Expertengespräch mit Linda Christof: „Tierschutzfälle häufen sich!“ – Was tun?

Barnboox: Haben Sie den Eindruck, dass sich Tierschutzfälle in den letzten Jahren häufen?

Linda Christof: Das ist eine gute Frage, die ich auch immer wieder mit Kollegen diskutiere. Es ist vielleicht am ehesten eine Mischung aus verschiedenen Komponenten. Einerseits sieht man teilweise wirklich eine zunehmende soziale Verwahrlosung (bei Menschen), die oft mit einer schlechten Versorgung aller im Haushalt lebenden Mitgeschöpfe – Tiere und Kinder und auch der betreffenden Personen selbst – einhergeht. Andererseits ist aber auch die Bereitschaft von Menschen, die dergleichen beobachten, größer geworden, solche Missstände auch wirklich den zuständigen Stellen anzuzeigen. Noch vor 20 Jahren wurde deutlich mehr weggeschaut. Es war völlig normal, dass ein Landwirt überzählige Katzenwelpen ertränkt oder erschlagen hat. Das wird heute zunehmend weniger und wenn dann heimlich gemacht.

Barnboox: Können Sie diesen Eindruck auch mit Zahlen belegen?

Linda Christof: Eine Amtstierärztin sagte mir letztens, vor zehn Jahren habe man bei 80 Prozent der Kontrollen Auflagen erteilen können, ca. zehn Prozent der Meldungen waren auch schlichtweg falsch. Nachbarschaftsstreitigkeiten waren wohl gerne mal Anlass für eine Anzeige beim Veterinäramt. Übrig geblieben sind dann ca. zehn Prozent der Fälle, die sofortiges Handeln, also eine Fortnahme der Tiere, erforderlich gemacht haben. Heute, so sagte sie mir, gäbe es eigentlich keine Falschmeldungen mehr, in zehn bis 20 Prozent der Fälle käme man so gerade noch mit Auflagen hin, alle anderen Tiere müsse man eigentlich direkt fortnehmen.
Ich würde sagen, es sind vor allem die Fälle mit kleinen Haustieren, deren Zahl und vor allem deren Ausmaß zunimmt. Eine Verwahrlosung mit Nagern und Katzen innerhalb einer Wohnung bleibt oft unbemerkt bis der Rest des Hauses danach stinkt, auch die Vermehrungsfreudigkeit spielt dabei natürlich eine Rolle. Bei Vermehrern, die aus Profitgier Tiere produzieren spielen Hunde und evtl. noch Rassekatzen eine Rolle. Der Markt für Pferde ist ja ziemlich am Boden. Deshalb sind sie an dieser Stelle nicht so sehr betroffen. Eine Mischform aus Animal Hoarding und Handel ist erstaunlicherweise ziemlich verbreitet. Aber all das sind Bereiche, von denen Pferde und Nutztiere wie Schafe und Ziegen deutlich weniger betroffen sind als kleine Haustiere.

Barnboox :Was für Geschichten stecken meist hinter solchen Fällen? Böswilligkeit? Unwissen?

Linda Christof: Die Ursachen sind so unterschiedlich wie die Fälle selbst. Hinter den Animal Hoarding Fällen steckt immer die kranke Psyche eines Halters, die Tiere sind Ersatz-Sozialpartner und sollen emotionale Lücken beim Halter füllen. Beim Vermehrer steht die Geldgier im Vordergrund. Manche Halter sind auch einfach selber sehr knapp bei Kasse und reden sich den Zustand ihres Tieres schön, weil sie nicht wissen, wie sie etwas daran ändern sollen. Unwissenheit spielt auch eine große Rolle. Viele wissen überhaupt nicht um die Bedürfnisse ihres Tieres und/oder reagieren viel zu spät auf Missstände, vielfach wird geglaubt „es liegt am Alter, da kann man nichts machen“. Und im sozial schwachen Bereich gibt es glaube ich auch einen Schwung Leute, die einfach nicht besser zu leben wissen, die für sich selber nicht gut sorgen können und für ihre Kinder und Tiere natürlich auch nicht, weil sie es einfach selber nie anders erfahren und gelernt haben.

Barnboox: Was könnte getan werden, um hier vorzubeugen?

Linda Christof: Ja, wenn ich das wüsste…! Ich glaube die Sachkundeprüfung für Hundehalter ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn sich diese bewährt sollte man sie auf andere Tierarten ausweiten. Damit würde man zumindest in Teilbereichen eine Verbesserung erzielen. Die Fehler aus Unwissenheit könnten minimiert werden und eine Sachkundeprüfung stellt natürlich auch eine gewisse Hürde dar.
Gegen die Fälle, in denen schon mehr oder weniger kriminelle Energie am Werke ist, ist glaube ich kein Kraut gewachsen. Und bei den Animal Hoardern müsste man die Ursache für ihre Sammelleidenschaft beheben – das ist wohl auch ziemlich aussichtslos. Die Rückfallquote bei Animal Hoardern soll bei fast 100 Prozent liegen. Da helfen nur Kontrollen und regelmäßige Fortnahmen. Solange der Halter nicht gewillt ist, seine eigenen Verhaltensstörungen aufzuarbeiten kann man an dem anderen Stellschräubchen nicht drehen.

Barnboox: Arbeiten die Ämter wirklich schnell und zuverlässig genug, wenn es um den Entzug der Tiere von ihrem Halter geht?

