Pippi Langstrumpf und Sissy hatten eines gemeinsam: Ihre Vorliebe für Pferde mit Tupfern im Fell. Doch während Inger Nilsson im Kinderfilm auf einem normalen Schimmel mit aufgemalten Punkten ritt, besaß Kaiserin Elisabeth mehrere erstklassige Lipizzanerhengste im Tigerkleid. Damals waren die bunten Pferde so begehrt, dass es niemand eingefallen wäre, die Farbe aus Spaniern und Lipizzanern hinauszuzüchten, wie es später geschah. Die barocken Fürsten spannten Tigerpferde vor ihre goldenen Kutschen und ließen sich damit zur Krönung fahren. Wenig später kamen die Fleck-Viecher nach Amerika. Auch die Indianer bevorzugten sofort die bunten Pferde der spanischen Eroberer. Der Stamm der Nez Perce züchtete ganz gezielt Tigerschecken, die später unter dem Namen Appaloosas bekannt wurden.
Doch zu allen Zeiten wurde das Außergewöhnliche nicht nur verehrt, sondern auch verteufelt. Ende des 18. Jahrhunderts waren europäische Gestütsleiter der Ansicht, Tigerschecken seien von der Zucht auszuschließen, weil sie keinen Schopf, keine Mähne und keinen Schweif hätten. Außerdem seien sie faul und wenig dauerhaft. Dasselbe geschah in Amerika: Nach der Vertreibung der Indianer aus ihren Gebieten, gab der bekannte Indianerhasser Oberst George Wright seinen Kavalleristen den Befehl, jedes Pferd mit Appaloosa-Fleckung sei nicht zu fangen, sondern sofort zu erschießen.
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Few spots sind nachtblind
Bis heute hat sich die Stimmung auf beiden Seiten nicht geändert. Helen Stettler züchtet im Zürcher Oberland British Spotted Ponies und sagt: „Ich gebe zu, dass man besonders bei den stark gekröteten Tigern schon ein Fan sein muss.“ Die Ponys von der Insel sind auf dem Festland kaum bekannt. Weltweit gibt es nur 800 Stück davon. In Stettlers Stall stehen zurzeit sieben. Darunter auch ein ganz besonderer Tigerschecke: Spotty „Rose“ ist ein so genannter few spot leopard, ein elfenbeinfarbenes Pferd, das die Gene für die Tigerscheckzeichnung doppelt trägt. Rose hat am Körper genau sieben schwarze Punkte und gibt das Tigerscheck-Gen – stastistisch gesehen – hundertprozentig an ihre Nachkommen weiter. Für die kleine Zucht von Helen Stettler ist Rose damit ein absoluter Glücksfall. Jedoch nicht ohne Wermutstropfen. „Few spots sind nachtblind“, weiß die Züchterin. „Ein genetischer Defekt kann das auslösen. Deshalb muss man sich schon gut überlegen, ob man zwei Tiger miteinander kreuzt. Für die Zucht ist ein few spot natürlich gut. Gefährlich kann es allerdings werden, wenn so ein Pferd rangniedrig ist und nachts auf steilen Weiden stehen muss oder zu Nervosität neigt “
Rose kommt mit ihrem Handicap erstaunlich gut zurecht. Wie übrigens die meisten Weißgeborenen. Eine Studie aus den USA stellte bei 10 Appaloosa-Lp-Doppelgenträgern (few spots) die Nachtblindheit CSNB (Congenital Stationary Night Blindness) fest. Die Besitzer der Pferde hatten das leicht herabgesetzte Dämmerungs-Sehvermögen oft nicht bemerkt. Das Problem betrifft offenbar nicht nur Appaloosas und British Spotted Ponys, sondern auch alle anderen Tigerscheck-Rassen.
Glücksspiel Tigerzucht
Gezielt Tiger zu züchten ist schwierig, egal in welcher Rasse. Die irischen Zigeuner zum Beispiel gaben diesen Versuch auf und züchteten statt dessen Schecken – die beliebten Tinker. Bevor Dänemark den Knabstrupper ins Leben rief, taten sich europäische Züchter vor allem durch ein genetisches Farbenchaos hervor. Ein Fehler, die sie damals machten, war, Schimmel einzukreuzen – laut Helen Stettler eine absolute Sünde. „Wenn sich das Schimmelgen vererbt, verblassen die schönsten Flecken!“, sagt sie. „Man darf auch keine Schecken einkreuzen. Das kann lustige, aber schräge Ergebnisse geben.“
Bettina Bauer aus dem bayerischen Gangkofen züchtet seit 25 Jahren Shetlandponys. Zwei Ihrer gekörten Hengste und sieben Zuchtstuten sind Tigerschecken. Dennoch kann Bauer auch nach Jahren keine klaren Muster in der Vererbung erkennen. „Es ist wahrscheinlicher, dass die Tigerscheckung wieder auftritt, wenn man Pferde mit Tigerscheck-Vorfahren über mehrere Generationen miteinander verpaart “, sagt sie, „aber eine hundertprozentige Systematik in der Vererbung haben wir bisher nicht feststellen können. Das macht die Tigerschecken-Zucht auch so spannend. Man weiß nie, wie die Fohlen im nächsten Jahr aussehen. Auch von angeblich für die Tigerscheckung reinerbigen Few-Spots hatten wir schon einfarbige Fohlen.“
Als „Glücksspiel“ bezeichnet auch Zoologe Dr. Harald Schwammer die Zucht mit den Punkten. Er ist stellvertretender Leiter des Tiergartens Schönbrunn und Betreuer des dortigen Noriker-Zuchtprojekts. Mit insgesamt 20 Zuchttieren sollen hier gezielt Tiger und Plattenschecken erhalten werden. „Wir versuchen, etwas über die Farbvererbung herauszufinden, müssen aber gleichzeitig darauf achten, Inzucht und reine Schönheits-Farbzucht zu vermeiden“, erklärt Schwammer. Um die Fruchtbarkeit der Hengste zu erhalten, werden sie regelmäßig von den Zoowärtern geritten und gefahren. Schwammer: „Noriker brauchen einfach ihr tägliches Bodybuilding.“
Zu auffällig zum Überleben
Ohne das Zutun der Menschen gebe es übrigens keinen einzigen Tigerschecken. In der freien Wildbahn setzte sich diese Farbe nie durch, weil sie zu auffällig war. Erst als der Mensch die Pferde domestizierte, traten zufällig Muster auf – und konnten überleben.
