Ein steigendes Pferd in einer Pesade (hohes ausbalanciertes Steigen über den Rücken) oder in einer Levade (gesetztes Steigen aus der Hinterhand getragen) begeistern das Publikum in vielen Veranstaltungen von Richard Hinrichs, seinerzeit Nuno Oliveira aus Portugal und weiteren Vertretern der klassischen Reitkunst, die heute noch ihr Wissen an Reitbegeisterte weitergeben. Doch dort wo das Wissen aufhört, beginnt die Gewalt. Ein unkontrolliert steigendes Pferd wirkt von unten riesig und aggressiv. Nur wenn der Reiter auf seinem Rücken die Situation jederzeit steuern kann, gewinnt er an Souveränität und wird als tapfer bezeichnet. Kaiser und Könige ließen sich nicht ohne Grund als Zeichen ihrer Macht auf steigenden Pferden als Reiterstandbild, auf Gemälden oder Wandteppichen abbilden.
So mancher Pferdeeigentümer wertet sich damit auf, dass er auf seinem Pferd mit erhobenen Vorderbeinen in unterschiedlichen Momentaufnahmen abgelichtet wird. Der Ruhm ist ihm gewiss und das zugehörige Prestige ebenfalls. Ob das Pferd im Detail wirklich korrekt gearbeitet wurde, erkennt oft nur der Fachmann. Der Unterschied zwischen Reitkunst und Show ist jedoch gravierend und wird live in allen Facetten und Grobheiten deutlich.
Der Unterschied
Wer im täglichen Alltag den feinen Kontrast auf einer Koppel erleben möchte, braucht nur ein gutes Auge. Ein belaubter Obstbaum und ein hungriges Shetlandpony reichen als Basis fürs lebensfrohe Steigen aus. Das begierige Pony findet einen einzigen, funktionierenden Weg, die grünen Blätter einzuverleiben und der heißt: Auf die Hinterbeine! Das Ziel wäre für den kleinen Fresssack sicherlich eine gesetzte Levade, die es ermöglicht, einige Sekunden auf den Hinterbeinen zu verweilen, um gezielt jedes einzelne Blättchen zu erwischen. Das Ergebnis ist allerdings lediglich ein unkontrolliertes Steigen um fehlendes Gleichgewicht – die Schwerkraft ist jedesmal stärker als der Wille des Ponys. Der energische Wallach kann sich gerade mal so lange auf den Hinterbeinen halten, bis er das Ende eines jeden Blattes abzupfen konnte – dann landen die Vorderbeine wieder auf dem weichen Grasboden.
Ein gelehriges und ausdauerndes Dressurpferd täte sich hier viel leichter, weil seine Muskulatur über lange Monate die nötige Kraft erworben hat. Ob unter dem Reiter oder an der Hand ist hier zweitrangig. Was einzig und alleine zählt, ist das Muskeltraining und die Festigung der Sehnen und Bänder. Eine Levade ist das Resultat von feinfühliger Dressurarbeit, Steigen resultiert dagegen aus einer Art von Provokation, die das Pferd gegen den Menschen aufbringt. Hier ist nicht die Nahrungsbeschaffung das Ende einer langen Kette, sondern Kampf und Auflehnung. Sehr leicht kann ein Ausbilder einen Hengst zum unkontrollierten Steigen bringen und ernste Auseinandersetzungen heraufbeschwören.
