Entgiften – der neue Trend im Stall. Was ist dran?

Muss man überhaupt Entgiften? Dies ist eine der großen Streitfragen zwischen der Medizin und der Alternativheilkunde. Die Medizin geht zu Recht davon aus, dass man einen Körper nicht entgiften muss. Denn im Stoffwechsel sind Mechanismen angelegt, die von ganz alleine dafür sorgen, dass als unerwünscht erkannte Stoffe umgebaut und entsorgt werden. Ohne diese Mechanismen würde kein Lebewesen seine ersten Wochen überleben.

Die Alternativheilkunde hat aber nicht ohne Grund ihre Erfolge, wenn sie „entgiftet“. Denn Überbelastung mit unerwünschten Stoffen oder gestörte Entgiftungsfunktionen können durchaus zu einer erheblichen Belastung für den Körper werden, sodass die natürliche Entgiftungsfunktion nicht mehr ausreichend gegeben ist. Kommt es zur Einlagerung unerwünschter Stoffe, dann können diese langfristig auch zu Stoffwechselkrankheiten führen.

Ein Zuviel an Abfallstoffen belastet

Unsere Pferde sind in unseren Haltungsbedingungen einer Vielzahl von unerwünschten Stoffen der einen oder anderen Art ausgesetzt. Dazu gehören nicht nur Giftpflanzen auf der Weide oder im Heu (wie Jakobskreuzkraut, Herbstzeitlose, Graukresse und viele andere), sondern auch das Nagen an imprägnierten Holzbalken, die Verwendung von Fellpflege-Präparaten (die über die Haut aufgenommen werden können) oder das Füttern von Fertigfuttermitteln, die in den meisten Fällen mit Konservierungsmitteln, Aromen und ähnlichem versetzt sind.

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Ein Wildpferd, das sich ausschließlich sein Frischfutter in der Natur sucht, kommt mit vielen dieser chemischen Stoffe überhaupt nicht in Kontakt. Auch Wurmkuren, Schmerzmittel, Sedierungen und Impfungen kommen in der Natur nicht vor. Jede medikamentöse Behandlung für sich genommen ist für einen gesunden Organismus kein Problem. Erst über die Summe der Noxen kann ein Körper an den Punkt kommen, an dem die täglich aufgenommene Menge an unerwünschten Substanzen seine Fähigkeiten zur Ausscheidung überschreitet. Die Folge ist die Einlagerung von solchen „Abfallstoffen“. Dabei werden wasserlösliche Abfallstoffe vor allem im Bindegewebe eingelagert, fettlösliche im Fettgewebe.

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Einlagerung als Zwischenlösung

Diese Einlagerung dient dem Überleben: Es ist im Lauf der Evolution immer mal wieder vorgekommen, dass Pferde schlechte Zeiten wie Dürre, Überschwemmungen, Schnee etc. überleben mussten. In solchen Zeiten können viele Stoffwechselprozesse, unter anderem auch Entgiftung und Entsorgung von unerwünschten Stoffen, nicht so ablaufen, wie das im gesunden Zustand der Fall ist. Diejenigen Pferde, die in diesen Zeiten auf „Stoffwechselnotprogramme“ umschalten und erstmal ein- oder zwischenlagern konnten, haben überlebt. Sind das Nahrungsangebot und die Lebensbedingungen wieder im Normalbereich, werden die Abfallstoffe ausgelagert und entsorgt.

Diese „Notfallprogramme“ tragen unsere Pferde heute noch in sich. Aus diesem Grund sieht man die Folgen von Stoffwechselüberlastungen auch immer erst um Monate oder Jahre zeitverzögert. Erst wenn alle zur Verfügung stehenden „Notfalllösungen“ erschöpft sind, entsteht die klinisch sichtbare Krankheit.

Kraftfutter kann schon zur Belastung werden

Häufig vergessen wird, dass Pferde auf die Verdauung von Pflanzenfasern optimiert sind. Füttert man kraftfutterbetont, dann wird der Körper zusätzlich mit Zucker, Stärke, Eiweiß und Fett belastet. Da der Stoffwechsel nicht auf die Verwertung großer Mengen dieser Nährstoffe ausgelegt ist, muss er teilweise schon in dieser Situation auf „Notprogramme“ umsteigen, um den Organismus zu stabilisieren.

Die Leber muss überschüssig aufgenommenes Eiweiß abbauen, dabei entsteht Harnstoff, der die Nieren belastet. Der hohe Blutzuckerspiegel muss dringend wieder runter reguliert werden, da ein hoher Blutzucker die Kapillaren im Nieren- und Hufgewebe schädigt und Erkrankungen von subklinischer Niereninsuffizienz bis Hufrehe nach sich ziehen kann. Die Leber muss den Zucker aus dem Blut filtern und in Fett umbauen.

Sind die Fettdepots voll, dann kommt es zu einem unsauberen Abbau und zur Einlagerung von Glucosaminoglycanen im Bindegewebe, was Lympheinlagerungen und „Aufschwemmen“ nach sich ziehen kann. Das Pferd nimmt in beiden Fällen zwar an Gewicht zu, aber nicht gesunde Muskelmasse, sondern Fett oder Lymphe. Sowohl übermäßige Fetteinlagerung als auch Lymphversackungen im Gewebe bedeuten eine erhebliche Zusatzbelastung für den Organismus. Dem Futter zugesetzte Öle werden kaum als Energieträger genutzt. Sind die Fettdepots bereits gefüllt, müssen sie abgebaut und entsorgt werden, was Leber, Darm, Nieren, Haut und Atemwege belastet.

