Jakobskreuzkraut ist auch im Heu giftig – bitte ausreißen!

Seit Jahren hatte Tanja Müller jeden Sommer das gleiche Problem: Ihre vier Pferde zeigten starken Sonnenbrand am Maul. Später entstanden Schrunden in den Fesselbeugen, die auch durch penible Stallhygiene und Zinksalbe nicht verschwanden. In einem Sommer war es besonders schlimm. „Alle weißen Abzeichen waren so stark betroffen, dass es aussah, als würden sie wegfaulen“, erinnert sich Tanja Müller. „Einer hatte eine Nase, die war aufgequollen als hätten 30 Wespen reingestochen!“ Die Pferdebesitzerin aus dem Kölner Norden konsultierte mehrere Tierärzte und Hufschmiede. Alle waren ratlos, tippten auf Mauke oder starken Kontakt mit Disteln und verschrieben Salben oder Sonnenmilch. Das verschaffte teilweise Linderung, bekämpfte aber nicht die Ursache.

Diese nämlich war allgegenwärtig, gelb und giftig. Auf der Weide wuchs bis zu einem Meter hoch das giftige Jakobskreuzkraut. In der ersten Vegetationsphase, dem sogenannten Rosettenstadium schmeckt es süßlich und wird gerade von jungen Pferden gern gefressen. Später, als blühende Pflanze, meiden es die meisten Tiere. Doch die Gefahr ist damit nicht gebannt: Ist die Pflanze erst einmal zu Heu verarbeitet, so verliert sie ihre Bitterstoffe und bleibt bis zu vier Jahre lang giftig. So bekamen Tanja Müllers Pferde ständig kleinere Mengen an Kreuzkraut verabreicht – im Frühjahr direkt von der Weide, später über das Heu. „Ich habe meine Pferde über Jahre hinweg systematisch vergiftet ohne es zu wissen“, klagt sie.

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Erhöhte Leberwerte

Erkannt hat das die Tierärztin Nina Flåskjer aus der tierärztlichen Gemeinschaftspraxis Köln-Langel, der die Theorie vom Sonnenbrand spanisch vorkam. „Für einen Sonnenbrand waren die Symptome einfach zu stark“, fand sie und tippte auf eine Photosensibilität, was sich durch die erhöhten Leberwerte im Blutbild bestätigte. Dabei passiert folgendes: Die Giftstoffe des Jakobskreuzkrautes schädigen die Leber so stark, dass ein im Darm beim Abbau des pflanzlichen Chlorophylls entstehender Stoff, Phylloerythrin, vom Organ nicht völlig abgebaut werden kann. Das Phylloerythrin lagert sich vermehrt in der Haut ab und durch Exposition mit UV-Licht entstehen die als Sonnenbrand deklarierten, entzündeten Stellen.

„Das Pferd wurde unter anderem mit Infusionen mit isotonischer Kochsalzlösung und Natriumbikarbonat zur Stabilisierung des Wasser- und Säure/Basen-Haushalts behandelt. Zusätzlich bekam es Aminosäurelösungen und Cortison um die Leberschädigung möglichst zu bremsen“, so Flåskjer. Zunächst trat dadurch eine Besserung auf. Doch kaum war der Wallach wieder zu Hause, versagte die Leber vollends den Dienst. Tanja Müller will an den letzten Tag im Leben ihres Pferdes gar nicht mehr denken: „Er ist jämmerlich verreckt“, sagt sie. „Er rannte kopflos und völlig irr über die Wiese und war kaum einzufangen. Nicht einmal um ihn einzuschläfern. Ich habe seit 25 Jahren Pferde, aber so etwas habe ich noch nie gesehen!“

Die extrem geschädigte Leber konnte den durch den Stoffwechsel anfallenden Ammoniak nicht mehr abbauen und schickte ihn über die Blutbahn direkt ins Gehirn. „Im gesunden Körper gibt es eine Blut-Hirn-Schranke, die verhindert, dass solche gefährlichen Stoffe ins Gehirn gelangen“, erklärt Nina Flåskjer. „Diese Schranke wird aber bei einer solch starken Leberschädigung durchlässig. Dadurch können für das Gehirn schädliche Substanzen passieren und lösen daraufhin zentralnervöse Störungen aus. Dies wird hepatoenzephales Syndrom genannt.“

Kreuzzug gegen das Kreuzkraut

Weil betroffene Pferde ruhelos auf- und abrennen und dabei gegen Koppelzäune und Futtertröge stoßen, heißt die Krankheit in England auch „Walking Disease“.

Das gleiche Schicksal widerfuhr noch einem weiteren Wallach von Tanja Müller nur wenige Tage später. Zwei Pferde sind ihr geblieben, doch auch diese beiden haben bereits rote Nasen und Fesselbeugen. Zwischen Hoffen und Bangen hat Tanja Müller nun einen Kreuzzug gegen das Kreuzkraut gestartet. Durch zahlreiche Telefonate und Internetrecherchen hat sie herausgefunden, dass die Giftpflanze in England, Irland und der Schweiz heftig bekämpft wird. Größere Vorkommen sind dort meldepflichtig, Landwirte werden bei deren Entsorgung in Verbrennungsanlagen finanziell unterstützt.

„In Deutschland will davon niemand etwas wissen“, klagt Müller. Bei der Bundestierärtzekammer hörte man ihr geduldig zu und tat sie dann als „so eine Kleine, die zwei Pferde verloren hat“ ab. Der Landwirt, dem ihre Weide gehört, will aus dem restlichen Gras mitsamt Kreuzkraut sogar wieder Heu machen.

