Die Geschichte des Westernsattels

„High Noon Wild West Collectors Show and Auction 2002” in Phoenix/Mesa, Arizona. Die Elite der Sammler und Dealer trifft sich alljährlich bei Sherwood/Kohn’s High Noon-Event. Als die Auktionsnummern 219 bis 221 aufgerufen werden, ist der Saal des Convention Center prall gefüllt. Auf den Fluren drängen sich die Zuspätgekommenen. Sie können nur ahnen, was sich drinnen abspielt. Die Gebote für einen Sattel schnellen in rasendem Tempo in die Höhe. Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei. Die Leute im Saal klatschen enthusiastisch Beifall. Minuten, die Geschichte machen: Der mit Silber, Gold und Rubinen besetzte Show-saddle mit corona, bridle, boots, spurs und chaps geht für rund eine Million Dollar an einen anonymen Bieter, bis heute der höchste Preis, der je für ein Cowboy-Collectible gezahlt wurde. Dieser Sattel mit den Initialen „RR“ gehörte einst Roy Rogers, Amerikas „movie cowboy“-Legende. Der Hollywood-Sheriff und Silberschmied John McCabe hat 1931 dieses Silberprunkstück gebaut, es zählt zu den berühmten „Silver Sensations“ der 1930-1940er Jahre.

Lebensgefühl Cowboy

Diese Episode verdeutlicht am besten, was sich auf dem Markt für „Cowboy Collectibles“ heute abspielt. Seit Jahren boomt dieser Markt. Aus den Nachlässen einst großer Rancher, berühmter Showstars oder namhafter Sammler kommen saddles, bridles, bits, spurs, chaps, boots in die Auktionen, Stücke in bester Museumsqualität. Ein high back saddle aus der Werkstatt von F.A. Meanea mit einem maker stamp „Wyoming WT“ oder ein square skirt half seat saddle mit Sam Stagg rigging von Main and Winchester, San Francisco, aus der Zeit vor 1880 bringen heute in guter Originalkondition bis zu 40.000 Dollar. Silberziselierte Vaquero-spurs oder kalifornische spade bits von G.S. Garcia, A. Larios oder J.M. Tapia aus der Zeit um 1910 können bis zu 25.000 Dollar kosten.

Der Motor dieser Entwicklung ist jene über viele Lebensbereiche wiederentdeckte „cowboy culture“. In der „National Bit, Spur and Saddle Collectors Association“ fanden sich in den siebziger Jahren lediglich einige Sonderlinge zusammen, heute zählt diese Sammlergilde weit über tausend Mitglieder. Sie alle verbindet der „Mythos Cowboy“, dessen Legende in all den Sammlerstücken wie saddles, bits oder spurs weiterlebt. Und kaum ein Sujet symbolisiert diesen Mythos so umfassend wie der Cowboy-Sattel. So lässt sich die Geschichte des amerikanischen Westens auch als die Geschichte des Cowboy-Sattels erzählen.

Die Legende „The West“

Sie beginnt in Texas, eigentlich aber in Mexiko, weil Texas damals noch zu Mexiko gehörte. Bis zur Unabhängigkeit Mexikos von Spanien 1821 war Texas eine spanische Provinz, erst 1836 löste sich Texas aus der mexikanischen Herrschaft, wurde eigenständige Republik, bis es 1848 US-Bundesstaat wurde. Während dieser mehr als 300-jährigen spanisch geprägten Geschichte entwickelte sich in Nordmexiko und Texas eine bescheidene Rinderwirtschaft. Die Spanier lehrten die Mexikaner und Indianer ihre Art der Arbeit mit dem Rind und ihre Art des Reitens. Der spanisch-mexikanische Vaquero ist somit der Ur-Cowboy. Die Legende „The West“ ist immer auch Synonym für „cattle ranching“. Rinderwirtschaft gab es westlich der Rocky Mountains schon seit 1767, als die Franziskanermönche nach Kalifornien kamen. In Texas waren die Anfänge einer Rinderzucht erst um 1820, ab 1850 wurde eine systematische Rinderwirtschaft betrieben, man zählte damals um die 350.000 Rinder.

Der Cowboy nach heutigem Verständnis wurde indes erst um 1867 geboren, als die Transkontinentale Eisenbahn Abilene in Kansas erreichte, und ein Rancher namens Joe McCoy 2.000 Rinder von Texas auf dem Chisholm Trail nach Abilene brachte, um sie von hier Richtung Ostküste zu verladen.

Ganz anders die Geschichte des Vaquero in Kalifornien. Hier hatte sich lange vor der texanischen „beef bonanza“ eine völlig andere „cowboy culture“ entwickelt, weil die West Slope oder auch Pacific Slope über die Jahrhunderte bis etwa 1850 weitgehend isoliert ausschließlich spanischem Einfluss in Rinderwirtschaft und Reitweise unterlag. So beginnt mit diesem Joe McCoy die Geschichte des Alten Westens, des Cowboys und der großen Viehtrecks, aber auch die noch nicht zu Ende geschriebene Geschichte des Westernsattels.

