Experte warnt: Kraftfutter und Heunetze können Zahnprobleme auslösen

Rauhfutter, q.Das System ist einzigartig in der Natur: Alle Equiden, also Pferde, Zebras, Esel und ihre Kreuzungen haben nachwachsende Zähne, die – ähnlich wie Fingernägel oder Haare – ständig von unten nachschieben. Dieses Wunderwerk ist ganz dem ursprünglichen Lebensraum der Tiere angepasst. Entsprechend reiben sich Schneide- und Backenzähne durch das Abbeißen und Kauen von hartem Steppengras jährlich etwa 1-3 Millimeter ab, sodass kein Zahnarzt nötig ist, um überlange Schneidezähne, Zahnkanten, Haken und Rampen zu korrigieren. Unter der Obhut des Menschen ist das anders. „Hier unterliegen die Zähne, genau wie Hufe auch, eventuellen Fehlabrieben.“, sagte Souel Maleh, 1. Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft zur Funktionsverbesserung der Pferdezähne e.V. (IGFP).

Diese Fehlabriebe werden von verschiedenen Faktoren begünstigt: von der Haltung, der Fütterung, der Leistung und der körperlichen Schiefe des Pferdes.

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Bei der Planung ihres 47 Millionen Jahre alten Evolutionskonzeptes habe die Natur vergessen, den Faktor Mensch und den Faktor Müsli einzuplanen, betonte Maleh. Fette Weiden, hochenergetisches Futter und wenig Bewegung sei nicht nur für den Stoffwechsel, sondern auch für die Zähne des Pferdes Gift. Zum Vergleich zeigte er Bilder eines Zebraschädels aus der Savanne Afrikas und eines Pferdes aus Menschenobhut. Bei dem Zebra waren die Zähne gleichmäßig abgerieben, obwohl sie nie korrigiert wurden. Das Pferdegebiss hingegen wies deutliche Unregelmäßigkeiten auf. Einige Zähne waren länger und weiter vom Kieferknochen entfernt als andere.

„Pferde beißen die Zähne zusammen“

Maleh stellte klar, dass zahlreiche Faktoren Auswirkungen auf den Kieferstand und damit auf die Fehlabriebe haben. So beeinflusse zum Beispiel die körperliche Schiefe der Wirbelsäule und der Hufe die Unterkieferstellung, ebenso wie Lahmheiten. Steht das Pferd schief, so setzen die Schneidezähne nicht mittig auf und es kommt zu einem einseitig schiefen Abrieb. Ähnliches geschieht durch gebrochene Zähne, wie sie immer wieder bei Springpferden vorkommen. „Bei der Landung nach dem Sprung schlagen sie die Zähne zusammen“, erklärte Maleh. Aber auch punktuelle Belastungen durch den Antagonisten, also den Gegenspielerzahn, können Frakturen hervorrufen.

Pferde zeigen Schmerzen durch gebrochene Zähne oft nicht. Sie „beißen die Zähne zusammen“. Stattdessen schonen sie die schmerzende Stelle, der Kiefer weicht beim Kauen aus und es kommt zu einem totalen Schiefstand des Gebisses. Der gebrochene Zahn selbst beginnt zu faulen, was oft erst bemerkt wird, wenn der Eiter über die Nasennebenhöhlen an den Nüstern herausläuft.

Auch die Fütterung aus Heunetzen ist laut Maleh problematisch. Besonders dann, wenn es sich um ein frei baumelndes Netz handelt, halten Pferde ihren Kopf beim Rausrupfen oft dauerhaft schief zur selben Seite hin, was wiederum ein einseitig abgeriebenes Gebiss zur Folge hat. Etwas besser sei die Fütterung bei viereckigen Heunetzen, die an der Stallwand angebracht werden. Doch auch hier solle der Pferdebesitzer die Kopfhaltung seines Tiers genau beobachten.

