Nageltritt in der Reitbahn – „Wer zahlt mir die Tierarztkosten?“

Auch wenn der noch aus den „guten alten Zeiten der Arbeitspferde“ stammende Begriff „Nageltritt“ zumeist mit dem Eintreten eines (schlimmstenfalls rostigen) Nagels verbunden wird, kann es sich letztlich um jeden spitzen oder scharfen Gegenstand handeln, den sich ein Pferd in die Bodenfläche seines Hufs eintritt. Als Beispiele seien etwa Glas- oder Holzsplitter und starre Drähte genannt.

Fakt ist: in den Huf bzw. das Gewebe eindringende Fremdkörper können unterschiedliche Strukturen, wie den Hornstrahl und Hufknorpel, das Strahlpolster, die (tiefe) Beugesehne, die Schleimbeutel, das Hufgelenk, die Huflederhaut oder gar den Knochen des Hufbeins eines Pferdes schädigen. Zudem besteht das Risiko, dass zusammen mit dem Fremdkörper Bakterien in die Wunde eindringen, die bei ausbleibender oder verspäteter Behandlung Ursache folgenschwerer Infektionen sein können.

Da die erforderliche Behandlung des Pferdes nach einem Nageltritt mit Kosten verbunden ist, stellt sich abseits der Sorge um die Gesundheit für den Pferdebesitzer auch die Frage, wer denn nun für den Nagel verantwortlich ist und ob er an den Tierarztkosten „hängen bleibt“?!

Hinzunehmendes Risiko oder Haftung des Hallenbetreibers?

Wie die Frage der Verantwortlichkeit nach einem Nageltritt rechtlich zu beantworten ist und welche (Beweis-) Probleme damit oftmals verbunden sind, soll nun im Überblick dargestellt werden.

Eine Empfehlung möchte ich aber gerne bereits vorab aussprechen, und zwar: halten Sie den Sachverhalt – soweit es nur eben möglich ist – fest! Machen Sie Fotos, rufen Sie einen objektiven Zeugen hinzu und protokollieren Sie den Ablauf des Geschehens. Dies ist etwas Aufwand, kann im Prozess aber Gold wert und für dessen Ausgang mitentscheidend sein.

Ob ein Anspruch auf Ersatz der zu verauslagenden Tierarztkosten besteht, ist davon abhängig, ob eine Rechtsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch gegen den Reithallenbetreiber vorliegt. Die Kernfrage dabei lautet: „Hat der Hallenbetreiber schuldhaft einen Fehler begangen und hat sich genau dieser in der Verletzung des Pferdes realisiert?“

Der Betreiber einer Reitanlage ist dafür verantwortlich, dass von dieser keine Gefahren für Mensch und Tier ausgehen. Er hat auf diese Weise grundsätzlich dafür zu sorgen, dass Anbindevorrichtungen sicher, Weidezäune nicht morsch, Boxen nicht wegen hervorstehenden, scharfen Kanten gefährlich sowie Hallenbanden stabil sind und eben keine Nägel auf dem Hof oder in der Reitbahn herumliegen.

[relatedposts type=’manu‘ ids=’5794,1003,5425′]

Verkehrssicherungspflichten des Stall- und Reithallenbetreibers

Gehen wir im Falle des Nagels in unserer Reithalle zudem vom mietvertraglichen Charakter der Nutzungsüberlassung einer Halle an den Pferdebesitzer aus, so gehört es gemäß § 535 BGB zu den Kernpflichten des Vermieters, dass er dem Mieter das Mietobjekt (also die Reitbahn) zum vertragsgemäßen Gebrauch überlässt und dieses während der Mietzeit auch in einem vertragsgemäßen Zustand erhält (§ 535 Satz 2 BGB). Dazu gehört zweifelsohne, dass der Hallenboden so beschaffen ist, dass sich Pferd und Reiter nicht durch spitze oder scharfkantige Gegenstände verletzen können. Unterlässt der Vermieter ihm zumutbare Sicherungsmaßnahmen (ein Absuchen des Bodens nach jeder Hallennutzung ist i.d.R. nicht zumutbar), so handelt er pflichtwidrig. Mit der Folge, dass er für dadurch herbeigeführte Verletzungen und Schäden grundsätzlich zu haften hat.

Die Pflicht des Stallbetreibers ist also, dass er mögliche Gefahrenquellen auf seiner Anlage zu überwachen hat. Das sind die sogenannten Verkehrssicherungspflichten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH v. 06.02.2007, Az.: VI ZR 274/05) ist „derjenige, der eine Gefahrenlage, gleich zu welcher Art, schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern“.

Dass es nun sicher helfen würde, die Reitbahn ständig auf etwaige Fremdkörper abzusuchen, ist klar. Aber ist dies dem Reithallenbetreiber im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht auch zuzumuten?

Kernfrage: Welche Sicherungsmaßnahmen sind zumutbar?

Fest steht, dass für eine geschaffene Gefahrenquelle eine Haftung erst dann begründet wird, wenn sich „aus der zu verantwortenden Situation vorausschauend für einen sachkundig Urteilenden“ die Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter Dritter verletzt werden können. Durfte der Betreiber als „umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch“ davon ausgehen, dass seine (Sicherungs-)Maßnahmen ausreichend und weitere Vorkehrungen nicht notwendig waren, so fällt eine dennoch eintretende Schädigung eines Dritten als nicht voraussehbares Unglück in dessen alleinigen Risikobereich („Unrecht vs. Unglück“). Es genügt nach ständiger Rechtsprechung daher, dass ein Grad an Verkehrssicherheit erreicht ist, den die im jeweiligen Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich, aber auch ausreichend hält.