Ansiedlung auf ökologischen Flächen

Klar ist: Das Jakobskreuzkraut ist weiter auf dem Vormarsch. Der Grund dafür liegt in der Ironie des Schicksals begründet. Je ökologischer die Landwirte arbeiten, desto mehr artenreiche Ökoflächen und pestizidfreie Getreidefelder gibt es. Und genau hier gedeiht das Jakobskreuzkraut am besten. Durch die späte Heuernte kann es außerdem ungestört aussamen.

Tanja Müller war in ihrer Umgebung die „lockere Vertausendfachung“ der langstieligen gelben Blüten innerhalb der letzen Jahre aufgefallen, ernst genommen hatte sie das jedoch nicht. „Wir haben die Pflanzen ausgerissen und hinter den Zaun der Weide geworfen“, erzählt Müller. Von dort aus keimte das Jakobskreuzkraut munter weiter und schickte rund 150 000 Samen pro Pflanze in die Luft – und zurück auf die Pferdekoppel. Als Grund für die starke Vermehrung der Pflanze in den letzten Jahren wird die Aufnahme ihrer Samen in verschiedene Saatmischungen zur Straßenrandbepflanzung angenommen. Mittlerweile wurde das zwar wieder geändert, doch „Senecia jacobea“ hat sich bereits verselbstständigt.

Als korrekte Bekämpfungsmassnahme rät der Pflanzenschutzdienst von Schleswig-Holstein: „Einzelne Pflanzen sollten vor der Blüte ausgestochen oder ausgerissen und nicht auf der Fläche liegen bleiben. Bei stärkerem Besatz muss man vor der Blüte mähen. Das Mähgut nach der Mahd einer stark mit Jakobskreuzkraut befallenen Fläche muss abgefahren und vernichtet werden.“

Steckbrief Jakobskreuzkraut

Botanischer Name: Senecio jacobaea
Familie: Korbblütengewächse
Vorkommen: Auf Wiesen und Wegrändern, besonders an sonnigen, trockenen Standorten
Beschreibung: Bis 100 cm hoch werdendes, ein- bis mehrjähriges Kraut mit fiederteiligen Blättern. Die gelben Blüten erscheinen zwischen Juli und September.
Giftigkeit: Alle Pflanzenteile sind giftig durch enthaltene Alkaloide wie Jacobin, Senecionin oder Retrorsin. Am giftigsten sind die Blüten, weshalb spät geschnittenes Heu besonders problematisch ist, wenn es Jakobskreuzkraut enthält.
Vergiftungssymptome: Konditionsverlust, Gewichtsverlust, Kolik, Verstopfung oder blutige Diarrhoe, Hämoglobinurie, häufiges Gähnen, erschwerte Atmung, Photosensibilität, später wegen Leberversagen hepatoenzephales Syndrom mit Unruhe, Taumeln, Ataxie, zielloses Wandern („Walking Disease“), Zehenschleifen, Lecksucht, Blindheit, Kopfpressen, Depression, hepatisches Koma, Tod.

Erkennung: Jakobskreuzkraut hat 13 schmale Blütenblätter in der Form von Gänseblümchen-Blütenblättern. Die Blüten sind komplett gelb, ohne weiße oder schwarze Anteile. Die Blätter der Pflanze sind beinahe kunstvoll gefiedert. Vom Haupt-Stängel zweigen weitere Stängel ab, die schließlich in die Blüten münden. Das heißt: Pflückt man den Hauptstängel, so hat man gleich einen kleinen Strauß in der Hand.

NACHGEFRAGT
(beim Institut für Veterinärpharmakologie und -toxikologie in Zürich)

Dr. Jacqueline Kupper vom Institut für Veterinärpharmakologie und -toxikologie in Zürich hält das Jakobskreuzkraut für „sehr gefährlich“ für Pferde. Bei akuten Vergiftungen tritt der Tod innerhalb weniger Tage ein. Bei chronischen Vergiftungen oft erst nach Wochen oder Monaten. Ein Pferd muss rund fünf bis 20 Prozent seines Körpergewichts fressen, um zu sterben. Dr. Kupper sagt: „Bestimmend für den toxischen Effekt ist die totale Aufnahme der Pyrrolizidinalkaloide, egal über welchen Zeitraum die Alkaloide aufgenommen wurden. Die Auswirkungen einer Pyrrolizidin-Vergiftung sind kumulativ.“ Das Gift sammelt sich also im Körper an. Was aber passiert genau bei einer Vergiftung? „Der giftige Inhaltsstoff der Pflanze sind die Pyrrolizidinalkaloide. Diese werden in der Leber in Metaboliten umgewandelt, welche irreversibel mit der DNA und anderen Makromolekülen reagieren und zur Schädigung der Leberzellen führen, was auch viele Monate nach der Aufnahme der Alkaloid-haltigen Pflanzen zum Tode führen kann.“

Das Schweizer Institut mischte zwei Pferden eine tägliche Dosis Kreuzkraut ins Futter. Das erste erhielt täglich rund 900 Gramm der getrockneten Pflanze. Am 14. Tag verweigerte es das Futter und wurde krank. Am 16. Tag starb es. Das zweite Pferd erhielt nur etwa 100 Gramm während 64 Tagen. Es zeigte starken Konditionsverlust und bekam eine Kolik. Am fünften Tag nach Versuchsende fraß es nicht mehr und starb vier Tage später. Dieser Versuch macht klar, dass auch kleine Mengen an Jakobskreuzkraut über einen längeren Zeitraum gefressen ein Pferd töten können. Und was kann der Tierarzt tun? „Eine Behandlung der Vergiftung ist leider aussichtslos. Die einzige Massnahme ist das sofortiges Absetzen des Pyrrolizidinalkaloid-haltigen Futters“, sagt Dr. Kupper.

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