Bereits Fohlen steigen gegeneinander und demonstrieren ihren Mut, allerdings spielerisch und natürlich im Rahmen des Heranwachsens. Das Steigen auf Kommando lernt ein Hengst viel leichter als ein Wallach – die Hormone erleichtern diese Übung. Einer Stute diese Verhaltensweise anzutrainieren, erfordert weitaus mehr Geduld. Nur ein Fachmann sollte sich an diese Lernaufgabe wagen. Ein temperamentvolles Pferd reagiert unter Druck immer gleich: Erregung und Nervosität führen sehr leicht zum „In die Luft gehen“ – eine schulmäßige Lektion ist hiervon so weit entfernt wie die Erde vom Mond! Solche Pferdetypen steigen aber auch gerne einmal, wenn es dem Besitzer nicht wirklich in den Kram passt z.B. in einer Gruppe, wenn sie hinten traben sollen oder wenn die Rosse dem Übermut die Krone aufsetzt. Der situationsbedingte Protest oder die Verweigerung einer übertriebenen Wiederholung während einer neuen Übung auf dem Reitplatz können ebenso das Erheben der Vorderbeine provozieren. Viele Reiter haben das erlebt, wenn das Pferd das Rückwärtsrichten nicht wirklich absolvieren möchte. Verständigungsprobleme treten hier schnell auf, wenn das Pferd nicht wirklich weiß, was es tun soll. Es reißt seinen Kopf hoch und will sich dem Einfluss des Gebisses und der Hilfen entziehen. Der Druck steigt und das Pferd geht in die Luft – ein Lerneffekt in die falsche Richtung. Reagiert der Reiter jetzt auch noch durch ein gezieltes Loben, hat das Pferd viel zu schnell gelernt, wie es einen Ausweg aus ungewollten Momenten finden kann.
Wie reagiert der Profi?
Fachleute mit der feinen Hand fürs Tier und dem Gespür für den jeweiligen Charakter reagieren ganz anders. Profis am langen Zügel oder am meistens durchhängenden im Sattel brauchen ihre Pferde nicht durch Stress zu treiben. Das Erheben der Vorderbeine wird von jeder Aggression getrennt und separat zielgerichtet ausgebildet. Mittels Hilfslongen und einigen Helfern und ganz viel Geduld erlernt das Pferd, das ihm nicht passieren kann. Durch das Anheben der Beine wird es zum Steigen motiviert und belohnt.
Während dieser Übung gibt es keinerlei Druck auf die Kinnlade oder den Nasenbereich. Selbstverständlich geht dieser Praxis eine lange Vorausbildung voraus, die das Pferd muskulär erst in die Lage versetzt, angstfrei agieren zu können. Es wird dabei gekräftigt und bewusst an allen wichtigen Körperteilen gymnastiziert. In der vollendeten Levade erhebt sich das Pferd mit stark gebeugten Hanken. Voraussetzung hierfür ist eine lang andauernde und seriöse Ausbildung. Genau aus diesem Grunde sind korrekt gezeigte Levaden wirklich eine seltene Ausnahme…
Was fehlt dem Steiger zur Levade?
Für den Laien ist das Steigen ebenso „schön“ wie eine gesetzte Levade. Oder sogar noch im Gegenteil: Das Steigen ist spektakulärer, weil die derart missbrauchten Pferde auf den Hinterbeinen versuchen, das Gleichgewicht zu finden und dadurch noch größer und beeindruckender wirken. Dem Steiger fehlt wie vorstehend beschrieben immer noch die Kraft und die Geschicklichkeit, damit er sein eigenes Gewicht und auch das zusätzliche des Reiters auf den Hinterbeinen ausbalancieren kann. Irgendwie schafft er es, hochzukommen und die Schwerkraft bringt ihn irgendwann wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Latent besteht hierbei die Gefahr, dass er das Gleichgewicht verliert und zusammen mit seinem Reitersmann im Sattel nach hinten fällt. Knochenbrüche für Pferd und Reiter sind hier keine Seltenheit.
Der Rücken und das Becken von Mensch und Tier sind bei diesen Unfällen besonders gefährdet. Das Steigen ist nicht gleichzusetzen mit dem Buckeln – es wirkt allerdings auch nicht entspannend für das jeweilige Pferd. Manche Tiere verfallen in eine Art momentanen Dämmerzustand und spulen immer wieder das gleiche Programm ab, bevor sie endlich wieder zu sich kommen. Jeder noch so kleine Fehler des Reiters kann diese Abwehrreaktion wieder von vorne beginnen lassen. Der Blick des Pferdes ist bei diesem Fehlverhalten abgekoppelt von den Unwägbarkeiten des Geländes. Ein naher Graben, ein Geländeabbruch oder ein Steinbruch können hier das Ende für alle Beteiligten bedeuten. Glatteis beeindruckt das Pferd hier ebenso wenig wie tiefer Sand, rutschiger Lehmboden oder rollende Kieselsteine.
