Kaltblüter im Einsatz: Volle Kraft voraus!

Zugleistung mit Holzrückewettbewerb des Pferdezuchtvereins Jura e.V. Berching-Pollanten; hier ziehen schwere Kaltblüter einen Schlitten mit viel Gewicht über eine festgelegte Distanz und im Holzrückewettbewerb werden Baumstämme durch einen Geschicklichkeitsparcour gezogen.Wenn Frank Immel mit seinen Pferden arbeitet, sitzen die Nachbarn mit dem Feldstecher auf der Terrasse und gucken zu. Verständlich, denn ein Bild wie dieses sieht man sonst nur in Omas Fotoalbum: Zwei stämmige Kaltblüter ziehen einen Wagen, ein Jungpferd läuft angebunden mit und die ganze Familie lädt Heuballen auf. Ein Heubau zu Babel ist das, meterhoch, aber kein bisschen schwankend.

Das Süddeutsche Kaltblut Fernando, die Bretonen-Stute Nadia und ihr Fohlen Tine erledigen für Nebenerwerbs-Landwirt Immel rund die Hälfte aller Arbeiten auf Hof und Feld. Nach Feierabend bewirtschaftet der hauptberufliche Laborwerker 36 Hektar Land und versorgt 15 Mutterkühe. „Ich würde prinzipiell die ganze Arbeit mit Pferden machen, denn ich verzichte gern auf alles, was brummt“, sagt Immel. „Aber dafür fehlt mir leider die Zeit. Gerade dann, wenn es abends früh dunkel wird.“

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Deshalb gibt es auf seinem Betrieb im hessischen Buchenau zwar auch vier Traktoren, aber die benutzt Immel nur „wenn’s pressiert“. Pflügen, säen, Heumachen, Gras einfahren und Kartoffeln ernten – dafür sind die Kaltblüter zuständig. Die beiden erwachsenen Pferde ziehen zuverlässig jedes Arbeitsgerät, wenden und stoppen auf Zuruf. Selbst Immels 13-jährige Tochter Christine kann sie anschirren und zum Einsatz aufs Feld fahren oder reiten. Lediglich beim Überqueren der Hauptstraße geht ein Erwachsener mit. „Ich weiß schon, was ich meinen Pferden zutrauen kann“, sagt der Landwirt.

Ökologisches Arbeiten

Etwa 200 bis 250 Betriebe arbeiten in Deutschland ergänzend oder gar ausschließlich mit Arbeitspferden in der Landwirtschaft oder im Gartenbau, schätzt der Leiter der Bundesgeschäftsstelle der Interessengemeinschaft Zugpferde e.V. (IGZ), Peter Herold. Je kleiner und vielfältiger der Betrieb ist, desto eher lohnen sich die echten Pferdestärken. „Eben überall da, wo Geschwindigkeit und Zugkraft nicht zum Tragen kommen“, sagt Herold. Das heißt: Wer 100 Hektar Mais ernten will, nimmt dafür besser einen Traktor. Wer aber auf zehn Hektar Land Gemüse oder Kräuter mit hoher Kulturvielfalt kultiviert, ist mit einem Pferd besser beraten. Auf kleinen Flächen sind die Tiere wendiger, treten weniger Pflanzen kaputt und schädigen mit ihren Hufen kaum den Boden. „Gerade bei schwierigen Bodenverhältnissen kann es zur Vermeidung von Bodenverdichtungen durchaus sinnvoll sein, die Grundbodenbearbeitung mit Pferden durchzuführen, selbst wenn diese Arbeiten mit dem Schlepper wesentlich schneller zu erledigen wären“, sagt Herold. So könne beispielsweise im Frühjahr schon gepflügt werden, wenn der feuchte Boden eine Überfahrt mit dem Traktor noch nicht zulässt.

Anders als in Deutschland haben Arbeitspferde in den USA nie an Wertschätzung verloren. Insgesamt etwa 200.000 Farmen setzen dort Pferde ein. Der Großteil wird von den Amish People bewirtschaftet, einer in der Tradition verwurzelten Glaubensgemeinschaft. Die Mitglieder kleiden sich wie ihre Vorfahren vor 300 Jahren, lehnen technische Errungenschaften ab und folgen strengen Verhaltensregeln. Landwirtschaft ist bis heute der Haupterwerbszweig der abgeschieden lebenden Gemeinschaften. Obwohl oder gerade weil die Amish ihre Betriebe wegen dem Einsatz von Pferden relativ klein halten, zählen sie zu den erfolgreichsten Landwirten der Vereinigten Staaten.

