Blutegel-Therapie bei Pferden: Bei Hufrehe, Arthrose und Gallen

Medicel leeches in water bankFünf Augenpaare, drei Kieferleisten mit 240 spitzen Zähnen und seine Lieblingsspeise ist Blut – Diese Beschreibung klingt stark nach Szenen aus einem Horrorfilm. Dabei ist lediglich die Sprache vom Süßwasseregel „Hirudo medicinalis“. In der Humanmedizin wird der Blutegel seit der Antike eingesetzt. Im 19. Jahrhundert herrschte in Europa ein wahrer Blutegelkult. Kaum eine Krankheit, egal ob Schwindsucht oder Verstopfung, die man nicht mit Hilfe der Blutsauger zu kurieren versuchte. Als unerfreuliche Folge dieser „Mode“ waren die Egel um 1900 in Deutschland fast ausgerottet. Den Ärzten ging der Nachschub aus. Seid den 60er Jahren findet die Egeltherapie wieder Einzug in die Behandlung – nicht nur in der Humanmedizin. Auch in der Tierheilkunde greift man wieder vermehrt auf die „Heilung mit Biss“ zurück.

Das Einsatzgebiet der Blutegeltherapie im Bereich der Pferdeheilkunde ist groß: Arthritis, Arthrose, Ödeme, Bisswunden, Hypertonie, Abszesse, Entzündungen (z.B. Fesselträgerentzündungen oder Sehnenentzündungen), schlecht heilende (Operations-)Wunden, Satteldruck, akute Rehe, Gelenkgallen. Dies ist nur ein Ausschnitt aus dem Einsatzbereich der kleinen Vampire. Es lohnt sich bei den verschiedensten Beschwerden, nachzufragen, ob nicht eine Blutegeltherapie sinnvoll sein könnte. Zahlreiche Pferde-Physiotherapeuten und Naturheilpraktiker arbeiten mit den „Hirudo medicinalis“, aber auch einige Tierärzte.

„Kleiner Aderlass“

Die Praktizierung der Blutegeltherapie ist nicht sonderlich kompliziert. Christoph Waterhues, staatlich anerkannter Physiotherapeut und Diplomosteopath für Pferde aus Südkirchen erläutert: „Wir rasieren die geplante Bissstelle ein wenig, um dem Egel das Ansaugen zu erleichtern. Eventuell ritzen wir die Stelle ein wenig an, so dass ein paar Tropfen Blut erscheinen. Das steigert den Appetit. Hat sich der Egel am Pferd festgesaugt, so ist er ca. 30 Minuten damit beschäftigt, Blut zu saugen. Dabei ist das rythmische Pulsieren deutlich zu beobachten. Nach der Aufnahme dieser Blutmenge lässt er von alleine los und fällt ab.“ Auf keinen Fall sollte man versuchen, den Egel vorher mit Gewalt zu entfernen. Dann besteht das Risiko, das Reste des Egels in der kleinen Wunde verbleiben und so erhöht sich das Entzündungsrisiko. Der Blutegel selbst setzt fast sterile Wunden.

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Nachdem der Egel losgelassen hat, blutet die Wunde nach. „Dieses Nachbluten kann bis zu 12 Stunden dauern“, so Christoph Waterhues. „Deshalb spricht man auch oft von einem kleinen Aderlass. Insgesamt verliert das Pferd aber nur geringe Mengen Blut, nicht mehr als 40 bis 50 ml.“ Das Nachbluten bewirkt zudem auch eine natürliche Wundreinigung.
Der Biss eines Egels ist übrigens nahezu schmerzfrei, weiß der Physiotherapeut und Osteopath aus eigener Erfahrung. „Es tut nicht besonders weh, ist so ähnlich wie ein Pieks mit einer Nadel. Die meisten Pferde bleiben dabei völlig cool. Sie versuchen den Egel so loszuwerden wie eine lästige Fliege.“

Der Speichel macht’s

Direkt nach dem Biss sondert der Egel einen wahren Medizincocktail ab. Über 40 Inhaltsstoffe vermuten Forscher im Speichel der Tiere: Darunter gerinnungshemmende wie Hirudin und Calin, gefäßerweiternde histaminähnliche Substanzen, entkrampfende, entzündungshemmende, wie Hyaluronidase und schmerzlindernde Substanzen. Über die genaue Wirkungsweise der einzelnen Stoffe und ihr Zusammenspiel wird weiter eifrig geforscht. Auf jeden Fall wirkt der Hirudo medicinalis blutgerinnungshemmend, lymphstrombeschleunigend, immunisierend und lokal gefäßerweiternd.

„Von der Wirkung der Blutegel sind wir immer wieder aufs Neue begeistert und überrascht. Vor allem ihre wirklich breit gefächerten Einsatzmöglichkeiten sind Wahnsinn. Wir konnten so schon Arthosepferden, Pferden mit Gelenk- und Sehnenproblemen oder Rückenschwierigkeiten helfen. Blutegel ersetzen in vielen Fällen nicht die Behandlung durch einen Tierarzt, aber sie unterstützen Therapien und verkürzen die Behandlungsdauer“, betont Christoph Waterhues, der auch seinen eigenen Warmblüter Paul wegen einer Gelenksentzündung egelt.

