Das Hessenpferd

Als Dreijährige wurde sie zunächst in Halbblutrennen gestartet, bis ihre Besitzer sie 1950 dem gerade wieder gegründeten Deutschen Olympiade Komitee für Reiterei (DOKR) zur Verfügung stellten. Sie wurde daraufhin von Hans-Günther Winkler trainiert. Sie errang in zwölf Turnierjahren 125 Goldene Siegesschleifen, drei Goldmedaillen, zwei Weltmeistertitel und gewann acht Nationenpreise sowie die Deutsche Meisterschaft, das Deutsche Springderby und die Großen Preise von Aachen und Rom. Nach beendeter Turnierlaufbahn kehrte Halla auf den Hof Vierling zurück und brachte dort noch acht Fohlen zur Welt. Im Alter von 34 Jahren starb sie in derselben Box, in der sie 1945 das Licht der Welt erblickt hatte.

Wechselnde Geschichte

Doch die Geschichte des Pferdes in Hessen ist ebenso wechselhaft wie die Geschichte des Landes selbst. Über Jahrhunderte in Fürstentümer und Provinzen zersplittert und Schauplatz zahlreicher Kriege und Scharmützel, war auch die Pferdezucht regional aufgeteilt und uneinheitlich. Immer wieder wurden Pferde von großer Qualität gezüchtet, deren Rassen auf Grund widriger Umstände nicht bis heute erhalten blieben.

1877 formulierte der neugegründete „Landespferdezuchtverein“ zwei Zuchtziele: ein Wagenschlag im Typ des schweren Wirtschaftswarmbluts auf Oldenburger Basis und ein Arbeitsschlag aus Kaltblütern auf Basis von Belgiern. Die Remontezucht für die Kavallerie wurde damals aufgegeben.

In den folgenden Jahrzehnten gelang es vor allem im Bereich des Kaltbluts ein knapp mittelrahmiges, abgedrehtes, leichtfuttriges Pferd mit einmaliger wirtschaftlicher Typprägung zu züchten, das auch überregional große Anerkennung fand.

Die zahlenmäßig kleinere Warmblutzucht erfolgte nach wie vor auf der Basis des schweren Wirtschaftswarmbluts hauptsächlich mit Oldenburger und zum geringen Teil auch ostfriesischer Blutführung. Mit der Entwicklung des Pferdesports ab 1929 wurde deutlich, dass diese Pferde zwar hervorragende Passergespanne für den Fahrsport lieferten aber als Reitpferde, vor allem in Springprüfungen, nicht konkurrenzfähig waren.

Tiefpunkt und Aufschwung der Zucht

So begannen die meisten hessischen Kreispferdezuchtverbände ihre Zucht auf hannoversche Reitpferde umzustellen, während wenige noch am Oldenburger in seiner edleren Form festhielten. Mit der fortschreitenden Motorisierung der Landwirtschaft in den fünfziger Jahren verloren sowohl das Kaltblut als auch das schwere Wirtschaftswarmblut ihre Bedeutung. Leider erkannte Gustav Rau, der nach Kriegsende die Leitung des Landgestüts Dillenburg übernommen hatte, die Zeichen der Zeit nicht und hielt, wie auch sein Nachfolger, am schweren Wirtschaftswarmblut auf Oldenburger Grundlage fest.

So verfügte das Landgestüt 1960 über einen typmäßig sehr einheitlichen Stand von 76 Hengsten davon 55 Original Oldenburger oder Ostfriesen sowie 19 in Hessen auf dieser Basis nachgezogenen Beschälern. Der Tiefpunkt der hessischen Pferdezucht war 1962 erreicht. In diesem Jahr übernahm Armin Holzrichter die Leitung des Landgestüts Dillenburg. Er begann, vertrauend auf das Können der heimischen Züchter, eine Verdrängungskreuzung mit ausgesprochen im Reittyp stehenden Veredlerhengsten, vorwiegend auf hannoverscher Grundlage.

In kurzer Zeit wurden große züchterische Erfolge erzielt. Auf den Elitestutenschauen präsentierten sich die modernen Hessenpferde eindrucksvoll und wurden entsprechend positiv von den Zuchtleitern anderer Zuchtgebiete kommentiert. 1972 wurde der Verband hessischer Pferdezüchter gegründet, der nach gut 400 Jahren getrennt verlaufener Wege, nun wieder ein einheitliches Zuchtziel vertrat. Die eingetragenen Zuchtpferde und Fohlen erhielten als Verbandsbrand das „H im Hufeisen“.

Advokat: ein Ausnahmehengst

Einer der ersten Landbeschäler aus hessischer Zucht, der dem neuen Zuchtziel voll entsprach war der 1975 geborene Hengst Advokat. Der großrahmige Hengst von 171 cm Stockmaß verfügte über eine lange, gut gelagerte Schulter, eine bestens ausgeformte Kruppe und ein trockenes Fundament. Diese Voraussetzungen verliehen ihm sowohl spektakuläre Trabbewegungen – auf vielen Schauveranstaltungen glänzte er als Aktionstraber – als auch ein gutes Springvermögen. Seine Nachkommen erbten die leichtfüßigen Bewegungen und waren auf Grund ihres guten Charakters beliebte Reitpferde.

Seit 1977 galt auch in Hessen das Zuchtziel des „Deutschen Reitpferds“: Ein im Exterieur edel, großrahmig und korrekt gebautes Pferd, das über ein raumgreifendes, elastisches und schwungvolles Gangwerk verfügt. In 2005 schlossen sich die Pferdezuchtverbände Hessen und Hannover zusammen. Damit endete die Eigenständigkeit der Hessischen Reitpferdezucht.

 

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