Respektlosigkeit in der Reithalle: Wie streng darf ein Reitlehrer sein?

Was sie eigentlich falsch gemacht hatte, kann Waltraud Weingarten nicht mehr sagen. Aber sie weiß noch genau, wie plötzlich ein schwerer Schlüsselbund angeflogen kam. Er verfehlte ihren Kopf und das Hinterteil ihres Pferdes um gut einen Meter und knallte gegen die Bande. Der Reitlehrer, der ihn geworfen hatte, stand mit hochrotem Gesicht in der Bahn und schrie aus Leibeskräften.

Heute ist Waltraud Weingarten bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) zuständig für die Amateur-Ausbildung. Was ein angehender Trainer C dort beigebracht bekommt, hat nicht mehr viel mit dem zu tun, was ihr damals geschah. „Dieses Kernige, was früher gang und gäbe war, verschwindet“, sagt Weingarten. „Selbst unter den älteren Ausbildern hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass der Lernende von heute anders geworden ist.“

Zum Beispiel Frithjof Rompf. Der Freizeitreiter aus Dautphetal besitzt ein ganzes Regal voller Pferdebücher, nimmt regelmäßig Unterricht und legt dabei viel Wert auf einen hohen Lerneffekt. „Ein Reitlehrer, der mit Dingen nach mir wirft, ist eine pädagogische Null und hätte mir zum letzten Mal eine Stunde gegeben“, sagt der Forstingenieur. „Ich bezahle ihn schließlich gut für den Unterricht. Da will ich auch respektvoll behandelt werden!“
Allerdings, räumt der 42-Jährige ein, sei in gewissen Momenten ein fordernder und lauter Tonfall durchaus angebracht. Zum Beispiel dann, wenn eine Übung vollkommen zu misslingen droht und er selbst nicht die richtige Reaktion im richtigen Moment bringt.

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Eine gewisse Härte ist angemessen

Der Pferdewirtschaftsmeister, Co-Autor der FN-Richtlinien und Träger des Goldenen Reitabzeichens, Michael Putz, bildet seit Jahrzehnten Reiter, Ausbilder und Richter aus. Vor seinem reiterlichen Werdegang studierte er Lehramt an Grund- und Hauptschulen. „Ein Reitlehrer braucht immer eine positive Attitüde gegenüber seinen Schülern. Aber ohne eine gewisse Härte im richtigen Moment funktioniert nichts“, sagt der Pädagoge und Ausbilder.

Dabei unterscheidet er grundlegend zwischen den verschiedenen Schüler-Typen und deren Ambitionen. Junge, ehrgeizige Schüler fasst er auch mal „energisch, konsequent, fast impertinent“ an. Andere möchten bloß nichts falsch machen und müssen animiert werden, selbstbewusst und mit einer gewissen Fehlerbereitschaft aufs Pferd einzuwirken. Wieder andere wollen lediglich „hören, wie schön ihre Reithose sitzt“. Von solchen Schülern verabschiedet sich Michael Putz meist bald. Ein guter Reitlehrer, sagt er, brauche viel Feingefühl, um zu erkennen, welcher Führungsstil bei einem Kunden angesagt ist. Besonders schwierig sei das auf Kursen, wo man nur wenig Zeit hat, um die Teilnehmer richtig einzuschätzen.

„Dem alten Reitmeister Otto Lörke hat man nachgesagt, dass er während des Unterrichts seine Melone mit Dreck füllte und damit nach den Reitern geworfen hätte“, erzählt Putz. Heutzutage seien Reitlehrer aber vor allem Dienstleister. Deshalb müssen sie sich entsprechend auf ihre Kunden einstellen und nicht der Kunde auf sie. Zu einer Dienstleistung gehöre auch, jedem Reitschüler die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. „Schlimm“, findet es Putz, wenn Kollegen sich um „normale Kundschaft“ nicht seriös kümmern. Er empfindet es als Missachtung des Kunden, wenn ein Ausbilder während des Reitunterrichts Gespräche über den Zaun oder übers Handy führt.

