Hilfszügel im Training gut oder schlecht?

HilfszgelDie Zahl von Hilfszügeln ist hoch: Stoßzügel, Ausbinder, Dreieckszügel, Halsverlängerer, Schlaufzügel, Martingal u.a. Es gibt Hilfszügel, die fest am Sattel oder Longiergurt verschnallt werden und von dort auf das hoch empfindliche Pferdemaul wirken. Andere wirken durch die Reiterhand. Man sieht auch abenteuerliche Kombinationen verschiedener Hilfszügel. Gemeinsam ist allen Hilfszügeln, dass mit ihnen versucht wird, die Richtung der Zügelkräfte zu optimieren und so den Kopf und den Hals des Pferdes in die gewünschte Position zu bringen. Wie wirken die am häufig verwendeten Hilfszügel genau? Wo liegen ihre Stärken, wo die Gefahren?

Martingal

Mit diesem Hilfszügel sind viele Pferde mit ihrem Reiter im Gelände und auch im Springparcours unterwegs. Es ist laut LPO und WBO bei Turnieren in Springprüfungen (Ausnahme: Eignungsprüfungen und kombinierte Leistungsprüfungen) zulässig. Band 1 der Richtlinien FN: „Das richtig verschnallte Martingal ist so lang, dass bei normaler Kopfhaltung des Pferdes die Linie des Zügels vom Pferdemaul bis zur Hand des Reiters gerade und ungebrochen verläuft.“ (S. 88) Hebt das Pferd seinen Kopf in die Höhe, spannt sich der Martingalriemen an und knickt die Zügel. So kann das Pferd seinen Kopf nicht unbegrenzt heben.

Der Vorteil des Martingals ist, dass es lediglich deutliche Fehler korrigiert, und seine Wirkung lässt sofort wieder nach, sobald das Pferd den Kopf senkt. Die Zügelkraft wird durch die Wirkung eines Martingals nicht verstärkt. Ein weiterer Vorteil: Der Reiter kann beim Springen in den Halsriemen greifen. „Die Hand bleibt ruhiger und der Reiter fühlt sich sicherer“, weiß Reitlehrerin Veronika Heuner (Trainerin B/FN; Schwerpunkt Vielseitigkeit). Aber Achtung: Das Martingal muss auf jeden Fall richtig verschnallt sein. Ist es zu kurz verschnallt, wird der Signalaustausch zwischen Reiterhand und Pferdemaul behindert. Die Richtlinien der FN: „Das zu kurz geschnallte Martingal hat (…) eine negative Auswirkung, weil es durch den ständigen Widerstand des Pferdes gegen den Druck nach unten die unerwünschte Unterhalsmuskulatur verstärkt.“ (S. 88, Band 1).

Bei zu loser Verschnallung setzt die Wirkung des Hilfszügels erst bei sehr hoher Kopfposition des Pferdes ein. Außerdem ist es besonders wichtig, dass der Martingalring stets frei am Zügel hin und her gleiten kann. Verhakt sich der Ring am Zügel, können entweder zwischen Gebiss und Gurt oder zwischen Reiterhand und Gurt erhebliche Kräfte zur Wirkung kommen.

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Ausbinder

Ausbinder werden häufig zum Longieren und beim Unterrichten von Reitanfängern verwendet. Die Ausbinder werden am Longiergurt oder am Sattel und meistens am Trensenring befestigt. Sie wirken dann ähnlich wie eine sehr tief gestellte ruhige, aber völlig unnachgiebige Hand. Der Hals des Pferdes zäumt sich bei. Dabei sollte die Länge der Ausbinder stets so eingestellt werden, dass das Pferd seine Nase VOR der Senkrechten tragen darf. Pferde haben mit Ausbindern keine Möglichkeit, den Kopf zu heben oder zu strecken. Die Ausbinder setzen ihnen starren Widerstand entgegen. Auch Gummiringe mindern diesen Widerstand nicht, lassen ihn lediglich etwas langsamer zur Wirkung kommen.

Prof. Dr. Holger Preuschoft von der Universität Bochum macht auf einen weiteren Nachteil der Ausbinder aufmerksam: Pferde ändern zwar im Schritt, Trab und langsamen Galopp ihre Hals-/ Kopfposition nicht sonderlich, die Kräfte, die in den verschiedenen Gangarten auf die Zügel wirken, schwanken aber enorm. Diese Schwankungen werden nicht durch eine Reiterhand abgefangen und gemindert. Auf das Gebiss können folglich erhebliche Kräfte wirken. Entgegen der Meinung, dass das Pferd mit Hilfe der Ausbinder lernt, vertrauensvoll an das Gebiss heranzutreten, lernt das Pferd, so zeigen Versuche von Dr. Parvis Falaturi, eine Art Sicherheitsabstand zum Gebiss einzunehmen, also hinter dem Gebiss zu gehen.