Manchmal gibt es solche Mutationen noch heute in Rassen, die seit Jahrhunderten tiger-frei sind. Andrea Maiß-Meinzinger aus Bach in Bayern besitzt einen seit fünf Generationen reinrassig gezogenen Bayern-Wallach namens Nathan. Bis zu seinem siebten Lebensjahr wechselte er mit jedem Fellwechsel seine Farbe. „Er bekam immer mehr Schneeflocken in sein braunes Fell“, erinnert sich die 39-Jährige. „Mal waren es dicke Flecken, mal kleine Flocken, manchmal nur auf der Kruppe, manchmal am Bauch oder am ganzen Körper. Die Leute fragten mich, ob ich einen Appaloosa habe. Und er sah jedes Jahr anders aus.“
Heute ist Nathan 14 Jahre alt und hat nur noch vier kleine weiße Stellen. Maiß-Meinzinger weiß mittlerweile, dass es sich bei Nathans Farbenspiel um einen Gendefekt handelt, also eine klassische Mutation. Unglücklich ist sie darüber nicht. „Wir sind früher manchmal Springturniere mit ihm gegangen. Er war ein echter Hingucker. Leider ist das manchmal gar nicht so gut, wenn die Richter ein Pferd so extrem genau anschauen…“
10 Fakten über Tigerschecken
- Das dünne Langhaar ist nicht an die Tigerfarbe gekoppelt, sondern rasseabhängig.
- Der Tigerschecke kann im Entwicklungsstadium seine Fellfarbe und sein Fellmuster drastisch verändern. Er kann aber auch mit bleibendem Haarkleid geboren werden.
- Das spanische Wort „el tigre“ bezeichnete schon vor Jahrhunderten gefleckte spanische Pferde und österreichische Noriker. Das Amerikanische Tiger Horse Registry behauptet stattdessen, Tiger hießen so, weil man mit ihrer Hilfe Tiger in Asiens Steppe gejagt hätte.
- Als es noch keine Motorisierung auf den Straßen gab, spannten vielfach Geschäftsleute die getupften Pferde vor ihren Karren, denn die Auffälligkeit dieser Pferde hatte eine gute Reklamewirkung.
- Der indische Premierminister Nehru ritt 1947 auf einem Tigerschecken zu seinem Amtsantritt.
- Alle Tigerschecken haben längsgestreifte Hufe, Menschenaugen und teilpigmentierte Haut, vor allem sichtbar am „Krötenmaul“, an den Genitalien und im Inneren der Ohren.
- Jeder, der einen Tigerschecken hat – auch ohne Papiere – kann ihn für 20 Dollar bei der International Spotted Horse Association (ISHA) eintragen lassen.
- Die wichtigsten Tigerscheckrassen sind: Appaloosa, Ara-Appaloosa, British Spotted Horse, Colorado Ranger Horse, Knabstrupper, Noriker, Pony of the Americas, Deutsches Part-Bred-Shetlandpony, Tiger Horse, Walkaloosa.
- Bei der FN sind 131 Pferde und 2 Esel auf den Namen „Kleiner Onkel“ eingetragen. Die beiden Esel haben nicht einen weißen Fleck. Sie sind braun und grau.
Diese Tiger-Farben gibt es:
Volltiger (Leopard) | Dunkle Flecken auf weißem oder sehr hellem Grund. |
Schneeflocken-Tiger | Weiße Flecken auf dunklem Grund. |
Schabracken-Tiger (Blanket) | Weiße „Decke“ über der Kruppe, mit oder ohne Flecken. Die Decke kann über den ganzen Rücken und die Schultern reichen. |
Marmor-Tiger (varnish roan) | Stichelhaarig (roan), dunkel über knochigen Partien (Jochbein, Röhren, Hüftknochen). |
Few Spot | „Weissgeboren“. Vereinzelte kleine dunkle Flecken auf crèmefarbenen Grund, sehr dunkle Augen, weiße Hufe. |