen traf“, erzählt Susanne Hübner. „Auf mich wirkte die Prozedur sehr eingespielt, deshalb schloss ich mich mit Sailor an.“ Die „Prozedur“ sah folgendermaßen aus: Je zwei Pferde kamen miteinander in die Halle zum Aufwärmen. Beide wurden von ihren mit Longierpeitschen bewaffneten Besitzern durch die Halle gehetzt. Anschließend sprang zuerst das eine, dann das andere Pferd ein paar Mal hintereinander durch die aufgebaute Springgasse. Wildpferd Sailor, der bis vor wenigen Wochen noch als Ranchpferd auf einer argentinischen Farm gedient hatte, ließ sich von der Furcht einflößenden Peitsche bis vor das erste Cavaletti treiben und stoppte davor abrupt. Auf nachhaltiges Treiben sprang er aus dem Stand über das unbekannte Hindernis und rammte sechs Meter weiter alle Viere vor einer blauen Tonne in den Sand. Der Peitschenschlag verlieh ihm auch in diesem Fall Flügel. Erst beim dritten Hindernis, einem kleinen Steilsprung, sorgte er für eine Pause, indem er den Sprung in seine Einzelteile zerlegte.

Hoher gymnastischer Effekt

„Nach ein paar Wochen kam Sailor zwar besser über die Hindernisse, aber er stoppte in jeder Ecke und wollte sich nicht mehr in die Gasse treiben lassen“, erinnert sich Hübner. „Irgendwann hab ich das Freispringen einfach bleiben lassen, weil ich keinen Sinn darin sah.“ Und den hatte die beschriebene „Prozedur“ tatsächlich nicht. Martin Plewa, der Leiter der Westfälischen Reit- und Fahrschule sieht im Freispringen einen „hohen gymnastischen Effekt – vorausgesetzt, man macht es richtig.“ Was im Fall von Sailor nicht geschah.

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„Unsachgemäßes Freispringen kann sehr viel kaputt machen. Bauen die Helfer Hektik auf, so springt das Pferd unkomfortabel und verspannt. Wenn einmal Stress und Unsicherheit drin ist, bekommt man das Tier kaum mehr zur Ruhe. Korrektes Freispringen ist jedoch eine wunderbare Möglichkeit, junge Pferde ohne Reitergewicht und -hilfen mit dem Springen vertraut zu machen. Das Pferd lernt, den Absprung zu taxieren und sich leichter auszubalancieren, es springt mit mehr Selbstverständlichkeit, kann seine Rückentätigkeit und später seine Bascule verbessern.“

Für reine Dressurpferde diene das Freispringen außerdem als Ausgleichssport, gerade wenn der Reiter selbst nicht springen kann oder will. Das gilt auch für Pferde, die bedingt durch ihre Reitweise selten bis gar nicht springen, wie Western- oder Gangpferde. Bei erfahrenen Springcracks sieht Plewa keinen Grund, Freispringen in den Trainingsplan aufzunehmen. „Solche Pferde sollte man zum Ausgleich lieber ins Gelände reiten. Es sei denn, es handelt sich um ein Korrekturpferd, das beispielsweise das Vertrauen zum Sprung verloren hat.“ In solchen Fällen hilft das Springen ohne äußere Einwirkung durch den Reiter, um dem Pferd seine Angst zu nehmen und sein Selbstvertrauen aufzubauen.

Richtig aufwärmen

Doch was genau hat nun Susanne Hübners Gruppe bei Sailor falsch gemacht?
„Das geht schon beim Aufwärmen los“, sagt Plewa. „Das Pferd muss vor dem Springen 20 Minuten lang gelöst werden. Wenn man es in der Halle hin und her jagt, löst es sich aber nicht, sondern verspannt sich unter Umständen sogar.“ Stattdessen empfiehlt der Mitautor der FN-Richtlinien, das Pferd vorher gut abzulongieren oder zu reiten.

An die Sprunggasse selbst muss das Tier ruhig und langsam herangeführt werden. Bei den ersten Versuchen sollte noch kein Hindernis in der Gasse stehen. Dann können nach und nach Trabstangen, Rhythmus-Sprünge (In and out) und zuletzt mehrere niedrige Sprünge eingebaut werden. „Für die Pferde ist es anfangs leichter, über Hindernisse zu springen, zwischen denen nur ein Galoppsprung liegt. Dabei bleiben sie leichter im Rhythmus als bei zwei Galoppsprüngen“, weiß Plewa.