Kraftfutter ist schwer zu kauen

Besonders zahnunfreundlich ist die Gabe von viel Kraftfutter. Maleh zeigte Fotos von Pferdezähnen im Unter- und Oberkiefer. Dabei wurde klar, dass die Unterkieferzähne  schmaler sind als die Oberkieferzähne. Kommt in der Natur hartes Steppengras auf dem Unterkiefer zu liegen, so malen die Zähne im Oberkiefer weit ausladend wie Mühlsteine darüber und das Gras wird zu 3-Millimeter-Stücken zerkleinert. „Dabei putzt das Raufutter sogar noch die Zahnzwischenräume“, so der Tierarzt. Liegen aber, wie in unserer Haltung üblich, Körner auf den schmalen Unterkiefer-Zähnen, muss das Pferd vorsichtige, kurze Mahlbewegungen machen, damit das Kraftfutter nicht von den Zähnen rutscht. Durch die ungenügenden seitlichen Kaubewegungen entstehen schließlich Zahnkanten, die so spitz werden können, dass die Pferde sich daran Zunge oder Backe aufschneiden, was oft zu schmerzhaften Geschwüren führt.

Auch eine unnatürliche Fressposition bedingt Zahnprobleme. Nimmt das Pferd sein Futter nicht während einer langsamen Vorwärtsbewegung (Grasen) vom Boden auf, sondern steht stattdessen an einer Futterkrippe, so weicht durch die veränderte Kopfposition sein Unterkiefer nach hinten, was einem künstlichen Überbiss gleichkommt. Diese Fehlpositionierung verursacht sogenannte Zahnhaken. Auch die fehlende Vorwärtsbewegung auf fetten Weiden löst Probleme aus. Dabei werden die Querkämme im Gebiss, die wie natürliche Förderschienen beim Mahlakt das Futter weiterschieben, nicht gleichmäßig abgerieben, und können am Ende sogar die Gegenzähne spalten.

Neue Zahnkrankheiten

In den letzten zehn Jahren stellte Maleh auch vermehrt Karies bei seinen Patienten fest. „Solche Veränderungen habe ich bei keinem einzigen Wildpferdeschädel gefunden“, erklärte der Referent. „Bei unseren Hauspferden ist das mittlerweile Gang und Gäbe: Zwei von fünf leiden darunter.“ Da in den letzten Jahren vermehrt Silagen und Heulagen gefüttert werden liegt der Verdacht nahe, dass hier durch den unnatürlichen pH-Wert diese Krankheit positiv beeinflusst wird. Die pH-Werte dieses Futters liefern die Grundlage für eine schnelle Verpilzung und entsprechenden Bakterienbefall.

Eine weitere Problematik, die erst in den letzten acht bis zehn Jahren auftritt, ist die Zahnkrankheit EOTRH, „eine Art Hufrehe der Schneidezähne“, wie Maleh sagte. Im Röntgenbild zeigt sie sich durch Hyperzementose (übermäßige Zementneubildung) und Resorption (Auflösung des Zahns), klinisch durch Fisteln, die wie kleine Pickel oder Knötchen am Zahnfleisch aussehen. Die Ursache für EOTRH ist ungeklärt, sicher ist aber, dass die Schneidezahnerkrankung fast ausschließlich bei Pferden im deutschsprachigen Raum und in England vorkommt. Auch in Ballungsgebieten zeigt sich gemäß den Erfahrungen von Maleh eine deutliche Häufung. Bakterien, Viren, Überbelastung oder Ernährungsfehler stehen als Auslöser zur Diskussion. Laut Maleh ist eine Heilung möglich, indem durch eine zahnärztliche Behandlung der Druck von den Schneidezähnen genommen wird und die Fütterung auf ihre natürliche Form umgestellt wird.

Zusammenfassend stellte Souel Maleh folgende Empfehlungen für alle Pferdehalter auf:

  • Die Kopfposition beim Fressen sollte tief sein und sich während der Futteraufnahme möglichst oft ändern, also z.B. Grasen. Schaffen Sie außerdem den Anreiz zur Weiterbewegung.
  • Das Pferd benötigt eine konstante Raufutterfütterung ohne die Verwendung von hängenden Heunetzen. Wenn eine kontrollierte Raufutteraufnahme durchgeführt werden muss, sollte am Besten aus Raufen gefüttert werden, die mit Netzen überspannt sind.
  • Nur wenig Kraftfutter/Krippenfutter verwenden.
  • Mineralfutter sollte nicht das ganze Jahr über konstant zugefüttert werden (die Natur kennt auch karge Zeiten).
  • Einmal pro Jahr ein Termin beim Pferdedentalpraktiker nach IGFP zur Zahnkontrolle machen!

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