So kann eine gut gemeinte Kraftfutter-Fütterung eine erhebliche Stoffwechselbelastung darstellen und die natürlichen Entgiftungsfunktionen mit der Überladung durch leicht verfügbare, aber nicht benötigte Nährstoff regelrecht „blockieren“.

Pferde stehen sich krank!

Zwei weitere Faktoren rücken immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit, wenn es sich um Stoffwechselerkrankungen dreht und zwar das Thema „Stress“ und der Faktor „Bewegung“. Beide hängen insofern miteinander zusammen, weil durch schnelle Bewegung Stresshormone abgebaut werden können. Sie sorgt aber auch für eine verbesserte Sauerstoffversorgung und Durchblutung und damit Optimierung der Stoffwechselvorgänge. Viel ruhige Bewegung unterstützt den Lymphtransport und wirkt regulierend auf die Darmperistaltik. All diese Faktoren gemeinsam tragen zu einer gesteigerten Stoffwechselleistung bei.

Stress entsteht bei Pferden nicht nur durch Turnierbesuche, sondern häufig schon aus dem Haltungs- und Fütterungsmanagement: Zu große Gruppen, häufige Wechsel, kleine Ausläufe, zu wenige Raufutterfressplätze, ungeliebte Boxennachbarn. Die Liste der möglichen Stressursachen ist lang und fast täglich entdeckt man neue Faktoren, die sich negativ auf das Stressverhalten von Pferden auswirken.

Stress ist zwar in der Natur überlebenswichtig, besteht er aber dauerhaft, schränkt er eine ganze Reihe von Stoffwechselfunktionen erheblich ein. Unter anderem reduziert er die Leistungsfähigkeit der Leber, die essentiell für den Entgiftungsstoffwechsel ist. Langfristig können aus Dauerstress nicht nur Magengeschwüre entstehen, sondern auch viele Stoffwechselkrankheiten bis hin zum Cushing-Syndrom.

Fellwechsel, kritische Zeit für körpereigene Entgiftung

Im Frühling und im Herbst sind die Entgiftungssysteme des Körpers vor allem durch den dann stattfindenden Fellwechsel stark belastet. In dieser Zeit wird der ganze Eiweißstoffwechsel des Pferdes regelrecht einmal auf den Kopf gestellt und es entstehen dabei viele stoffwechseleigene Abfallprodukte, die über die Leber abgebaut und über die Nieren ausgeschieden werden müssen.

Kommen hier noch zusätzliche Belastungen dazu, dann kann es schnell kritisch werden. Wurmkuren, Impfungen und Sedierungen für die Zahnbehandlung sollten in dieser Zeit ebenso sorgfältig überlegt sein wie Stress in jeder Form, z.B. Stallwechsel, Transporte für Turniere oder Kurse. Frühjahr und Herbst sind entsprechend auch die Zeiten, in denen Pferde am meisten davon profitieren, wenn man ihre Entgiftungssysteme in ihrer Funktion unterstützt.

Kann mein Pferd überhaupt richtig entgiften?

Bei einem gesunden Pferd reicht es aus, wenn man in Zeiten zusätzlicher Belastung, also z.B. Fellwechsel, Stallwechsel, Medikamentengaben etc., mit Bitterkräutern die Leberfunktion anregt und mit Entschlackungskräutern die Nierentätigkeit. Der Körper tut das, was er soll: er entgiftet. Dies kann man mit den genannten Kräutern etwas beschleunigen.

Problematisch wird es allerdings, wenn die normalen Entgiftungswege gestört sind. Das kommt zum Beispiel bei Pferden mit der Entgiftungsstörung Kryptopyrrolurie (KPU) vor. Versucht man jetzt, bei einem solchen Pferd die Leber-Entgiftung einfach anzuregen, beispielsweise über Mariendistel-Präparate, so kann man damit regelrecht Vergiftungsschübe bis hin zu Hufrehe und anderen, teilweise lebensbedrohlichen Situationen, auslösen.

Gesundheits-Trend „Entgiftung“ nicht einfach folgen

Bevor man also eine gut gemeinte „Ausleitungskur“ startet, sollte zunächst diagnostisch abgeklärt werden, ob eine Störung, z.B. durch eine KPU vorliegt. In dem Fall muss zuerst die KPU therapiert werden, bevor man mit Entgiftungskuren anfängt. Auch alle anderen Entgiftungs- oder Ausleitungskuren sollten möglichst nur von jemandem zusammengestellt werden, der sich damit auskennt und vorher eine genaue Anamnese des Pferdes durchgeführt hat. Fütterung, Haltungs- und Bewegungsmanagement sollten dabei neben klinischen Symptomen und evtl. diagnostischen Daten immer mit einbezogen werden, da hier in der Regel die Ursachen für eine mangelnde Entgiftungsfähigkeit liegen.