Ausbinder sind, so Preuschoft, für das Pferd eine Art starre Fesselung. Achtung: Ausbinder dürfen auf keinen Fall im Gelände, beim Springen oder bei der Cavalettiarbeit verwendet werden. Hierbei braucht das Pferd seinen Hals unbedingt zum Balancieren! Ein weiteres Tabu: Beim Longieren den inneren Ausbinder kürzer schnallen, um das Pferd zu biegen. So wird, laut Tierarzt Dr. Stodulka die innere Schulter im Raumgriff eingeschränkt. Außerdem wichtig: Ausbinder mit Gummieinsätzen sind mittlerweile aus der Leistungsprüfungsordnung (LPO) der Reiterlichen Vereinigung (FN) gestrichen. Ausbildungsleiter Christoph Hess: „Jegliche Hilfszügel aus elastischen Materialien wirken wie Expander, die sich abrupt zusammenziehen, sobald sich das Pferd vom Gebiss abstoßen möchte.“ Hierzu Professor Preuschoft: „Hinzu kommt, dass sich kaum abschätzen lässt, wie hoch die von allen elastischen Hilfszügeln ausgeübten Gebisskräfte tatsächlich ausfallen. Die hängen von der Vorspannung, dem verwendeten Material und vom gerade bestehenden Dehnungszustand ab.“

Stoßzügel 

Zwischen den Vorderbeinen des Pferdes wird ein Riemen (meist ein einzelner Ausbinder) am Sattelgurt befestigt und direkt mit dem Gebiss – oder bei manchen auch am Nasenriemen oder in einer Longierbrille – befestigt. Drückt das Pferd gegen den Stoßzügel, so wirkt dieser mittig nach unten. Diese Zugrichtung wird auf das Gebiss übertragen, es drückt sich nach oben. Der Stoßzügel muss so verschnallt werden, dass das Pferd seinen Kopf bis kurz VOR die Senkrechte strecken kann. Durch den Stoßzügel ist es dem Pferd nicht mehr möglich, den Kopf über das vorgegebene Maß zu heben oder den Kopf nach vorn zu strecken. Dem Absenken des Kopfes setzt er keinen Widerstand entgegen. Die häufige Konsequenz: Die Pferde verkriechen sich hinter dem Zügel. Wie beim Ausbinder gilt auch hier: Ausritte, Springen und Cavalettiarbeit sind mit Stoßzügel tabu!

Halsverlängerer

Unter Halsverlängerer versteht man ein elastisches Seil, das vom Gurt auf jeder Seite durch den Gebissring entlang der Backenstücke zum Nacken läuft. Dort wird dann die Länge des Hilfszügels eingestellt. Diese sollte – wie bei allen anderen Hilfszügeln auch – dem Pferd erlauben, seine Nase VOR der Senkrechten zu tragen. Dies ist jedoch mit einem Halsverlängerer so gut wie unmöglich. Die elastische Spannung dieses Hilfzügels führt zu Kräften, die sowohl in den Abschnitten entlang der Kopfseiten und in den Abschnitten vom Trensenring zum Gurt wirken. Der Gebissring wirkt hier wie eine lose Rolle. In ihm wirkt die Resultierende aus den Zugkräften beider Abschnitte. Dem Pferd werden die Mundwinkel nach oben-hinten gezogen. Diesen dauerhaften Zug kann das Pferd wegen der Elastizität der Schnüre nur entgehen, indem es seinen Hals einrollt.

Wenn das Pferd seinen Hals senkt und streckt, steigt der Zug auf den Mundwinkel des Pferdes nach hinten-oben. Der Name Halsverlängerer ist folglich völlig irreführend. Prof. Dr. Holger Preuschoft tituliert diese Bezeichnung als zynisch. „Halsverkürzer“ sei der treffende Begriff. Für den studierten Zoologen, Anthropologen und Mediziner ist auch dieser Ausbinder eine Art Fesselung, wenn auch mit elastischem Material, die vom Reiter nicht unmittelbar beeinflusst werden kann. Die FN hat den Halsverlängerer laut LPO verboten.

Dreieckszügel 

Der Dreieckszügel (auch Wienerzügel genannt) wird von der Mitte des Sattelgurtes aus zwischen den Vorderbeinen des Pferdes hindurch zum Gebissring geführt. Von dort aus werden sie seitlich in den Sattelgurt, bzw. den Longiergurt eingeschnallt. Pferden ist bei korrekter Verschnallung und korrekter Länge des Dreieckszügels eine gewisse Vorwärts-/ Abwärtsbewegung möglich. Nachteil der Dreieckszügel: Das Pferd findet beim Longieren keine seitliche Anlehnung.