In seiner Praxis bietet er gemeinsam mit seiner Frau Ute auch Seminare zum Thema Blutegel an. Dort gibt das Ehepaar wichtige Informationen über den Hirudo medicinalis weiter und die Zuschauer können eine Blutegeltherapie aus nächster Nähe beobachten. „Natürlich könnte auch ein Laie Blutegel setzen“, meint Christoph Waterhues. „Wir raten aber zur Vorsicht. Man muss natürlich wissen, wo genau man die Egel ansetzen muss. Dazu ist eine genaue Diagnose der Beschwerden unbedingt wichtig. Das darf nicht ungenau sein. Werden Blutegel an wichtige Akupunkturpunkte gesetzt, so verstärkt das die Wirkung der Therapie. Aber diese Punkte muss man halt genau kennen.
Bei bestimmten Pferden ist die Blutegeltherapie tabu. Die Tiere dürfen keine Blutgerinnungsstörungen haben oder blutverdünnende Medikamente bekommen. Außerdem dürfen sie keine Hirudin-Allergie haben oder an Herzinsuffizienz leiden. Für einen Fachmann ist es auch einfacher zu beurteilen, wie oft die Behandlung durchgeführt werden sollte. In vielen Fällen reicht einmaliges egeln, es kann aber auch sein, dass ich die Therapie zwei-, dreimal wiederholen muss.“

Kein Stress für die Egel

Und dann kommt hinzu, dass Egel sehr sensible Tierchen sind. Blutegel bevorzugen eine Wassertempertaur von 15 Grad. Heftige Temperaturschwankungen mögen sie ebenso wenig wie unnötige Wasserbewegungen und sonstige Störungen. „Deshalb fahren wir mit Blutegeln auch nur in Ausnahmefällen zu den Patienten hin. Der Transport ist für den Egel oft so stressig, dass er nicht mehr beißen mag – oder sogar stirbt“, erzählt Ute Waterhues. „Deshalb ist uns lieber, das Pferd kommt mit seinem Besitzer zu uns.“

Auch Gewitter bedeuten für die kleinen Vampire Stress, was ihnen den Appetit verderben kann. „In heißen Sommern mit vielen Wärmegewittern mussten wir schon viele Egeltermine mehrmals verschieben. In dieser Zeit bestelle ich auch keine neuen Egel für uns“, berichtet das Ehepaar Waterhues. Auch auf Gerüche reagiert der Hirudo medicinalis sensibel. Mähnen- oder Fliegenspray auf dem Pferdefell, Salbenrückstände oder Desinfektionsmittel können ihm ebenso die Lust auf herzhaftes Zubeißen nehmen wie Raucherhände oder der Geruch von Seife, Parfüm oder Creme.
Ute Waterhues ist sich außerdem sicher, dass die kleinen Tierchen empfänglich für Stimmungen sind. „Ist das Pferd besonders nervös oder auch der Mensch, der den Egel setzen will, dann beißen die Biester einfach nicht zu. Zum Ansetzen eines Blutegels braucht man Ruhe.“

So müssen auch manche Pferdebesitzer durch ein informatives Gespräch und nette, freundliche Worte erst einmal ein wenig beruhigt werden. „Dann beruhigt sich meist das Pferd, der Therapeut ist auch ruhiger und dann klappt meist alles wie am Schnürchen“, weiß das Therapeutenehepaar aus Erfahrung. Die Pferde lassen die Behandlung in aller Ruhe über sich ergehen. „So richtige Widersetzlichkeiten haben wir in unserer mehrjährigen Praxis noch nicht erlebt“, betont Christoph Waterhues. Sobald der Egel zu Boden fällt, gähnen die meisten Pferde herzhaft und verlassen entspannt den Behandlungsraum. „Ein Kunde hat uns schon gefragt, ob wir sein Pferd nicht vor jedem Transport egeln könnten. Das Pferd ist sonst im Hänger immer total unruhig und nur nach der Blutegeltherapie steht es wie eine Eins“, lacht er.

Info: 

Der medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis) gehört zur Familie der Ringelwürmer, ist also mit dem Regenwurm eng verwandt. Das Wort „Egel“ leitet sich nicht etwa vom Wort „Ekel“ ab, sondern von „echis“, was auf griechisch „kleine Schlange“ bedeutet. Sie werden etwa 12-15 cm lang und sind 1-2 cm breit. Vollgesogen sind Egel etwa fünfmal so dick wie leer. Dann erkennt man ihre schlangenartige Zeichnung auf dem dunkelolivgrünen Rücken sehr deutlich. Die Bauchfläche der Blutegel ist grüngelb. Als Nahrung dient ihnen ausschließlich Blut. Die Aufnahme von Blut eines Warmblüters steigert ihre Fortpflanzungsfähigkeit. Blutegel kommen bis zu 24 Monate ohne Nahrung aus.

Medizinische Blutegel werden in Deutschland auf speziellen Zuchtfarmen selbst erzeugt und von dort per Express verschickt. Einige Blutegel werden auch aus der Türkei importiert, da die Kapazitäten der hiesigen Zucht nicht ausreichen. Medizinische Blutegel dürfen aus hygienischen Gründen nur einmal beißen. Danach werden sie entweder in Spiritus abgetötet, oder sie werden zurück zur Zuchtfarm geschickt. Dort können sie für die geringe Summe von einem Euro ihren Lebensabend – ein Blutegel kann bis zu 30 Jahre alt werden – im „Rentnerteich“ verbringen. In heimische Gewässer darf man sie auf keinen Fall setzen. Ihr Überleben wäre dort zum einen mehr als ungewiss und außerdem würde fremdes Genmaterial in die heimische Natur gelangen. Und das ist per Gesetz verboten.

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