Im Idealfall sollte der Vierbeiner nicht durch die Gasse getrieben werden. Nachhaltiges Treiben zwischen den Sprüngen lenkt ab und verunsichert. „Das Pferd muss konzentriert an den Sprung kommen und selbständig abspringen. Das ist unwahrscheinlich wichtig“, betont Plewa.

Belohnung nicht vergessen!

Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet er mit der ältesten und wirkungsvollsten Überredungskunst aller Zeiten: Einer Schippe Hafer. Hat das Pferd seine Springreihe absolviert, so wird es von einem Helfer abgefangen und mit Futter belohnt. Das hat auch den Vorteil, dass kaum ein Kandidat am Ende der Gasse durchbrennen will. Alle halten brav an und wenden sich der Person mit der Haferkelle zu.

Ein weiterer Helfer nimmt das Pferd anschießend auf und führt es zurück zum Eingang der Gasse. Er kann während des Weges sowohl beruhigend als auch aufmunternd auf das Pferd einwirken. Der Führer bringt das Pferd bis in die Gasse hinein, bevor er es loslässt. Sollte an diesem Tag rechter Hand gesprungen werden, so muss der Helfer auch von rechts führen. Sonst bestünde im Moment des Loslassens die Gefahr, zwischen Pferd und Bande zu geraten. „Wir schulen alle unsere Pferde so, dass man sie jederzeit auch von der rechten Seite aus führen kann“, sagt Plewa.

Im Normalfall wird in Münster mit noch zwei weiteren Helfern freigesprungen. Einer steht nahe bei den Hindernissen falls doch einmal eine kleine Aufmunterung nötig sein sollte. Plewa selbst positioniert sich als Überwacher an einem übersichtlichen Punkt der Halle, von wo aus er den anderen Helfern Anweisungen geben kann.

Auf passende Abstände achten

Ein weiterer Fehler, den die Ausbilder von Sailor gemacht haben, bestand darin, die Abstände zwischen den einzelnen Hindernissen nicht individuell auf das jeweilige Pferd anzupassen. Stimmen nämlich die Abstände nicht mit den Längen des Galoppsprungs überein, so kommt das Pferd aus dem Rhythmus und wird eher verweigern. Plewa: „So etwas nimmt dem Pferd die Freude am Freispringen. Ein erfahrener Ausbilder sollte vorher die Galoppsprünge des Pferdes in der Gasse ohne Hindernisse ansehen. Daraufhin kann er die Abstände schätzen. Der Wert müsste bei einem Warmblut zwischen sechs und sieben Metern liegen.“

Auch was die Höhe und die Gestaltung der Hindernisse angeht, dürfe der Ausbilder nicht in Versuchung kommen, etwas „herauskitzeln“ zu wollen, findet Plewa. Daher haben blaue Tonnen in einer Anfänger-Reihe ebenso wenig zu suchen wie breite Oxer und meterhohe Steilsprünge.

„Die Erhöhung der Hindernisse ist sekundär“, sagt Plewa. „In der Ausbildung des jungen Pferdes geht es um Losgelassenheit und Gymnastizierung. Das darf man nicht mit dem Freispringen auf einer Körung oder Auktion vergleichen, wo stattdessen die Qualität des Pferdes gezeigt werden soll.“

Anstatt die Hindernisse immer höher und weiter zu bauen, lässt sich der Pferdewirtschaftsmeister lieber andere Finessen einfallen. So sollen seine Ausbildungspferde nach einiger Übung auch mit Reiter freispringen. Auf diese Weise lernen sie, sich unter dem Reitergewicht auszubalancieren ohne in ihrer Selbständigkeit beim Absprung beeinflusst zu werden.

Wie auch immer das individuelle Freispring-Training für ein Pferd aussieht – nach fünf bis sieben Runden muss Schluss sein. Junge Pferde werden sonst in ihrer Reaktionsfähigkeit überfordert, ermüden körperlich und geistig und springen von mal zu mal schlechter. Deshalb gilt auch für das Timing der Grundsatz: Weniger ist mehr. „Schicken Sie Ihr Pferd mit guten Erfahrungen nach Hause“, empfiehlt Plewa.

Beispiel für ein Freispring-Programm zur Gymnastizierung des Rückens:

Die angegebenen Abstände sind keine feste Größe sondern richten sich nach der Schrittlänge des Pferdes sowie der Art des Sprungs.
 Als Anhaltspunkte dienen diese Maßangaben:

Trabstangen: 1,2 m bis 1,5 m

In and Out: 3 m bis 4 m

Ein Galoppsprung: 6m bis 7,5m

Zwei Galoppsprünge: 10 m bis 11m

Grafik: Regina Käsmayr

 

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