Laufferzügel

Laufferzügel haben eine ähnliche Wirkung wie Dreieckszügel. Auch sie gestatten dem Pferd im gewissen Rahmen eine Vorwärts-/Abwärtsbewegung und lassen sich dem Ausbildungs- und Trainingszustand des Pferdes angepasst verschnallen. Laufferzügel sind zwei Riemen. Sie verlaufen, einer auf der rechten, einer auf der linken Seite vom Longier-/ bzw. Sattelgurt durch den Trensenring wieder zum Longier- /Sattelgurt, wo sie etwas höher als das andere Ende des Riemens verschnallt werden. Es entsteht ein seitliches Dreieck. Je nach Zielsetzung kann dieses Dreieck höher oder tiefer verschnallt werden. Für die Dehnungshaltung wird das Dreieck tiefer, für mehr Aufrichtung höher verschnallt.  Eine seitliche Führung des Pferdes ist mit Laufferzügeln möglich.

Schlaufzügel 

Schlaufzügel sind Hilfszügel, die ihre Wirkung durch die Hand des Reiters erlangen. Schlaufzügel werden in der Mitte des Sattelgurtes befestigt, zwischen den Vorderbeinen entlang zum Gebissring geführt und von dort zur Reiterhand. Dies ist die sogenannte Hohe Verschnallung. Bei der tiefen Verschnallung gehen die Schlaufzügel vom unteren Rand der Sattelblätter aus. Die Schlaufzügel hält der Reiter zusammen mit dem Trensenzügel in der Hand. Das Prinzip des Schlaufzügels ist das physikalische Prinzip der „losen Rolle“. Prof. Preuschoft: „Die gleiche Kraft, die der Reiter mit der Hand ausübt, liegt sowohl auf dem Abschnitt zwischen Hand und Gebiss als auch auf dem Abschnitt zwischen Gebiss und Gurt. Am Gebiss setzen sich beide Kräfte zu einem Parallelogramm zusammen, dessen Resultierende nahezu doppelt so groß ist wie die Kraft der Zügelhand.“

Schlaufzügel funktionieren also ähnlich wie ein Flaschenzug. Wenn man sich nun vor Augen führt, dass physikalische Messungen ergeben haben, dass bei sehr guten Reitern Zugkräfte von 20 Newton (das entspricht einem Gewicht von zwei Kilogramm) am Zügel zur Wirkung kommen; und auf Turnieren der Klasse A bis M die Werte deutlich über 20, in der Regel über 60 Newton (das entspricht zwei bis sechs Kilogramm), aber auch vielfach 150 Newton, also 15 Kilogramm gemessen wurden, dann mag man sich die Auswirkungen einer Verdopplung dieser Kräfte durch den Schlaufzügel gar nicht erst vorstellen. Schlaufzügel wirken wie gesagt über die Reiterhand. Deshalb wird immer wieder betont, dass sie nur in erfahrene Hände gehören. Hierzu jedoch Dr. Gerd Heuschmann: „Erfahrene Reiterhände brauchen keine Schlaufzügel!“

Fazit:

Hilfszügel helfen folglich vor allem einem: Dem Reiter. „Durch Hilfszügel kann die noch unsichere Einwirkung des Reiters auf das Pferd ausgeglichen werden. Der lernende Reiter kann sich also vermehrt auf den Sitz und die Hilfengebung konzentrieren.“, so die Richtlinien für Reiten und Fahren. So verstanden helfen Hilfszügel. Hierbei sollte der Reitlehrer auf nach Möglichkeit auf Laufferzügel zurückgreifen, um es für das Pferd so angenehm wie möglich zu machen.Helfen Hilfszügel dem Pferd? Immer mehr Ausbilder meinen: Ohne geht es auch – und sogar besser!

Wenn Reiter und Ausbilder Hilfszügel verwenden, sollten folgende Aspekte unbedingt berücksichtigt werden: 

  • Die Verschnallung von Hilfszügeln im Gebiss wirkt wie eine starre, harte Hand und zerstört die Sensibilität im Pferdemaul.
  • Muss ein Pferd eine bestimmte Kopf-/ Halsposition über längere Zeit einnehmen, kommt es zu Muskelverspannungen. Deshalb muss es jedem Pferd regelmäßig gestattet werden, seine Kopf-/ Halsposition zu verändern, sich zu strecken. Die Zeitdauer, die ein Pferd in einer bestimmten Position laufen kann, hängt von seinem Ausbildungs- und Trainingszustand ab. Der Einsatz von fest verschnallten Hilfszügel darf folglich nur über einen dem Trainings- und Ausbildungszustand des Pferdes angepassten Zeitraum erfolgen. Bei einem jungen, untrainierten Pferd sind dies wenige Minuten. Zum Vergleich: Wenn der Mensch untrainiert ein Gewicht oder eine statische Übung (z.B. einen Stützstand oder Stehen mit angewinkeltem Knie) halten soll, wird es bereits nach kurzer Zeit wackelig. Die notwendige Kraft muss langsam aufgebaut werden.
  • Hilfszügel dürfen auf keinen Fall „Hilflosigkeitszügel“ werden, zu denen der Mensch greift, um seine reiterlichen Unzulänglichkeiten dauerhaft zu kompensieren.

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