Linda Christof: Ja und nein. Kein Veterinäramt ist so gut besetzt, dass es jeder Meldung umgehend nachgehen kann. In der Regel liegt der Schreibtisch voll und wird nach (vermuteter) Dringlichkeit abgearbeitet. Außerdem steht und fällt das Veterinäramt mit dem Landrat des jeweiligen Kreises, der gewillt sein muss, ausreichend finanzielle Mittel für die Unterbringung fortgenommener Tiere einzuplanen. Von der Planung her ist das natürlich schwierig, denn die Summen können von einem Jahr zum anderen sehr stark schwanken. Man weiß ja bei der Etatplanung noch nicht, was für Tierschutzfälle das Jahr bringt. Außerdem steht und fällt das Engagement wie überall anders auch, mit den Personen, die die entscheidenden Stellen besetzen. Der eine ist mit Leidenschaft dabei, der andere macht „Dienst nach Plan“.

Barnboox: Welches sind die Aufgaben und Schwierigkeiten, mit denen Sie als Tierschutzhof nach Übermittlung der Tiere zu kämpfen haben?

Linda Christof: Manchmal sind die Tiere körperlich sehr marode und müssen für einen längeren Zeitraum gepäppelt werden. Aus den Animal Hoarding Fällen kommen in der Regel Tiere, die aufgrund der großen Anzahl, die von nur einem oder wenigen Menschen versorgt wurden, nicht nur körperliche Defizite haben, sondern auch scheu sind und sehr wenig Umwelterfahrungen gemacht haben. Beispiel: 16 Pferde aus einer Stallhaltung. Abgemagert, Hufe wie Schnäbel, größtenteils scheu. Der Halter, ein älterer Mann, völlig überfordert mit der Situation, hat sehr wohl gesehen wie schlecht es seinen Pferden ging, aber nicht gewusst, an wen er sich um Rat wenden sollte. Die körperliche Arbeit konnte er nicht mehr gut leisten, obendrein fehlte es an Geld  und es war ihm peinlich jemanden in den Stall zu lassen, weil er wusste, dass seine Pferde nicht gut aussahen. Er war einfach nur froh und dankbar, dass das Amt seine Pferde hat abholen lassen, so gesehen war dieser Fall eigentlich der tragischste von allen. Hier kam für zwei der Pferde die Hilfe zu spät, von den anderen haben einige Hufbeinveränderungen behalten, können aber gut damit leben, nur evtl. nicht geritten werden. Neben den sehr aufwendigen Korrekturen der Hufe war das Hauptproblem auch hier die mangelnde Menschengewöhnung, die jeden Tag viel Zeit geschluckt hat.

Barnboox: Was würde Ihnen denn helfen?

Linda Christof: In dem Pferdefall hat z.B. das Schmiedeteam von Equiwent – Schmiede ohne Grenzen kostenlos die zahlreichen Hufkorrekturen übernommen. Solche sachkundige Hilfe ist immer Gold wert, aber es ist natürlich von Fall zu Fall unterschiedlich was benötigt wird. Oft ist es auch einfach Futter. Oder Geldspenden, damit wir Medikamente, Futter oder Aushilfskräfte nach Bedarf finanzieren können. Bei dem Pferdefall z.B. hat eine Schülerin aus dem Nachbarort einen Minijob übernommen und ist jeden Tag für zwei Stunden nur zum Abäppeln gekommen. Und natürlich brauchen wir immer jede Menge tolle neue Halter, die auch einem Tier mit Defiziten eine Chance geben.

Barnboox: Was sollte man als Pferdeliebhaber tun, wenn man Tiere sieht, denen es ganz offensichtlich nicht gut geht?

Linda Christof: Im Internet findet man für die meisten Tierarten Verordnungen über die Haltungsbedingungen. Darin kann man nachlesen, ob das, was man beobachtet nur unschön oder gesetzeswidrig ist. Für Pferde findet man sie unter folgendem Link:
http://www.bmel.de/cae/servlet/contentblob/651026/publicationFile/37959/HaltungPferde.pdf
Dann kann man sich in Stichpunkten notieren, in welchen Punkten das Gesetz nicht erfüllt wird und die Stichpunkte wenn möglich um Fotos ergänzen. Damit tritt man dann an das zuständige Veterinäramt heran und meldet die Missstände. Gut ist immer, wenn man auch bereit ist als Zeuge zur Verfügung zu stehen, aber das ist nicht Voraussetzung für eine Meldung. Wenn das Veterinäramt nicht tätig wird und die Missstände so schlimm sind, dass sich vermutlich ein Straftatbestand daraus ableiten lässt kann man sich an die Staatsanwaltschaft wenden. Und auch im LAVES sitzen im Tierschutzdienst Amtstierärzte, und zwar sehr engagierte und hochqualifizierte, die man einschalten kann, wenn das zuständige Vet. Amt nicht aktiv wird. Siehe: http://www.laves.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=20071&_psmand=23
Natürlich kann man auch einen Tierschutzverein vor Ort ansprechen, aber die haben keinerlei rechtliche Befugnisse, dürfen ein Gelände nicht betreten auch wenn Gefahr im Verzug ist etc. Als Tierschutzverein kann man immer nur versuchen, beratend auf den Tierhalter einzuwirken oder eben auch eine Meldung ans Amt abgeben. Ein „Fehler“, der im Zusammenhang mit Meldungen häufig gemacht wird ist der, nach erfolgter Meldung die Tiere aus Mitleid mit Futter und Wasser zu versorgen. Wenn dann der Amtsveterinär zur Kontrolle kommt findet er unter Umständen nicht genug zu beanstanden.

Barnboox: Vielen Dank für das Gespräch!

Hier geht’s zur Homepage des Tier- und Umweltschutzhofs Geißblatt e.V.

 

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