Begriffs-Definitionen
Der Begriff „Levade“ bedeutet aus dem Französischen übersetzt „Heben“. Das Pferd erhebt sich auf die Hinterhufe und beugt dabei tief seine Hanken. Der Rumpf wird fast waagerecht getragen – eine Übung, die außerordentlich viel Kraft erfordert. Das Tier ist dabei im absoluten Gleichgewicht und kann bei fortgesetzter konsequenter Ausbildung hieraus die sogenannten Schulsprünge entwickeln. Im Cadre Noir sind dies die „Courbette“ oder die „Kapriole“. Entwickelt wird diese Lektion zumeist aus der korrekt gerittenen oder an der Hand gezeigten Piaffe.
„Pesade“ bedeutet im Französischen „Auswägen“. Als Vorstufe zur Levade erhebt sich das Pferd im Winkel von 45 Grad vom Erdboden. Eine Hankenbeugung ist bereits erkennbar, aber bei weitem noch nicht so stark wie bei der Levade.
„Steigen“ bedeutet im Gegensatz zu den versammelten Lektionen von Pesade und Levade lediglich ein Stehen auf den Hinterbeinen. Das Heben erfolgt sehr steil, so dass ein Umkippen nach hinten schnell möglich wird. Die Vorderbeine werden dabei nicht angewinkelt und schlagen manchmal auch wild durch die Luft, um das Gleichgewicht zu finden. Manchmal ist auch der Mensch am Boden das Ziel dieser Abwehrhaltung. Das Steigen stellt ein natürliches Spiel- oder Dominanzverhalten der Hengste dar.
Gefährliche Untugenden
Oftmals ist eine harte Reiterhand der Auslöser oder ein unkontrolliertes Zusammentreffen von nicht koordinierten Reiterhilfen. Treiben und Verhalten zusammen waren niemals produktiv. Wie heißt es umgangssprachlich so schön: „Hinten Gas geben und vorne festhalten“. Zu eng verschnallte Nasen- oder Kinnriemen wirken ebenso kontraproduktiv wie zu harte Gebisse – ein Steigen aus Schmerz ist hier zeitlich absehbar. Vor dem Einsatz einer Kandare muss das Pferd erst eine gewisse Selbsthaltung erreicht haben, sonst geht der Schuss schnell nach hinten los. Versucht der Reiter, fehlende Geduld durch scharf wirkende Gebisse, harte Hände und eng verschnallte Hilfszügel künstlich herauszukitzeln, erhält er schnell seine wohlverdiente Quittung. Das Pferd versucht, den Schmerzen auszuweichen, wird nach vorne gebremst und entlädt seine Spannung nach oben.
Einen konsequenten Steiger zu korrigieren, erfordert nicht nur viel Mut, sondern auch eine gehörige Portion Einfühlungsvermögen. Martialische Maßnahmen hat dieses Pferd meistens schon erfolgreich für sich entschieden und wer sich in den Sattel setzt, braucht nicht nur eine gute Lebensversicherung. Mancher Grobian führt schon einmal folgenden Tipp an: „Eine Flasche Wasser auf dem Kopf des Pferdes zerschlagen“. Wenn ein Pferd solche Erlebnisse hatte, wird es vielleicht bereits explodieren, wenn ein Reiter seinen Fuß in den Steigbügel stellt.
Ursachenfindung
Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei, als ein nicht passender Sattel und Rückenschmerzen beim Pferd utopisch klangen. Pferdeosteopathen und Physiotherapeuten am Tier sind heute keine Seltenheit mehr und so mancher Steiger lässt seine Angewohnheit schnell bleiben, wenn die Schmerzen verschwinden. Ein gezogener Wolfszahn oder gefeilte Zähne können ebenso die Ursache beheben, wie der Wechsel aufs angenehmere Gebiss oder gar eine gebisslose Reitweise.