Um nun einen Eindruck zu vermitteln, wie Gerichte die Frage der „Zumutbarkeit“ beurteilen, sei nachfolgend auf einige Entscheidungen hingewiesen. Zwar sind auch diese selbstverständlich einzelfallbezogen, es lassen sich aber dennoch wesentliche Grundsätze erkennen, die sich auf unseren Ausgangsfall des Nageltritts übertragen lassen.

AG KIEL vom 26.11.1993, Az.: 3 C 103/93: „Der Veranstalter eines Reitturniers genügt seiner Verkehrssicherungspflicht, wenn er den Abreiteplatz jede Woche zwei bis dreimal mit einem speziell für diesen Zweck angeschafften eggeähnlichen Platzplaner abziehen lässt, um Fremdkörper zu entdecken und zu beseitigen.“

OLG KÖLN vom 05.09.1995, Az.: 22 U 23/95: „Auch bei der Teilnahme an einem Wettbewerb (im konkreten Fall einem ländlichen Reitturnier), der auf einer Auslobung beruht, kann der Teilnehmer erwarten, dass die Wettkampfanlagen keine Gefahren aufweisen, mit denen er nicht zu rechnen braucht. Gefahrenursachen, mit denen nach den Umständen zu rechnen ist, begründen keinen Anspruch wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Ein Ersatzanspruch aus § 823 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht besteht ebenfalls nicht. Die Verkehrssicherungspflicht des Betreibers einer Sportanlage beschränkt sich darauf, die Benutzer vor Gefahren zu schützen, die über das übliche Risiko der Anlagenbenutzung hinausgehen und nicht ohne weiteres erkennbar sind.“

Zumutbarkeit: zeitlicher und wirtschaftlicher Aufwand ist entscheidend

Bei all dem spielt die Größe der zu sichernden Gefahrenquelle und damit der mit der Verkehrssicherung verbundene zeitliche und wirtschaftliche Aufwand eine wesentliche Rolle (vgl. hierzu auch BGH vom 24.01.2013, Az.: II ZR 98/12 („Rapsfeld“) und OLG SAARBRÜCKEN vom 28.03.2013, Az.: 4 U 26/12 („Portalwaschanlage“). Während zum Beispiel ein systematisches Durchsuchen einer großen Koppel sicherlich einen mehrtätigen Aufwand bedeuten würde, ist eine kleinere Abreite- oder Longierhalle mit deutlich geringerem Aufwand sicher zu erhalten. Hier wird es dem Verantwortlichen wohl zugemutet werden können, den Hallenboden regelmäßiger auf Fremdkörper hin zu untersuchen. Je größer die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung und je schwerer der drohende Schaden ist, desto höher ist das Maß des Erforderlichen und Zumutbaren. Vergessen werden sollte zudem auch nicht, dass es sich bei einem Pferd nicht um irgendeine Sache, sondern eben ein gemäß § 1 TierSchG zu schützendes Lebewesen handelt.

Kann der Hallenbetreiber beweisen, dass er den „Tatort“ mehrfach pro Woche kontrolliert und der Nagel zwischenzeitlich unbemerkt in die Halle gelangt sein muss, so dürfte die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung aller Voraussucht nach scheitern.
Aber Vorsicht: behaupten, was man alles getan hat genügt nicht! Hier kann sich der Betreiber nur dann ausreichend entschuldigen, wenn er seine Verkehrssicherungsmaßnahmen beweisen kann und das Gericht diese unter Abwägung der konkreten Einzelfallumstände für ausreichend erachtet.

Auf zwei weitere Punkte sei noch ausdrücklich hingewiesen. Erstens begegnen wir in der pferderechtlichen Praxis gelegentlich dem Einwand des Eigentümers einer Reithalle, nicht er, sondern der Reitverein sei ja Betreiber der Anlage. Hier lässt sich kurz und knapp feststellen, dass der Eigentümer unter der Voraussetzung, dass er die Sicherung „seiner“ Gefahrenquelle zuverlässig garantieren kann, seine Verkehrssicherungspflicht zwar durchaus delegieren kann. Kontroll- und Überwachungspflichten verbleiben aber auch in einen solchen Fall unausweichlich bei ihm. Zweitens kann eine an sich festzustellende Pflichtverletzung noch an der Gestaltung der der Reithallennutzung zugrunde liegenden vertraglichen Vereinbarung (i.d.R. als mietvertragliches Element Teil des Einstellervertrags) scheitern. Ist in dieser nämlich eine rechtlich wirksame Beschränkung der Haftung auf Fälle grober Fahrlässigkeit vorgesehen, so würde dies vermutlich einen „gehörigen Dämpfer“ für die eigenen Erfolgsaussichten darstellen. Der Nachweis grober Fahrlässigkeit ist nämlich deutlich schwerer zu erbringen, als derjenige lediglich einfach fahrlässiger Schadensverursachung.

Sofern es zu einem Rechtsstreit kommt, sollte zudem bedacht werden, dass ein solcher vor Gericht praktisch nur im seltensten Fall ohne Einholung eines zeit- und kostenintensiven Sachverständigengutachtens entschieden wird. Gutes Durchhaltevermögen und die Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung sollten daher bestenfalls ebenso als Handwerkszeug in einen solchen Prozess mit eingebracht werden, wie das Bewusstsein, dass auch der sorgfältigste und gewissenhafteste Betreiber nicht zu 100% ausschließen kann, dass es auf seiner Anlage zu Beeinträchtigungen kommt.

Fazit: ob „noch Unglück oder schon Unrecht“ hängt letztlich von den Umständen des Einzelfalls, dem Nachweis der tatsächlich erbrachten Verkehrssicherung sowie der gerichtlichen Bewertung der Frage ab, ob dem Verantwortlichen weitere Sicherungsmaßnahmen zumutbar gewesen wären.

Kommentar verfassen