Der richtige Umgang mit Hengsten

Nic_li_1+sUm 14.00 Uhr im Warendorfer Landgestüt: Gut einhundert gekörte Hengste stehen friedlich nebeneinander in großen, sauberen Boxen. Es herrscht Ruhe, kein Gewieher, kein Gescharre. Ab und zu beschnuppern sich zwei Hengste durch die Gitterstäbe, legen kurz die Ohren an oder schnauben sich freundlich zu. Die Mitarbeiter des Landgestütes NRW in Warendorf holen einzelne Hengste zur Arbeit aus den Boxen. „Zwischen sechs und neun Uhr ist hier schon ein wenig mehr Action“, versichert Peter Borggreve. „In dieser Zeit decken die Hengste. Das wissen sie ganz genau. Sobald unsere Mitarbeiter dann kommen, machen die Hengste auf sich aufmerksam.“

Peter Borggreve arbeitet seit sieben Jahren als Erster Hauptberittmeister im Landgestüt. Er stellt unter anderem Deckhengste auf Turnieren vor – erfolgreich bis zum Grand Prix und ist für die Ausbildung von Pferden und Reitern verantwortlich. Zudem ist er seit Jahren für die choreografische Leitung der Symphonie der Hengste und der traditionellen Hengstparaden zuständig. Der Umgang mit den Pferdemännern ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Seine Meinung: „Jeder, der sich mit Hengsten beschäftigt, muss auch mit ihnen umgehen können. Dazu gehört Pferdeverstand, Wissen, Erfahrung und stets 100%ige Aufmerksamkeit. Ein Hengst ist kein Schoßhund und kein Schmusetier.“

„Zuckerbrot und Peitsche“

Für die Zusammenarbeit mit den tierischen Machos von Warendorf gelten klare Regeln. Peter Borggreve umschreibt sie mit „Zuckerbrot und Peitsche“. Er stellt sofort klar: „Hier wird kein Pferd vermöbelt! Der Hengst soll unser Freund bleiben. Aber er hat sich ganz klar an unsere Regeln zu halten und wird bei Regelverstößen direkt und deutlich zurecht gewiesen.“ Diese Zurechtweisung kann ein lautes „Lass das!“ sein, ein Ruck an der Führkette, aber auch ein Klaps mit der Gerte.
„Zuckerbrot“ meint nicht, dass die Pferde planlos mit Leckerchen voll gestopft werden. Es geht um positive Verstärkung durch zeitnahes, angemessenes Lob. Peter Borggreve: „Kein Hengst ist wie der andere. Es gibt sehr dominante Typen, die die Leitungsfrage permanent diskutieren möchten, aber auch Hengste, die sich recht schnell unterordnen. Lob und Sanktionen müssen an den Charakter des Hengstes angepasst werden.“

Gaby Hans, Reitlehrerin aus Reken, besitzt fünf spanische Hengste und sagt: „Für Hengste gelten die gleichen Regeln, die auch für Wallache und Stuten gelten. Auch ein Hengst ist nur ein Pferd.“ Allerdings müssen diese Regeln bei Hengsten stets konsequent, ausnahmslos eingehalten werden. „Fällt die Frage nach dem „Wer ist hier Chef?“ des Öfteren zu Gunsten des Hengstes aus, dann wird es gefährlich“, weiß die Ausbilderin.

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Wallach nervt, Hengst beißt zu

Das sieht Peter Borggreve genauso. „Kein Pferd sollte an der Jacke seines Besitzers oder an irgendetwas anderem rumnabbeln. Lasse ich das Nabbeln bei einem Wallach zu, so ist das zwar nervig, aber es passiert in der Regel nichts Schlimmes. Ein Hengst beißt aber irgendwann richtig zu. Die Verletzungen sind dann erheblich.“ Also: Jedes Nabbeln sollte sofort unterbunden werden. Dazu muss man den Hengst nicht am Kopf schlagen. Auch Hengste werden dann kopfscheu. Wegschieben, und ein lautes „Lass es!“ reichen in der Regel aus. Ein Hengst hat den Individualbereich des Menschen stets zu respektieren.

