Bittet man einen Reiter um eine Erklärung der Hilfengebung, so kann es vorkommen, dass man erstaunliches zu Ohren bekommt. „Ist doch klar, dem Gaul muss geholfen werden, damit er endlich mal versteht, was er zu tun hat.“ So könnte eine mögliche Antwort lauten. Fragt man weiter nach den Möglichkeiten, die es gibt dem Pferd zu helfen seinen Job zu verstehen, kommt vielleicht folgende Antwort: „Meeensch, natürlich mit Schenkelhilfen und Zügelhilfen und Gertenhilfen und Gewichtshilfen und Stimmhilfen – ist doch logo, oder?“
Und wie hilft das jetzt dem Pferd, mich zu verstehen? „Oh Mann, das ist doch easy, soll dein Gaul losgehen, tritt ihm ordentlich in die Rippen bis er sich in Bewegung setzt – das sind die Schenkelhilfen. Soll er anhalten, ziehst Du kräftig an beiden Zügeln nach hinten, solange, bis er steht – das sind die Zügelhilfen. Geht dein Pferd nicht los, wenn du ihm in die Rippen trittst, ziehst du ihm kräftig eins mit der Gerte über den Arsch – das sind die Gertenhilfen. Biegt dein Pferd nicht ab, wenn du an einem Zügel ziehst, leg dich mit deinem Oberkörper richtig in die Kurve – das sind die Gewichtshilfen. Setzt es sich gar nicht in Bewegung, schreie es kräftig an – das sind die Stimmhilfen. So einfach ist das, was gibt’s denn da zu verstehen?“
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Hilfen, die uns helfen
Vielleicht erscheinen diese Darstellungen etwas überspitzt. Aber tatsächlich soll es nicht wenig Leute geben, die reiterliche Hilfen so anwenden. Ich möchte dieses Thema gedanklich von der anderen Seite anpacken. Ist es nicht so, dass das Pferd all die Dinge von Natur aus kann, von denen wir meinem, ihm beibringen zu müssen? Sind wir Menschen da nicht manchmal etwas überheblich?
Selbstverständlich muss auch das Pferd lernen. Aber in aller ersten Linie sind wir es, die lernen müssen. Wir wollen das Pferd nutzen, also haben wir auch die Verantwortung mit ihm in angemessener Weise zu kommunizieren, damit es unsere Wünsche verstehen kann. Beschränkt sich das auf die oben beschriebenen Weise, degradiert sich das Verhältnis zum Partner Pferd auf grobe, respektlose und unmoralische Ausbeutung. Dann wird Reiten bestenfalls zu einer Art von Fleischtransport ohne Anspruch auf jegliche kommunikative Qualität.
Ich sehe in den reiterliche Hilfen die Möglichkeit feinster Signalgebung und Abstimmung mit dem Pferd. Sie sollen dem Menschen helfen bei der Verständigung mit diesem und ihm deren Anliegen nahebringen. Und da, wo diese Signalgebung so fein wird, dass der außenstehende Beobachter sie kaum mehr wahrnehmen kann, da verschmelzen zwei unterschiedliche Kreaturen zu einer Einheit, da wird Reiten zur Kunst.
Freilich ist dies kein Zustand, der von Anfang an da ist. Dorthin zu kommen bedeutet harte Arbeit, Liebe zum Detail, Konsequenz in der Durchführung, Wissen um Zusammenhänge und nicht zuletzt eine Begeisterung, die Reiten zu einer Art Lebenseinstellung macht. Aber wie kann ich dem Pferd begreiflich, machen was ich von ihm möchte? Wie lernt es meine Wünsche zu verstehen und wie, sie dauerhaft und verlässlich umzusetzen?
Wie lernt ein Pferd?
Nun, ein Pferd lernt durch Erfahrung. Was es lernt zu tun und was es lernt zu lassen, wird bestimmt von der Art der Erfahrung, die es mit etwas macht. Hat es mit einer Sache Erfolg, wird es lernen diese zu tun, was auch immer es ist. Hat es dagegen Misserfolg, wird es lernen diese zu lassen. Gute und schlechte Erfahrungen kann ein Pferd in verschiedenen Bereichen seines Lebens machen, etwa im Umgang mit seinen Artgenossen, im Zusammentreffen mit anderen Tieren, vielleicht Hunden. Durch den Umgang mit Menschen im Allgemeinen oder durch irgendwelche Umwelteinflüsse. Aber darum soll es hier nicht gehen, wir wollen uns mit den reiterlichen Hilfen beschäftigen und wie das Pferd lernt, diese zu verstehen.