Auch Frank Immel erinnert an das letzte Jahrhundert, wenn er mit seinen drei Füchsen und einem hölzernen Leiterwagen die Bundesstraße überquert. Angefangen hat alles 1988 mit den ersten Mutterkühen. Immel, damals 20 Jahre alt, hatte von zu Hause aus keine Landwirtschaft, pachtete sich aber etwas Land und kaufte Kühe. Wie in alten Zeiten spannte er sie vor Pflug und Wagen und bestellte so seine Felder. Mit vollem Körpereinsatz: „Da habe ich viel Lehrgeld bezahlt“, erinnert sich der 43-Jährige. „Anfangs verhielten sich die Kühe wie die Büffel im Wilden Westen. Wenn die losrannten, konnte ich sie nicht halten. Mir ging alles kaputt: Brille, Klamotten, Geschirr… Später haben wir besser zusammen gearbeitet.“

Der Traum vom eigenen Kaltblut

Einen älteren Mann mit Kaltblütern im Dorf bewunderte er: „So ein Pferd will ich auch mal!“, schoss ihm durch den Kopf. Der Traum wurde Wirklichkeit, als Frank Immel heiratete und nun gemeinsam mit seiner Frau vier Schlepper besaß. Einen davon verkaufte er und bezahlte von dem Erlös sein erstes Kaltblut, einen Süddeutschen Wallach. Kaum war „Toni“ zu Hause angekommen, wurde er eingespannt – zusammen mit einer Kuh. „Das funktionierte prima“, erinnert sich Immel. „Früher haben die Leute das auch gemacht. Warum sollte es heute nicht mehr gehen?“

Wallach Toni hatte allerdings einen Ausbildungsfehler: Ging er allein oder zu zweien im leichten Zug, so war die Welt in Ordnung. Sollte er aber eine schwerere Last ziehen, so sprang er ins Geschirr und wollte alles alleine machen. Selbst mit einem Korrekturzügel lief er noch „einen Meter vorne weg“, erzählt Immel. So wechselte Toni schließlich den Besitzer und steht jetzt als Reit- und Schmusepferd auf einer Koppel. Immel legte sich stattdessen Fernando (12) und Nadia (10) zu. Die trächtige Bretonenstute Nadia wurde von einem Profi ausgebildet und kam dann bereits mit dickem Bauch auf den hessischen Hof. Wenig später wurde Tine geboren, die ihr Besitzer bereits als Fohlen mit Halsband an das Geschirr der Mutter band und mit aufs Feld nahm. Als letztes Jahr der Hufschmied bestellt war, spannte Immel die damals dreijährige Stute kurzerhand neben Fernando ein und fuhr mit ihr ins Gelände. Wenig später ging sie bereits dreispännig vor dem Pflug. Tines komplette Ausbildung verlief sozusagen schleichend, als Beobachterin. Selbst die Stimmkommandos waren ihr bereits vertraut. „Wenn ich ein Pferd drei Jahre lang großziehe, dann weiß ich genau, ob es irgendwelche Macken hat“, sagt Immel.

Wer gleich das erste Pferd selber ausbilden muss, tut sich natürlich nicht so leicht. Die Interessengemeinschaft Zugpferde e.V. bietet deshalb zahlreiche Kurse für Besitzer starker Pferde an. Das Angebot reicht von Haltung, Fütterung und Einfahren bis hin zu komplizierten land- und fortwirtschaftlichen Tätigkeiten. Um eine qualifizierte Ausbildung von Fuhrleuten sicherzustellen, hat die IGZ 2009 sogar eine Ausbildungs- und Prüfungsrichtlinie (APRI) verabschiedet, analog zur APO der FN. Wer das System durchläuft, bekommt entsprechende Zertifikate ausgehändigt. Damit wollte der Verband auch verhindern, dass seine Mitglieder zur FN fremdgehen, um z.B. ein „Holzrücker-Abzeichen“ zu bekommen. „Bevor die uns die Show stehlen“, schmunzelt Peter Herold, „machen wir das mit unserem Sachverstand lieber selbst.“