Unterscheidung zwischen Schülern und Kunden

Ralph Edmond Knittel, Pferdewirtschaftmeister aus Hameln, unterscheidet im Umgang mit Reitern grundsätzlich zwischen Schülern und Kunden. Wer auf einem Pferd sitzt, ist ein Schüler. Wer absteigt, ist ein Kunde. Während er mit Kunden im Reiterstübchen schäkert und Witze macht, lernen ihn Schüler in der Halle von der strengen Seite kennen. „Es gibt Momente, in denen ich schreie: ‚Jetzt! Mach, verdammt noch mal!’“, gibt Knittel zu. Nämlich genau dann, wenn es wichtig ist, aus einer Situation heraus schnell zu reagieren, weil sonst die Ausbildung oder Gesundheit des Pferdes Schaden nehmen würde. Es gab bereits Schüler, die lieber Kunden geblieben wären – und den Reitlehrer wechselten. Aber Knittel sagt: „Ich bin lieber ein kompetentes Arschloch als ein inkompetenter netter Kerl.“

Doch auch in Knittels Fall erleben manche Reiter den strengen Ausbilder ganz anders. Während erfolgsorientierte Turnierreiter das volle Autoritäts-Programm geboten bekommen, erfahren ängstliche Schüler mehr Gnade. „Es gibt Leute, die muss man eher auf dem Pferd therapieren, als ihnen Reiten beizubringen. Denen zeige ich ein paar Dinge und sage ihnen, dass sie es toll gemacht haben.“

Sabine Wiencirz reitet auf ihrem Schimmelwallach Dreamboy Dressur bis Klasse L und hat sich bereits von einem Reitlehrer getrennt, der nicht in der Lage war, seinen groben Stil zu ändern. Zweimal fasste er ihr in vollem Galopp in den Zügel und riss daran – einmal um das Pferd zu stellen und einmal, um es nach einem Sprung in die enge Kurve zu quälen. „Wenn dann auch noch Pauschalurteile und Geschrei dazukommen, drehen mein Pferd und ich durch“, sagt die Produkt- und Projektmanagerin. Mit konstruktivem Feedback und kritischen Bemerkungen kann sie hingegen gut umgehen – vorausgesetzt, die Kritik ist nachvollziehbar und umsetzbar.

Unterrichtserteilung in der Amateurausbildung

Genau das ist auch, was Amateurtrainer heutzutage während ihrer Ausbildung bei der FN eingebläut bekommen. „Auf dem Fach Unterrichtserteilung liegt seit einigen Jahren ein wichtiger Fokus“, sagt Waltraud Weingarten. „Hier lernen sie zum Beispiel die verschiedenen Führungsstile und wann man sie einsetzt.“ So sollen Anfänger schon allein wegen der Unfallverhütung deutlicher geführt werden. Später können dann Reitlehrer und Schüler Dinge gemeinsam entwickeln (demokratischer Führungsstil). Die zukünftigen Trainer lernen auch, Lektionen in Teilabschnitte zu zerlegen und Anforderungen nie zu hoch anzusetzen, um die Schüler zu motivieren. „Es ist wichtig, positive Dinge zu benennen, aber auch die negativen anzusagen“, weiß Waltraud Weingarten. „Und bei einem Misserfolg nicht gleich verbal draufzuhauen.“

Falls das im Eifer des Gefechts doch einmal passiert, müsse der Reitlehrer nach der Stunde mit dem Schüler das Gespräch suchen und ihm erklären, wie es zu dem Ausfall kam. Michael Putz findet: „Wenn das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler grundsätzlich in Ordnung ist, ist es auch okay, wenn mal etwas durch die Luft fliegt. Viel schlimmer ist, wenn ein Reitlehrer ironisch wird und durchschimmern lässt: ‚Bei dir ist Hopfen und Malz verloren.“

Wann man den Reitlehrer wechseln sollte

Die Springreiterin Melanie Hahn zum Beispiel hörte von einem Reitlehrer ständig Sätze wie „Wenn ich bei dir einen Sprung höher mache, machst du eh alles falsch.“ Ein anderer schrie und brachte sie dabei sogar zum Weinen. „In solchen Fällen resigniert man ein bisschen“, sagt Hahn. Denn im Grunde empfindet sie das Reiten als „sehr disziplinierten Sport“ und kann mit einer gewissen Nachdrücklichkeit durchaus leben.

Waltraud Weingarten findet: Wenn ein Reitlehrer eine absolute Überforderung produziert, wenn er einen unkoordinierten Schüler mit hochrotem Gesicht immer noch unter Druck setzt, wenn nichts mehr klappt oder Angst im Spiel ist, muss Schluss sein. In so einem Fall sucht man sich besser einen anderen Ausbilder. „Heute ist es ja zum Glück meist so, dass im selben Stall jeder seinen eigenen Reitlehrer haben kann“, sagt die FN-Mitarbeiterin. Und wenn der Ausbilder partout nichts über individuelle Führungsstile lernen will, dann lernt der Schüler eben etwas über Trainerwechsel.

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