Vom Mexican Santa Fe Saddle …

Alle Entwicklungsstufen des Cowboy-Sattels wurden ausgelöst von dem immerwährenden Anspruch, einen für Pferd und Reiter noch bequemeren Sattel zu haben, was in gleicher Weise auch für den Reitstil gilt. Während die Konquistadoren auf ihren spanischen Kriegssätteln den maurischen Reitstil kurzer Steigbügel bei angewinkelten Beinen (à la jineta) in die neue Welt importierten, gingen die mexikanischen Vaqueros wieder auf den alten spanischen Reitstil langer Bügel bei fast ausgestreckten Beinen (à la brida) zurück, weil das für die harte Rinderarbeit komfortabler, praktischer und sicherer war.

Der Mexican Santa Fe Saddle um 1800 war leicht und wegen der sich zahlreich ereignenden Unfälle zwar einfach zu reparieren, für den Reiter aber völlig unbequem und auf dem Pferderücken instabil, so dass der nächste Schritt in der Entwicklung war, den Sattelbaum zum besseren Schutz des Reiters mit Leder zu überziehen (Mochila) und das single spanish rigging zur besseren Stabilisierung durch das full double rigging zu ersetzen. Der frühe Texas Saddle war geboren. Die Mochila wurde alsbald abgelöst durch die skirts, die jockeys und die fender.

Mit den sich daraus entwickelnden loop- und full seat-Sätteln mit höherer fork, höherem cantle und langen square skirts war der Cowboy zufrieden, bot ihm doch sein wichtigstes Arbeitsgerät endlich die Sicherheit und Bequemlichkeit, die er für den tage- und monatelangen Job auf seinem Pferd so dringend brauchte. Immerhin war der Sattel 12 bis 18 Stunden am Tag sein Arbeitsplatz. Den größten Respekt, der einem Cowboy entgegen gebracht werden konnte, war, wenn man von ihm sagen konnte – er verkaufte niemals seinen Sattel. Es war jene Zeit der open range, als unter Cowboys die Regel galt, ein Mann, der zu Fuß geht, ist kein Mann. Ramon F. Adams schreibt in seinem „The Old-Time Cowhand“: „The old-time cowhand lived in the saddle. He was stricly a ridin‘ man, and detested walkin‘, even for short distance. A self-respectin‘ cowhand would never be caught goin‘ far on foot“.

Dass sich östlich und westlich der Rocky Mountains unterschiedliche Satteltypen entwickelten, ist eine Folge der historischen und kulturellen Prägung der beiden so völlig verschiedenen Mentalitäten dieser Regionen.

… zum Western Stock Saddle

Der heutige Sattel des working cowboy, des Freizeit- und Turnierreiters in seinen vielfältigen Ausprägungen ist das Ergebnis all dieser Entwicklungsstufen. Er hat seine historische Vorlage im legendären „Western Stock Saddle“ aus den Anfängen des vorigen Jahrhunderts.

Bei allen regionalen Besonderheiten galt für den Western Stock Saddle: er war groß, sehr bequem, äußerst robust und strapazierfähig. Er wog um die 40 pounds. Die frühen Sättel hatten noch die schmale slick- oder A-fork, später entwickelte sich daraus die breitere swell-fork, die für den Cowboy sicherer war, wenn das Pferd buckelte, weil er seine Knie dann unter die fork klemmen konnte. Ein hohes cantle wiederum gab dem Cowboy Sicherheit in den Bergen, wo er steil bergauf und bergab reiten musste, andererseits war ein niedriges cantle funktionaler beim Ropen und bequemer beim Auf- und Absteigen.

Spirit of the West

Der Cowboy wie auch der Buckaroo heutiger Tage denkt und lebt in der Tradition des alten Westens, trotz Internet, Handy und Air Condition. Cowboy und Buckaroo haben den „spirit of the West“ trotz aller Unterschiede in Geschichte und Mentalität. Doch seit jeher ist der Sattel ihr Symbol für eben diesen „spirit“.

Charakteristische Satteldetails geben recht genau Auskunft über den Reiter – die Gurtung, ob center fire oder double rigging; die fork, ob slick oder swell; die skirts, ob round oder square; das horn, ob kurz und robust umwickelt oder schlank und hoch; das cantle, ob steil oder flach; die Bügel, ob Tapaderos oder Oxbow; oder die Punzierung – an diesen Details erkennt man, woher der Cowboy kommt oder wo er arbeitet, diesseits oder jenseits der Rockies, im tiefen Süden von Texas oder in den Northern Plains.

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