Drei Jahre Ausbildung

Was dabei herauskommt, hat mindestens den Showeffekt einer Appassionata-Aufführung: Da gibt es Rückepferde, die geduldig warten, bis der Forstarbeiter einen Stamm angehängt hat. Dann bekommen sie ein Kommando und marschieren daraufhin selbstständig durch den Wald bis hin zum Polterplatz, wo ein anderer Arbeiter ihnen den Stamm abnimmt. Alfred Dauber aus Miltenberg arbeitet mit seinen fünf Kaltblütern zwar allein im Wald – weshalb er den kompletten Weg mitlaufen muss – die Leinen aber benutzt er ebenfalls kaum. Mindestens drei Jahre dauert es, bis ein Pferd so weit ist. Dauber trainiert seine Holzrückepferde für den Einsatz im Wald zunächst ähnlich wie ein Reitpferd: „Anfangs gehe ich nur am Halfter mit ihnen spazieren“, erklärt der 56-Jährige. Dann arbeiten wir mit der Doppellonge und üben das Fahren vom Boden aus.“ Ab diesem Zeitpunkt findet das komplette Training draußen, in Feld und Flur statt. „Man muss mindestens 30 Kilometer hinter einem Pferd hergelaufen sein, bevor es weiß, worum es hier geht“, sagt Dauber. Anschließend wird das Jungtier – Kaltblüter sind spätreif und werden erst ab fümf Jahre ausgebildet – zugfest gemacht. Im Geschirr ziehen sie Autoreifen und Paletten hinter sich her. „Bodybuilding“ nennt Dauber das. Dann kommt die Kutsche ins Spiel. Für Holzrückepferde dient sie vor allem dazu, Kondition und Kreislauf aufzubauen. Erst wenn all das perfekt funktioniert, lernt das Pferd, Baumstämme zu ziehen.

Die lange und intensive Ausbildung von Zugpferden ist enorm wichtig, damit die Tiere während der Arbeit keinen Schaden nehmen. Nach einer Liste der IGZ sind Arbeitspferde zwischen 100 und 500 Stunden pro Jahr im Einsatz. Ein gut ausgebildetes Tier mit artgerechter Haltung und Fütterung hat sogar eine täglich leistbare Arbeitszeit von acht Stunden – bei gleichmäßigem Zug mit einer Zuglast von etwa 10 % des Körpergewichts des Pferdes. Darin sind Atem-, Arbeits-, Futter- und Tränkepausen enthalten.

Schlechter Verdienst

Viele der 1600 Rückepferde in der Forstwirtschaft bringen es wie Daubers Tiere auf täglich fünf Stunden Arbeit. Meist ist der Holzrücker allein mit zwei Pferden unterwegs. Arbeitet eines, so kann das andere sich ausruhen. Dauber selbst gönnt sich weniger Pausen.

„Seit ich mit Pferden im Wald arbeite, bin ich fit wie ein Turnschuh“, sagt der ehemalige Heizungsbauer, der wegen zwei Herzinfarkten seinen Beruf aufgab und nun die Arbeit macht, von der er immer geträumt hat. Für schlappe 30 Euro pro Stunde schuften Mann und Tier im Wald. Zum Vergleich: Ein Forstschlepper mit Fahrer kostet rund 70 Euro die Stunde „Wenn ich davon eine Familie ernähren müsste, wäre das schwierig“, gibt Dauber zu. „Zum Glück habe ich eine Frau, die ebenfalls arbeitet.“

Förster im Umkreis von 50 Kilometern bestellen Alfred Dauber und seine Rückepferde. Der Lohnunternehmer, der auch Holzeinschlag anbietet, wird vor allem dann gebucht, wenn es sich bei dem betreffenden Wald um ein Biotop oder anderes wertvolles Gehölz handelt, das geschont werden muss. Pferde richten im Gegensatz zu Maschinen keinen Schaden am Boden und an den Bäumen an. Zwar treten unter den Pferdehufen punktuell hohe Belastungen auf, die betroffene Gesamtfläche ist aber im Vergleich zum Schlepper gering. Punktuelle Verdichtungen regenerieren sich außerdem leichter als großflächige und werden schneller wieder von Pflanzenwurzeln durchwachsen. Förster Martin Holl vom Gemeindewald Eichenbühl: „Große Maschinen verletzen die Bäume oft. Ein solcher Schaden bietet Angriffsfläche für Pilze und Insekten, wodurch der Baum von innen her ausgehöhlt wird. Durch die Pferde haben wir ein bodenschonendes Verfahren mit relativ wenig Rückeschäden.“

Nicht immer arbeiten die Pferde allein. Oft werden sie in Kombination mit Forstschleppern mit Kranaufsatz eingesetzt. Auf diese Weise müssen die schweren Maschinen nicht in den Bestand hineinfahren, sondern können auf der bis zu 50 m entfernten Rückegasse warten.

Auch Hengste sind dabei

Die Mehrzahl der deutschen Arbeitspferde sind Stuten, gefolgt von Wallachen. Durch die Stuten ist gleichzeitig auch eine eigene Nachzucht gewährleistet. Nur wenige Betriebe halten Hengste. Alfred Dauber ist einer davon. Seine Hengste Urmel und Elvis sind nach Auskunft ihres Chefs anhänglicher und arbeiten besser als Stute Klärchen. „Das ist alles Erziehungssache“, sagt Dauber. „Wenn die das Kumt ankriegen, ist Arbeit angesagt.“ Selbst Transporte im LKW oder gemeinsames Anschirren mit dem rossigen Klärchen bereiten keine Probleme. Wie die meisten anderen Arbeitspferde auch, sind alle Dauber-Pferde Rheinisch-Deutsche Kaltblüter. Am zweit- bzw. dritthäufigsten werden laut IGZ Schwarzwälder Füchse und Süddeutsche Kaltblüter eingesetzt.