Im Klartext: Mein Pferd soll lernen, gewisse, von mir vorgegebene Verhaltensweisen auf Abruf zu zeigen. Dazu muss es Erfahrungen machen, aber gute, damit es Erfolg hat und die „Eindrücke bleibend“ werden. Bleibend werden sie dadurch, dass sie so oft wiederholt werden, bis sich ein automatisches Verhalten eingestellt hat.
Aber, wie lasse ich es die Erfahrungen machen, die es braucht um genau das zu lernen, was ich mir vorstelle? Auf eine Kurzformel gebracht, gilt folgender Satz:
Lernen ist eine Verknüpfung von Reiz und Reaktion in Verbindung mit gewissen, immer gleichen Signalen (in der Reiterei auch Hilfen genannt), dadurch entsteht eine Verhaltensänderung oder ein Verhaltensmuster nach meinen Wünschen. Dieses Verhaltensmuster wird durch Übung gefestigt.
Reizen, nicht ärgern
Hierbei dürfen wir den Reiz nicht als eine negative Maßnahme verstehen, mit der wir jemanden reizen oder ärgern wollen. Er ist vielmehr als ein Auslöser zu sehen, mit dem ich eine von mir gewünschte Reaktion bei meinem Pferd erzeugen kann. Sobald dieses in meinem Sinn reagiert, muss der Reiz augenblicklich weggenommen werden. Dadurch bekommt das Pferd eine direkte Bestätigung für seine richtige Reaktion, es hat einen Erfolg. Werde ich dem Pferd den gleichen Erfolg immer wieder nach diesem Muster geben, wird sich ein Automatismus einstellen, der mit der Zeit zu einem fest verlässlichen und jederzeit abrufbaren Verhalten wird. Am Anfang werde ich wahrscheinlich den Reiz sehr deutlich geben müssen, um die gewünschte Reaktion zu erhalten.
Beachte ich den Grundsatz: „So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig“, komme ich bei fortschreitender Übung mit immer feineren Signalen aus. Das Pferd wird immer spontaner und williger auf meine Anfragen antworten. Ganz wichtig ist aber, dass das Pferd zunächst überhaupt reagiert, denn wo keine Reaktion ist, kann keine bestätigt werden. Bestehe ich nicht darauf, dass das Pferd auf meinen Reiz entsprechend reagiert, wird es lernen, dass es mich nicht ernst nehmen muss.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Wir gehen einmal von einem jungen Pferd aus, das gerade angeritten wird und lernen soll, reiterliche Hilfen anzunehmen. Es ist durch eine entsprechende Bodenarbeit gut vorbereitet, akzeptiert das Tragen des Sattels und auch den Reiter auf seinem Rücken. Nun soll es lernen, durch einen Schenkeldruck des Reiters willig anzutreten. Dazu richte ich mich etwas im Sattel auf und gebe dem Pferd mit meinen beiden Unterschenkeln einen leichten Impuls am Bauch. Da mein Pferd aber noch nicht gelernt hat, auf dieses Signal zu reagieren, werde ich den Impuls wiederholen, jetzt aber deutlicher. Vermutlich wird es sich auch jetzt noch nicht in Bewegung setzen. Als nächste Stufe bediene ich mich der Gertenhilfe. Wieder setze ich zunächst meine Schenkel ein und direkt danach touchiere ich das Pferd mit der Gerte an der Hinterhand. Reicht ein leichtes Touchieren nicht, werde ich den Gerteneinsatz soweit verstärken, bis das Pferd sich in Bewegung setzt. Augenblicklich muss nun der Gertenreiz weggenommen werden, zusätzlich empfiehlt es sich, das Pferd verbal zu loben. Durch die Wegnahme des Reizes, aber auch durch das ausgesprochene Lob, bekommt das Pferd nun eine Belohnung und Bestätigung für seine richtige Reaktion. Verfahre ich immer nach diesem Prinzip, wird es in Zukunft durch immer leichtere Einwirkung, spontan und willig antreten. Bald schon reicht ein leichtes Aufrichten im Sattel, ein leichtes Abkippen meines Beckens und ein unmerkliches Anspannen meiner Wadenmuskulatur.
Immer das gleiche Prinzip
Nach dem gleichen Prinzip verfahre ich beim Erlernen der Zügelhilfen. Hat das Pferd gelernt, sich in Bewegung zu setzen, muss es auch lernen, wieder anzuhalten oder die Richtung zu ändern.