Um einen Hengst zu disziplinieren und die notwendige Distanz wieder herzustellen, legt Tierärztin Kirsten Toennies großen Wert auf das Rückwärtsrichten, selbstverständlich auch dies mit Maß und Verstand. Durch Rückwärtsschicken bringen auch Pferde untereinander rangniedrigere Tiere wieder auf Distanz. Dr. Kirsten Toennies, selber Besitzerin eines Friesenhengstes: „Für einen Hengst ist es eine Strafe, wenn er rückwärts weichen muss. Sie verdeutlicht ihm zugleich seine Position als rangniederes Pferd. Alle Hengste sollten lernen, auf kleinste Anweisung hin rückwärts zu weichen.“
Ihrem Hengst machte sie auf diese Art und Weise klar, dass stets der Mensch als erster aus der Box geht und als erster Engpässe passiert. „Solche Vergehen, wie vor dem Menschen aus der Box zu drängeln, darf man einem Hengst auf keinen Fall durchgehen lassen. Ein Hengst merkt sich ein solches Eingeständnis von Schwäche viel schneller als ein Wallach und nutzt diese Schwäche des Menschen für sich aus, indem er seine Führungsabsichten immer mehr durchsetzt“, betont die Tierärztin aus Kelkheim.

Achtung Stuten!

Im Landgestüt in Warendorf werden alle Hengste ausnahmslos nur mit Führkette oder Trense geführt. Peter Borggreve: „Der Mensch braucht Argumente. Er muss dem Hengst jeder Zeit klar und deutlich verständlich machen können, wo die Musik spielt.“
Genau das ist im Umgang mit dem Hengst das Problem. Oftmals spielt die Musik woanders: Da ist die rossige Stute, das kleine Pony, der Schimmelwallach, ein anderer Hengst. „All dies können Auslöser dafür sein, dass ein Hengst meint, er müsse den „Macho“ raushängen lassen“, weiß Gaby Hans. Auf einem Turnier muss der Hengstbesitzer sein Pferd und die Umgebung deshalb stets genau im Auge haben und vorausschauend denken und handeln. Hier ist es wichtig, schon beim kleinsten Anzeichen des Hengstes zu reagieren.

Welche Situationen sind mit einem Hengst besonders brenzlig? Hier rangieren rossige Stuten selbstverständlich an erster Stelle. Hengste wittern rossige Stute bereits aus mehreren Kilometern Entfernung. Vor allem Hengste im Deckeinsatz reagieren sensibel. Und hat ein Hengst erst einmal die Stute im Kopf, dann lässt er sich nur sehr schwer wieder auf etwas anderes konzentrieren. Peter Borggreve achtet deshalb sorgsam bei Turnieren darauf, auf dem Abreiteplatz oder auf dem Weg ins Viereck keinen rossigen Stuten über den Weg zu laufen. „Ansonsten hat mein Hengst andere Interessen als im Viereck Dressurlektionen zu zeigen“, weiß er aus Erfahrung. „Und bis ich ihn überzeugt habe, dass er sich nun für meine Interessen zu interessieren hat, vergeht einige Zeit. Mit bestimmten Hengsten musste ich auch einfach wieder nach Hause fahren. Sie kamen einfach nicht mehr runter“, gesteht er.

Kirsten Toennies weiß, dass nicht nur Stuten Hengste „auf die Palme“ bringen. Der Auslöser, einen Hengst in Rage zu bringen, kann auch ein anderer Hengst, ein Pony, aber auch ein Wallach sein. Die Fachfrau: „Hengste sind an anderen Pferden wesentlich mehr interessiert als Stuten und Wallache. Ein führerloser Wallach läuft wahrscheinlich zum nächsten Grasbüschel, um zu fressen. Ein führerloser Hengst läuft zum nächsten Pferd.“ Das Problem: Hengste stehen mit anderen Pferden viel mehr in einem Konkurrenzverhältnis als Wallache und Stuten. Diese müssen mit ihren Artgenossen lediglich das Futter teilen. Bei Hengsten kommt die entscheidende Frage hinzu: Wer darf die Stuten decken? Diese Frage kann bestimmend werden für das gesamte Verhalten des Hengstes.