Wer mit den schweren Pferden arbeiten will, braucht in erster Linie Begeisterung für das Tier. „Auf einen Traktor kann man den letzten Deppen setzen“, sagt Peter Herold. „Für Pferde aber muss man ein Händchen haben.“ In zahlreichen Kursen der IGZ hat er Menschen erlebt, die über die Arbeit zum Pferd kamen und nicht umgekehrt. Um Erfolg zu haben, müsse man aber irgendwann die Kurve kriegen und ein echter Pferdemensch werden. „Der amerikanische Essayist Wendell Berry hat es einmal auf den Punkt gebracht“, sagt Herold: „Lass es, wenn du keine Pferde magst!“

Starke Pferde in Zahlen:

  • Beim Pferd kann etwa ein Drittel der über die Nahrung zugeführten Energie in Arbeit umgesetzt werden. Beim Schlepper werden bei Zugarbeiten nur etwa 12 % der im Kraftstoff enthaltenen Energie in Zugleistung umgesetzt.
  • Beim Arbeitspferd kann ein Drittel der Energie, die es als Futter aufnimmt, als Dünger wiederverwertet werden. Damit erhöht sich die Energieeffizienz beim Pferd im Vergleich zum Schlepper.
  • Das Gewicht der Pferde hat Einfluss auf die Zugleistung und die Geschwindigkeit, in der die Arbeit ausgeführt werden kann. Leichte Rassen erreichen höhere Geschwindigkeiten, die auf Kosten der Zugkraft gehen. Schwere Rassen können größere Lasten bei geringeren Geschwindigkeiten ziehen. Der mittelschwere Typ mit einem ungefähren Gewicht von 700-750 kg bringt daher die durchschnittlich besten Arbeitsleistungen.
  • Die Fläche, die ein normal leistungsfähiges Pferd bewirtschaften kann, liegt bei etwa 8-16 ha, je nach Technisierungsgrad der Pferdeausrüstung. Der Flächenbedarf für das Futter liegt bei etwa einem Hektar pro Pferd.
  • 74,2% der Fuhrleute sind Männer und 25,8% Frauen. Die Frauenquote stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an.

INFO:

Lohnen sich Arbeitspferde auch finanziell?

Pferde lassen sich mit hofeigenem Futter versorgen, die benötigten Arbeitsgeräte können häufig selbst repariert werden. Durch das Pferd besitzt der Hof eine von fossilen Energien und somit auch von deren Preis unabhängigere Energiequelle, deren Energieumwandlungsrate von Sonnenenergie in Zugkraft um einiges effizienter ist als die des Traktors.

Das Verhältnis von Energie- zu Lohnkosten lässt jedoch den Schlepper letztlich billiger erscheinen, denn für den Pferdeeinsatz gibt es keine Unterstützung und aus seiner geringeren Schlagkraft resultiert ein höherer Arbeitskräftebedarf. Zahlen zur geringeren Arbeitsproduktivität werden oftmals als vernichtende Kritik am Einsatz von Arbeitspferden aufgeführt. Dennoch kann sich das Arbeiten mit Pferden bis zu einer Betriebsgröße von ca. 70 Hektar, aufgrund der insgesamt geringeren Investitionskosten sowie der Aufzucht eigener Nachkommen, durchaus lohnen. Die positiven Auswirkungen auf den Boden und den Ertrag können zudem in bestimmten Bereichen die geringere Schlagkraft ausgleichen.

(Quelle: „Der Einsatz von Arbeitspferden in der Landwirtschaft in Deutschland – Situation und Perspektiven“, Bachelor-Arbeit von Marie-Christin Rodewald)

 

Die IG Zugpferde e.V.

Die im Jahre 1992 gegründete Interessengemeinschaft Zugpferde e. V. (IGZ) besitzt derzeit etwa 1270 Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland, in verschiedenen west- und nord-westeuropäischen Ländern sowie in den USA. Die Mitgliederstruktur umfasst ein breites Spektrum von Amateuren bis zu Vollprofis, die ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise mit Arbeitspferden bestreiten. Vorrangige Aufgabe und Ziel des gemeinnützigen Vereins ist die aktive Förderung der Nutzung von Arbeitstieren. Weitere Infos: www.ig-zugpferde.de

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