Zum Anhalten atme ich tief aus, dabei entspannt sich mein Körper, meine Bauchdecke „fällt nach innen“ und bewirkt ein Abkippen meines Beckens nach hinten. Meine Schenkel werden dabei leicht zurückgenommen und legen sich sanft an den Pferdekörper an. Gleichzeitig halte ich mit den Zügel etwas gegen, so bremse ich die Vorwärtsbewegung meines Pferdes ab. Auch hier versuche ich mit möglichst wenig Zügeleinwirkung auszukommen. Anfangs kann es sein, dass ich kurzfristig mal mehr anpacken muss, um aber bei richtiger Reaktion des Pferdes den Druck sofort wegzunehmen. Manche Pferde reagieren auf die Annahme des Zügels so, dass sie sich in der Hals- und Oberlinienmuskulatur total versteifen und sich „dem Reiter auf die Hand legen“. Dadurch widersetzen sie sich der Reiterhand und lassen sich dann nur sehr schwer anhalten. Hier hilft es, den Zügel nur auf einer Seite anzunehmen. Dadurch biege ich den Hals des Pferdes, in Extremfall so weit, bis es mit seinem Maul mein Bein berührt. Jetzt kann es mir nicht mehr davonlaufen.
Sehr hilfreich beim Erlernen der Zügelhilfen ist eine gute Vorarbeit am Boden. Hier kann ich dem Pferd, unbelastet vom Reitergewicht, in feiner Weise zunächst einmal die Annahme des Gebisses, weiches Nachgeben und das sich Biegenlassen beibringen. So gut vorbereitet, ist schon die halbe Arbeit für die spätere Kommunikation unter dem Sattel geleistet.
Auch beim Erlernen der Zügelhilfen ist es, genau wie beim Erlernen der anderen Hilfen, wichtig, dass das Pferd immer die Chance bekommt, auf möglichst feine Hilfen zu reagieren. Ziehe ich aber von vorneherein mit zehn Kilogramm oder mehr Zugkraft am Zügel, wird mein Pferd nicht lernen, auf wenige Gramm zu reagieren. Also, auch hier: so wenig wie möglich, aber soviel wie nötig.
Stell dir vor, du hättest Augen auf der Brust
Soll mein Pferd lernen Kurven, Volten oder Schlangenlinien zu gehen, werde ich ihm das zunächst in großen, breiten Hilfen zeigen. Dazu ist es am besten, man stellt sich vor, man hätte Augen auf der Brust. Wo ich auch immer hin reiten möchte, dorthin schaue ich mit diesen Augen. Die Zügel halte ich gleich lang und mit einem weichen Kontakt zum Pferdemaul.
Angenommen ich möchte eine Kurve nach rechts reiten. Nun passiert folgendes: Ich schaue mit meinen Augen auf der Brust nach rechts. Automatisch bewegt sich meine rechte Schulter nach hinten und die linke nach vorne. Der innere Zügel, also der rechte, geht nach seitlich hinten, der äußere entsprechend vor, die Wendung ist eingeleitet. Aber noch mehr passiert: der innere Steigbügel wird mit mehr Gewicht belastet, ebenso wie meine innere Gesäßhälfte. Mein innerer Schenkel kommt verstärkt in Höhe des Sattelgurtes zum Anliegen – das Pferd wird sozusagen „um den inneren Schenkel gebogen.“ Der äußere wird dabei etwas nach hinten genommen. Hierbei trage ich beim jungen Pferd die Hände relativ weit auseinander. Mit zunehmender Feinabstimmung werde ich meine Hände wieder näher zueinander bringen. Aber wichtig ist am Anfang die sehr deutliche Hilfe. Nur so kann das Pferd meine Wünsche verstehen und letztendlich auf allerfeinste Hilfen reagieren lernen. Bei weit ausgebildeten Pferden reicht dann meist eine feine Körperdrehung und vermehrtes Austreten des inneren Steigbügels um es zum Abwenden zu veranlassen.
Bei allem Umgang mit dem Pferd sollte uns stets bewusst sein, dass wir es sind, die das Pferd prägen und formen. Das Pferd ist unser Spiegel und es kann uns nur das wiedergeben, was wir hineinstecken.
Und hier liegt es in der Verantwortlichkeit des Menschen, dem Pferd als Mitgeschöpf Respekt und Achtung zu geben. Ihm durch die Begegnung mit uns keinen Schaden zuzufügen, sondern es fördern durch Wissen und eine gute aufbauende Arbeit. Nur so kann es zu einer Persönlichkeit werden, die willig, vertrauensvoll und gerne mit uns zusammenarbeitet.
Und erst wenn wir gelernt haben, reiterliche Hilfen zu verstehen, helfen sie auch dem Pferd. Dazu ein Zitat von Waldemar Seuning, dem Autor des Buches: Von der Koppel bis zur Kapriole zum Thema Reiten. Er sagt:
„Reiten ist das Zwiegespräch zweier Körper und zweier Seelen, das dahin zielt, einen vollkommenen Einklang miteinander herzustellen“.
Eine tolle Definition, finde ich. Also liebe Reiter, lasst uns danach streben, zu diesem Einklang zu kommen. Ein weiter Weg, aber ein faszinierender.
Herzlichst
Euer Peter Pfister