Gefahr in der Reithalle

Nun steht nicht jeder Hengst an einem „stutenfreien Stall“. Aus Sicherheitsgründen rät Peter Borggreve dazu, Hengst und Stute nicht gemeinsam in der Reithalle oder auf dem Platz zu reiten. Vor allem dann nicht, wenn einer der Reiter nicht besonders pferdeerfahren ist. „Es mag zwar hunderte von Malen gut gehen, aber wenn einmal der „worst case“ eintritt, dann wird es richtig gefährlich“, warnt der Hauptberittmeister. Der schlimmste Fall ist: Der Reiter fällt vom Hengst und der Hengst bespringt die Stute auf der ein Reiter sitzt. Das ist für Pferd und Mensch hochgradig gefährlich. Peter Borggreve: „Das hat nichts damit zu tun, dass Hengste besonders aggressiv oder bösartig sind. Das ist einfach von der Natur her so vorgesehen.“

Sein Rat: Sofort absteigen, wenn der Hengst sich unkontrolliert bewegt, die Halle verlassen und Hilfe holen, um die Pferde auseinander zu treiben. Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für die Situation, wenn zwei Hengste drohen, aufeinander loszugehen. Ein Hinweis der Tierärztin: Ein Hengst beginnt oft in der Reitbahn bestimmte Plätze durch Äppeln und Urinieren zu markieren. Das sollte direkt im Ansatz unterbunden werden: „Dieses Markieren signalisiert, dass der Hengst sich nicht auf den Menschen konzentriert, sondern mit seinen Konkurrenten beschäftigt ist. Es kann passieren, dass das Markieren der Startschuss für weiteres Aufspulen ist.“

Begegnung mit anderen Hengsten

Viele Hengste machen Stress, sobald sie einem weiteren Hengst begegnen. Gaby Hans hat die Beobachtung gemacht, dass Hengste besonders wählerisch in der Vergabe von Sympathien sind. Unter ihren Hengsten bestehen inzwischen einzelne Freundschaften, zwischen anderen aber auch Abneigung. „Darauf muss man achten und eingehen“, erzählt die Ausbilderin.
In der Natur gibt es immer nur ein Leittier. Nur der Chef einer Gruppe darf die Stute decken. Dieses Privileg möchte verständlicherweise jeder Hengst für sich beanspruchen. Also sind für Hengste andere Hengste erst einmal Konkurrenten. „Deshalb sind Hengstkämpfe heftiger als Rangkämpfe unter Wallachen“, weiß Peter Borggreve. „Hengste beißen sich fest, sie kämpfen bis aufs Blut. Würden bei uns in einer Nacht zwei Hengste aus den Boxen ausbrechen, dann wäre einer der Hengste am nächsten Morgen vermutlich tot.“ Das heißt nicht, dass Hengste in völliger Isolation leben müssen. Je nach Gegebenheit ist es möglich, einen Hengst zusammen mit Wallachen zu halten oder ihn auf einen Paddock neben einer Wallachgruppe oder einen anderen Hengst zu stellen. Dabei ist natürlich an die Einzäunung ein besonders hohes Maß an Sicherheit zu stellen. Nicht allein aus versicherungstechnischen Gründen ist bei Hengsten eine Mindesthöhe von 1,60 Meter und die Verwendung von drei Litzen beziehungsweise die Verwendung von Holz vorgeschrieben. Am stressfreiesten leben Hengste an einem Stall, den sie ausschließlich mit Wallachen teilen müssen.

Bei der Frage, ob schmusen mit einem Hengst gestattet ist oder nicht, erhitzen sich die Gemüter. Die einen lehnen es mit der Begründung „Dann nimmt er dich nicht mehr ernst“ ab, die anderen sehen darin gar kein Problem. Die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte. Auch Hengste brauchen Körperkontakt, um sich wohl zufühlen. In aller Regel haben sie weniger Sozialkontakte zu anderen Pferden als Stuten und Wallache. Deshalb spielt der Mensch eine bedeutendere Rolle. Streicheleinheiten für Hengste sind also völlig in Ordnung, wenn folgende Regeln eingehalten werden:

  • Der Mensch bestimmt über Dauer und Art des Körperkontakts. Das ist das Recht des ranghöheren Tieres.
  • Aufdringlichkeiten von Seiten des Hengstes sind tabu.
  • Die gesamte Situation muss stimmig sein. In der Nähe rossiger Stuten und anderer Hengste ist Vorsicht geboten und man sollte dem Hengst keinen Zweifel daran lassen, dass der Mensch, das Leittier ist.
  • Hengst ist nicht gleich Hengst. Ein dominanter Hengst mitten in der Decksaison kann Streicheleinheiten als Aufforderung verstehen, die Leitungsfrage noch einmal zu stellen. Ruhigere Hengste, die noch nie im Leben gedeckt haben, kommt die Anfrage nach der Führungsposition auch bei ausgiebigen Streicheleinheiten nicht in den Sinn.