Am einfachsten ist die Korrektur eines Pferdes, das jung schlechte Erfahrungen gemacht hat und schnell und billig verkauft wurde. So mancher Pferdeliebhaber kann hier ein wahres Schnäppchen machen und mit zarter Hand einen Edelstein formen. Ein langer Zügel und eine treibende Hinterhand bringen zusammen mit einem leichten Sitz, einer feinen Hand am Zügel und z.B. dem Reiten mit einem Kappzaum schnelle und effektive Erfolge. Immer wieder Volten oder Zirkel reiten, wenn das Pferd vorne leicht wird und sich verhält.
Schwieriger wird die Übung, wenn das Pferd eine grundsätzliche Vermeidungshaltung einnimmt und gezielt oder in einer Panikattacke reagiert. Hier hilft nur noch ein sicherer Sitz im Sattel und im Bügel und ein beherzter Griff zur Mähne, damit die Schwerkraft nach vorne genutzt werden kann. Direkt nach der Landung wird der Zügel verkürzt und das Pferd in der sogenannten Mühle korrigiert. Äußerst wichtig und eventuell lebensrettend ist es, erst nach der Landung den Zügel zu ergreifen. Während der Aktion des Steigens könnte das Nachfassen das Pferd nach hinten umwerfen.
Begriffsdefinition „Mühle“
Die Mühle (franz. „Faire la moulinet“) ist ein Zwangsmittel, das das Pferd straft, ohne Schmerzen zuzufügen. Der Einsatz erfolgt bei vielen unangenehmen Eigenschaften von Pferden vom Buckeln, übers Kleben bis hin zum Steigen und ist immer erfolgreich einsetzbar. Das Pferd wird um einen Schenkel gebogen und zwar als erstes in Richtung der weicheren Seite. Der treibende innere Schenkel agiert direkt am Gurt und der äußere Schenkel hinter dem Gurt. Das Pferd kreiselt je nach Schenkeldruck ein oder mehrmals um die eigene Achse – unangenehm für Pferd und Reiter und manchmal auch schwindelerregend, aber effektiv. Dies tut nicht weh, wirkt aber unangenehm und bringt sture Gemüter aus dem angestrebten Konzept.
Die hohe Schule des Steigens: Panik!
Wenn ein Pferd sich regelmäßig in Panikattacken hineinsteigert, ist dies eine Nummer zu groß für den Gelegenheitsausbilder. Dieses Tier ist in den Situationen nicht mehr Herr seiner Sinne und hat gelernt, sich in einer Art von Trance den Brutalitäten des Alltages zu widersetzen.
Hier muss die innere Erregung erst langsam reduziert werden und die Angst vor dem Menschen behutsam genommen werden. Dies kann allerdings genau so lange dauern, wie die Quälerei im Vorfeld gedauert hat, bis das Pferd sein Vertrauen zum Menschen wieder findet. Im Anschluss daran folgt eine solide Grundausbildung, die immer wieder an den Punkt kommen kann, dass das Pferd das Steigen als Zeichen seiner Verweigerung gezielt einsetzt. Hier das richtige Maß zwischen Liebe und Strenge zu finden, ist eine Gradwanderung. Viel Verständnis ist vonnöten, damit eine angemessene Strafe im Einzelfall eingesetzt werden kann und viel Erfahrung, unendlich viel Geduld und noch mehr Zeit sind erforderlich. Ein hohes Maß an reiterlichem Können ist natürlich die Grundvoraussetzung, solch ein Projekt überhaupt anzugehen. Eine Medaille hat immer zwei Seiten und der ausführende Akteur muss sich darüber im Klaren sein, dass er sein eigenes und das Leben des Pferdes dabei aufs Spiel setzt.
Fazit
Wer in der heutigen Zeit immer noch nicht gelernt hat, dass ein steigendes Pferd nicht sein Prestige aufwertet, sondern ein riskantes Unterfangen darstellt, hat eins nicht verstanden: Er beweist keinerlei Kompetenz, sondern handelt schlichtweg verantwortungslos! Wer anderen ein positives Vorbild sein will, sollte sich in Kursen oder in Fachartikeln bei der Schulung zu exakt dem Thema Steigen stark zurücknehmen. Es sei denn, er hat über eine jahrelange eigene Ausbildung sein Pferd zur Levade geführt und kann die Grenzen klar definieren und auch schulen. Billigen Schnickschnack und Effekthascherei haben solche Menschen aber schon lange hinter sich.