Was der Hengstbesitzer können muss

Der Umgang mit Hengsten ist nicht nur abhängig vom Charakter des Tieres. Nach Meinung von Gaby Hans sind besonders ängstliche, aber auch besonders aufbrausende Menschen keine geeigneten Hengstbesitzer: „Bei einem Hengst ist es wichtig, dass man Regelverstöße kurz, prägnant, aber möglichst emotionslos begegnet. Das hat nichts mit heftigen Strafen mit der Gerte zu tun oder stundenlangen erzieherischen Maßnahmen. Zu harte, unangemessene Strafen zerstören das Vertrauensverhältnis zwischen Pferd und Mensch.
Menschen mit wenig Selbstbewusstsein, die mit hängendem Kopf und hängenden Schultern daher schleichen und ein leises „Piepsestimmchen“ haben, machen bei Hengsten keinen überzeugenden Eindruck. Erscheint einem Hengst sein Mensch als inkompetent, die Leitung zu übernehmen, dann wird er selbst bestimmen, wo es lang geht. Und das kann gefährlich werden.

Hengste sind ihrer Natur entsprechend schneller kampfbereit. Das Verhältnis von Muskeln und Fett liegt bei einem Hengst schwerpunktmäßig auf der Muskulatur. Das heißt folglich auch, dass ihm im Vergleich zum Wallach mehr Energie zur Verfügung steht. Gaby Hans: „Das sollte einem Hengstbesitzer bewusst sein und nicht aus der Ruhe bringen. Wer selbst aus dem Häuschen gerät, nur weil sein Hengst anfängt zu tänzeln, potenziert das Verhalten seines Tieres. In solchen Situation muss der Mensch die notwendige Ruhe und das notwendige Know-how besitzen, den Hengst wieder zu beruhigen und auf sich zu konzentrieren.“

Hätten sie’s gewusst? Interessante Infos zum Hengst:

  • Das männliche Pferd wird im Alter zwischen einem und zwei Jahren geschlechtsreif. Mit fünf Jahren hat der Hengst seine volle Reife erlangt, die ab dem fünfzehnten Lebensjahr langsam wieder abnimmt. Dann werden auch sehr dominante Hengste ruhiger und leichter händelbar.
  • Wenn Hengste dauerhaft dem Geruch von Stuten ausgesetzt sind, produzieren sie nicht mehr Spermien, jedoch mehr verdünntes Sekret in den angehängten Geschlechtsdrüsen. Zudem steigt der Testosteronspiegel an. Regelmäßiges Absamen hingegen senkt den Testosteronspiegel.
  • Die Produktion der Spermien und die Menge an Testosteron werden unter anderem über die Tageslichtlänge gesteuert. Im August kann der Hengst die Menge an Testosteron dreimal so hoch sein wie im Dezember.
  • Die Menge des Testosterons lässt aber keine Rückschlüsse auf das Verhalten des Hengstes zu. Schon kleinste Mengen Testosteron können ein stark gesteigertes Aggressionsverhalten hervorrufen.
  • Auch Wallache und Stuten produzieren kleine Mengen an Testosteron, allerdings in der Nebenniere, beziehungsweise in den Eierstöcken.
  • Hengste mit großen Hoden produzieren täglich mehr Spermien als Hengste mit kleinen Hoden.
  • Hengste können masturbieren und tun dies besonders gern nach körperlicher Anstrengung.
  • Hengste die im Turniersport eingesetzt werden haben oft eine bessere Qualität des Ejakulats. Vermutlich stimuliert das Zusammentreffen mit anderen Pferden und die körperliche Anstrengung die Hengste.

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